Meine Entdeckung von Günther Steinmetz von Frank Ebbinghaus
(27. Januar, 2016)
Mit wärmsten Empfehlungen hatte ich einen Sixpack zum Probieren bekommen. Von einem Weinfreund, der einen übrig hatte, weil er versehentlich doppelt bedacht worden war. Bedacht von wem? Von einem Mosel-Winzer, den ich nicht kannte. Mosel finde ich immer spannend. Aber in diesem Fall war meine Neugier etwas gedämpft. Nicht wegen der langweiligem Etikett mit einem Allerweltsnamen drauf, sondern weil mir das Loblied auf die Rieslinge des Weinguts Günther Steinmetz (Brauneberg/Mosel) schon aus allen Ecken des World-Wide-Web entgegengeschwirrt war. Mir scheint alle, wirklich alle haben die Steinmetz-Weine probiert und finden sie toll. Eine Blase. Konsensweine sind aber nicht mein Ding.
Ich schob die Weine also erst mal in meinen Büro-Kühlschrank und spielte auf Zeit. Dann hat der Klimek über Steinmetz geschrieben (http://www.thewineparty.de/2015/09/stefan-steinmetz-guenther-steinmetz-riesling-schiefer-mosel-mineralisch/), und zwar so kreuzbrav, dass ich erst recht keine Lust mehr hatte. Die Flaschen blieben in meinem Büro, aber das war kein Zustand. Ungute Schwingungen bereiteten sich von dort aus und beeinträchtigten meine Arbeit. Ich beschloss, die Flaschen mit nach Hause zu nehmen und sie dort aufzureißen. Probieren, wegschütten, vergessen: Das war der Plan. Ich habe sie dann aber leergetrunken, alle, keinen Tropfen gespuckt. Von den sechs Flaschen war nur eine dabei, die mich nicht völlig begeisterte. Aber auch sie habe ich bis zum letzten Schluck geleert. Später mehr dazu.
Dann habe ich den Winzer Stefan Steinmetz (Weingut Günther Steinmetz, Brauneberg/Mosel) angerufen und ihn gefragt, wie man ohne die üblichen, Aufmerksamkeit erregenden Rituale zu bedienen (z.B.: Orange-, Naturweine, neues Holz, Porno-Etiketten, Amphoren im Weinberg vergraben und den Vollmond anheulen undsoweiter), ja, diese sogar lässig unterlaufend und nur auf die Flüssigkeit als solche setzend zu einem Blogger-Liebling werden kann.
Das ist keine Frage, die ihn bewegt. Vor fünf, sechs Jahren habe er mit Facebook angefangen und sich in zahlreiche Weindiskussionsrunden eingeklinkt. Seine Weine fürs WWW entdeckt habe der ehemalige Blogger Christian Seegers. So kam eins zum anderen. Ein internetaffiner junger Winzer, also, ohne erkennbare Marketingstrategie. Am Telefon wirkt Stefan Steinmetz gut sortiert und klar im Kopf. Er hat präzise Vorstellungen von moseltypischem Riesling. „Der traditionelle Moselstil war nie süß, sondern trocken bis feinherb“, weiß er. Und so schmecken auch seine Weine. Im Keller übernehmen die natürlichen Hefen das Kommando, lediglich die Gärtemperatur wird kontrolliert, damit die Gärung nicht zu heftig abläuft. Fetteres Lesegut kommt ins Stahl, feineres, säurestärkeres ins Holz. Auf die Säurewerte achtet Stefan Steinmetz grundsätzlich nicht, auch ist ihm egal, ob die Weine analytisch „trocken“ werden oder nicht. Harmonie und Typizität sind ihm wichtig. Und nicht nur in dieser Hinsicht sind seine 2014er richtig gut gelungen. Kaum einer der probierten Weine hat mehr als zwölf Prozent Alkohol. Aber alle schmecken richtig trocken, besitzen viel Spiel, das der tollen Schieferwürze und den feinen Fruchtaromen Raum zur Entfaltung gibt. An den Steinmetz-Rieslingen ist nichts übertrieben, sie sind herrlich ausgewogen, moselanisch zart und kraftvoll zugleich. Das Zehn-Hektar-Weingut verfügt über Besitz in einer Reihe von Spitzenlagen wie Brauneberger Juffer, Wintricher Ohligsberg oder Piesporter Goldtröpfchen, die jedem Wein Klasse und Individualität verleihen.
Zart, mineralisch (dieses Wort gehört einfach hierher) und fast trocken schmeckt der 2014 Brauneberger Juffer Riesling Kabinett feinherb, dessen etwas rustikale Säure sich nach längerem Luftkontakt harmonisiert – ein schöner Sommerwein. Der 2014 Brauneberger Riesling riecht verhalten nach gelben Pflaumen und Pfirsich, schmeckt sehr saftig und entwickelt durch die lebendige Säure einen kräftigen mineralischen Zug. Viel weiße Pfirisichfrucht mit einem Hauch Litschi und zarten Kräuternoten zeigt hingegen der 2014 Wintricher Geyerslay Riesling Sur Lie, der trotz seiner feinen Cremigkeit kühl und elegant daherkommt. Etwas aus dem Rahmen fällt der 2014 Brauneberger Juffer Riesling -HL-, der fast ein wenig streng nach Safran schmeckt. Am besten gefielen mir zwei Weine, die unterschiedlicher kaum sein können. Während der 2014 Piesporter Goldtröpfchen Riesling -GP- mit seiner reifen fokussierten Säure geradezu unwiderstehlich nach der Haut eines reifen Pfirsichs schmeckt, ist der 2014 Wintricher Ohligsberg Riesling ein von Nebel umwaberter Berg, dessen gewaltige Ausmaße sich erst mit der Zeit erweisen werden.
Bevor der super-duper, bereits jetzt gehypte (ohne dass jemand probiert hätte) Jahrgang 2015 an den Start geht und die auf ihn vielstimmig gesungenen Hymnen bald alles vergessen machen wollen, was vorher war, sollten wir uns noch einmal zurücklehnen und bei einer Flasche Steinmetz-Riesling den Jahrgang 2014 hochleben lassen.
Wieder gibt es die Highlights des Riesling-Jahres!
RIESLING REVELATIONS 2015 – Die größte Riesling-Offenbarungen des Jahres von Stuart Pigott
(21. Dezember, 2015)
Im vergangenen Jahr verursachte die Bekanntgabe meiner Riesling-Revelations, bzw. Offenbarungen einige Aufregung. Deshalb hatte ich keinen Zweifel, die Vergabe dieser Auszeichnungen zum selben Zeitpunkt in diesem Jahr zu wiederholen. Letztes Jahr kamen alle Gewinner aus Nordamerika, dieses Mal entschloss ich mich, einfach die aufregendsten und innovativsten Rieslinge herauszupicken, die ich im Laufe des Jahres verkostet habe. Dabei habe ich mich wieder an den vier Kategorien der International Riesling Foundation (IRF) orientiert: Dry – Trocken / Medium Dry – Feinherb / Medium Sweet – Zartsüß / Sweet – Süß. Mitunter fiel mir die Wahl sehr schwer, deshalb gibt es einen offiziellen Zweitplatzierten in der Kategorie Dry – Trocken.
Natürlich bin ich wieder sehr interessiert an Ihren Reaktionen. Leider ist es unmöglich, alle Importeure aufzulisten, die diese Weine rund um den Planeten Wein vertreiben, aber diese Informationen sind über das Internet leicht zugänglich.
RIESLING REVELATION 2015 DRY – TROCKEN:
2014 Watervale Riesling
Mitchell (Clare Valley, Südaustralien)
Nicht völlig zu Unrecht werfen Sommeliers und Konsumenten in Amerika und anderswo australischen Riesling-Erzeugern vor, extreme Weine zu produzieren. Wegen ihres besonderen Stils – knochentrocken und säurebetont, kombiniert mit intensiven Zitrusfruchtaromen – sind diese Weine in ihrer Jugend oft eine echte Herausforderung, weshalb ich diese Rieslinge oft auch als Bladerunner-Weine bezeichne. Verantwortlich für die hohe Säure wie für die spezielle Aromatik sind die intensive Sonneneinstrahlung, das enorme Tag-Nacht-Temperaturgefälle und die sehr trockenen australischen Sommer. Deshalb wird oft behauptet, diese Weine bräuchten etwas Süße, aber das erscheint mir eine allzu leichte Lösung. Dieser Wein beweist hingegen, dass höhere Eleganz auch erreicht werden kann ohne Süße oder irgendeinen anderen Trick, der die fundamentale Persönlichkeit dieses Weines verändern würde. Dieser trockene Riesling ist der beste, den die Familie Mitchell seit ihrem ersten Jahrgang 1977 erzeugte. Die Aromen von Passionsfrucht Melone und tropischen Blüten wirken in Kombination mit den leicht hefigen (meinst du das mit „funky“?) Noten der Spontanvergärung noch aufregender. Spüren Sie der komplexen Textur und Saftigkeit dieses Rieslings nach, genießen Sie das elegante, delikate mineralische Finale, um herauszufinden, warum der 2014 Watervale Riesling diese Kategorie gewinnen musste.
Etwa $ 22 in Australien, aber leider noch nicht in Deutschland erhältlich.
Zweiter Platz RIESLING REVELATION 2015 DRY – TROCKEN:
2014 Riesling „239“
Boundary Breaks (Finger Lakes, New York)
Bis vor kurzem hatte ich immer, wenn ich trockene FLX (Finger Lakes) Rieslinge in Upstate New York probierte, das Gefühl, ihnen fehle es an Reife, um weltweit in der ersten Liga der trockenen Rieslinge mitzuspielen. Die einzige, aber häufige Ausnahme war Herrmann J. Wiemer von der Westseite des Lake Seneca. Doch mit den letzten Jahrgängen hatte eine kleine Handvoll anderer Winzer bewiesen, dass sie aufgrund hervorragender Weinbergsbewirtschaftung und später Lese ebenfalls imstande waren, diesen Kunstgriff hinzubekommen. Bruce Murrays erster Jahrgang war 2011. Dieser Wein stammt also erst aus der vierten Lese dieses Weinguts, das am Ostufer des Lake Seneca zu Hause ist. Weil Bruce die Lese bis zum 28. Oktober herauszögerte, konnte er perfekt reife, goldene Rieslingtrauben ohne jede Fäulnis lesen. Es war dann Kelby Russell von Red Newt Cellars (siehe unten), der mit seinem großen Gespür für Balance diesen bahnbrechend vollen, cremigen und würzigen trockenen FLX-Riesling vinifizierte. Das Resultat ist ein Wein so weit außerhalb aller FLX-Kategorien, dass ihm sicherlich beides widerfahren wird, wenn er am 16. März 2016 in den Verkauf kommt: Höchstes Lob und tiefste Verdammnis.
Um $19 in die USA, aber leider noch nicht in Deutschland erhältlich.
RIESLING REVELATION 2015 MEDIUM DRY – FEINHERB:
2014 Riesling Kabinett feinherb „Rotlack“
Schloss Johannisberg (Rheingau, Deutschland)
Wie kann ein Riesling des weltweit berühmtesten Erzeugers dieser Rebsorte eine Entdeckung/Enthüllung sein? Schloss Johannisberg ist international bestens bekannt für seine restsüßen Riesling Spätlesen, und seit Christian Witte 2005 Gutsdirektor wurde, erstrahlen die Weine dieser Kategorie in neuem Glanz (halten Sie unbedingt Ausschau nach der erstaunlichen 2013 Riesling Spätlese „Grünlack“!). In jüngster Zeit ist das Riesling Großes Gewächs (GG) „Silberblack“ in die erste Liga der trockenen Rheinweine aufgestiegen (der Jahrgang 2014 ist der vielleicht bisher beste). Weniger gesucht und bejubelt werden die „normalen“ Weine von Schloss Johannisberg wie dieses Meisterwerk, das mit seiner sehr feine Pfirsichnote und große Finesse das perfekte Getränk für eine Verführung oder eine vornehme Konversation ist. Mit gerade 10,5% Alkohol ist das ein großartiger Wein, von dem man locker eine ganze Flasche trinken kann und sich dem Verlauf einer intensiven Gesprächs oder einer Verführung gewachsen fühlen kann.
Durchschnittlicher EVP in Deutschland: Euro 22,-.
RIESLING REVELATION 2015 MEDIUM SWEET – ZARTSÜß:
2014 Riesling „Circle“
Red Newt Cellars (Finger Lakes, New Yok)
Der Grund, weshalb ich diesen Wein auszeichne, liegt in der Kombination aus Weinqualität, der Produktionsmenge von 36.000 Flaschen und dem erstaunlich freundlichen Endverbraucherpreis von $13. Wie konnte der mengenmäßig größte und preiswerteste Riesling von Big Newt Cellars so gut werden? Hauptgrund ist, dass die meisten Weinberge, aus denen die Trauben stammen – das Weingut selbst besitzt selbst keine einzige Rebe – nach hohen Standards bewirtschaftet werden. Hinzu kam herausragendes Wetter im Herbst, das es Weinmacher Kelby Russell erlaubte, die Trauben für diesen „einfachen“ Wein erst Ende Oktober zu lesen. Sie gärten sehr langsam, und der fertige Wein blieb bis zum Abstich, Filtrierung und Abfüllung zehn Monate auf der Vollhefe. Dieser Riesling wird nicht vor Mai/Juni 2016 in den Handel kommen, was bedeutet, dass er seinen Weg zum Konsumenten in optimaler Form antritt. Seine Aromen reichen von Pfirsich und Aprikose bis zu Rauch und Grapefruit. Der Wein ist gerade so süß, dass er in diese Kategorie passt, verfügt aber über eine vollmundige Saftigkeit, der ein super-frische Abgang folgt. Kurz: Dieser Riesling ist wunderbar!
Etwa $13 in die USA, aber leider noch nicht in Deutschland erhältlich.
RIESLING REVELATION 2015 SWEET – SÜß:
2014 Wolfer Goldgrube Riesling Spätlese
Daniel Vollenweider (Mosel, Deutschland)
Im Jahr 2000 wurde Daniel Vollenweider der erste nicht-deutsche Winzer an der Mosel. Ich werde nie vergessen, wie mich vor zehn Jahren ein deutscher Kollege bat, einen aufregenden neuen Winzer zu nennen und er, als ich ihm diesen jungen Schweizer empfahl, voller Verachtung fragte: „Wer ist Daniel Vollenweider?“ Aber kaum, dass er dessen Weine probiert hatte, rühmte er ihn plötzlich als neuen Star des Mosel-Rieslings. Natürlich ist er nicht mehr so neu, aber er hat seinen Weg, die Grenzen für trockenen wie restsüßen Riesling auszureizen, kontinuierlich fortgesetzt. Und dieser Wein ist eine der aufregendsten jungen Riesling Spätlesen von der Mosel, die ich je probiert habe. Er ist bis zum Rand mit Aromen aller möglichen weißen und gelben Früchte sowie mit floralen Noten vollgepackt, er bebt vor reifer Säure und saftiger Süße. Er schmeckt schlicht und ergreifend köstlich. Aber so wie Die Macht hat dieser Wein eine dunkle Seite. Die gibt ihm einen gefährlichen Kick, den andere Weine dieser Kategorie vermissen lassen.
Durchschnittlicher EVP in Deutschland: Euro 20,-.
103 Jahre jung kann ein Winzer sein!
Colares, Ramisco und ein 103 Jahre alter Winzer,
von Frank Krüger
(2. November, 2015)
Vor ein paar Jahren erzählte mir ein italienischer Sommelier von der sagenumwobenen portugiesischen roten Rebsorte „Ramisco“ aus Colares – eine Art Pinot Noir mit geringerem Alkohol, mehr Säure, mehr Tannin und im Charakter wilder als der heftigste Pommard. Die Traube würde direkt am Atlantik nordwestlich von Lissabon angebaut, salzig und kühl durch die Meeresbrise, aufgrund der sechs Meter tiefen Sandböden von der Reblauskrise verschont und somit nicht veredelt. Reifepotential: Jahrzehnte!
Die Diktatur von Salazar, mühselige Handarbeit und die charmante Lage am Meer (ein begehrter Standort für die Feriendomizile der Lissabonner) hätten die Appellation auf ein paar Hektar zusammenschrumpfen lassen.
Die Geschichte ließ mir keine Ruhe und ich flog mit zwei Weinfreaks im Januar 2015 nach Lissabon. Wir hatten einen Termin bei einem der letzten übrig gebliebenen Weingüter, „Viúva Gomes“. José Baeta, ein Mitglied der Besitzerfamilie, empfing uns in der beeindruckenden alten Halle der Adega. Nach einigen Basisweinen verkosteten wir den reifen Ramisco.
Der 1967iger Ramisco war krass: Getrocknete eingekochte Früchte, ätherisch, enorm mineralisch, salzig, erdig, eisenhaltig, blutig, dabei mit heftiger Säure, saftig und lang. Während wir verkosteten, erzählte José von einem anderen Winzer in Colares: Baron von Bruemmer, 103 Jahre alt, deutschstämmig. Ende der 1960iger kam er nach einer hoffnungslosen Krebsdiagnose gemeinsam mit seiner Frau nach Colares, um in dieser wundervollen Natur in Ruhe sterben zu dürfen. Es kam anders, von Bruemmer starb nicht und gründete mit 96 Jahren sein eigenes Weingut. Hier und da verkaufe er ihm ein Fass, berichtete José, allerdings würde der Baron die Qualität vorher mit seinem Pendel begutachten.
Zurück in Berlin ließ mich der 103jährige Winzer Baron Bodo von Bruemmer nicht mehr los. Ich checkte alle Fakten über von Bruemmer – Josés Geschichte stimmte.
Ende August 2015 flog ich erneut gemeinsam mit zwei Berliner Weinfreaks nach Lissabon und weiter nach Colares, um das Weingut, seine Weine und den Baron selbst kennenzulernen. Wir hatten es tatsächlich geschafft, einen Termin mit ihm zu vereinbaren.
António Figueiredo, einer seiner Winemaker, empfing uns auf diesem wunderschönen Weingut hoch über Colares – bisher keine Spur von dem alten Baron.
Antonio führte uns durch die Weingärten: Ramisco, Malvasia, Arinto, Chardonnay, Pinot Noir, Merlot, Touriga und sogar Riesling. Aufgrund der hohen Feuchtigkeit sei Fäulnis in der Region ein großes Problem, meinte Antonio, exakte Weinbergsarbeit deshalb enorm wichtig. Die Vegetation im Garten rund um die Weinberge war wunderschön: Palmen, wilde Rosen (von Bruemmers Frau liebte Rosen), alte Brunnen, eine Kapelle mit Azuleijos Kacheln.
Im Weinkeller verkosteten wir seine Weißweine aus dem Fass:
Fantastischer 2014er Chardonnay (Lisboa): Tropisch, Zitronenschalen im Auftakt, aber dann eng, mineralisch und salzig zumachend.
Der 2014er Malvasia (Colares DOC) beeindruckte mit Zitrusaromen, Orangenschalen, Akazienhonig und feinem nussigem Schmelz im Abgang.
Der rote Ramisco 2006 (Colares DOC) zeigte sich nach einigen Jahren Flaschenreife mit wilder Kirsche, rauchig, mineralisch, ätherisch mit seidigen Tanninen und präsenter Säure. Ramisco braucht allerdings viel Zeit.
Wir verkosteten sogar einen maischevergorenen Malvasia, aber nicht, weil die aktuelle Weinwelt diese Stilistik vorschreibt, sondern weil der Baron in alten Schriften von dieser Technik gelesen hatte.
Nach ca. 3 Stunden Weinberg und Keller hatte endlich Bodo von Bruemmer seinen Auftritt. Was folgte, waren 103 Jahre gelebte Geschichte und eine Zusammenkunft, die weit über das Thema Wein hinausging:
Guten Tag! Herr Krüger aus Berlin, richtig? Ich habe mal in Berlin gewohnt, am Kaiserdamm, zwischen den beiden Weltkriegen. Gestatten, Bodo von Bruemmer, 103 Jahre, Weltkriege & Revolutionen in Russland und Portugal überlebt, Gründer der Herstatt-Bank, Züchter von Araber Hengsten, heute Winzer.
Wir wollten unbedingt erfahren, wie ein 96-Jähriger auf die Idee kam, Wein zu machen. So berichtete der Baron von seinem Leben und seiner Ankunft in Portugal:
Wissen Sie, ich kam zum Sterben nach Lissabon. Die Ärzte diagnostizierten bei mir in den 1960igern in Zürich Pankreaskrebs und gaben mir noch einige Wochen zu leben. Ich dachte, ich suche einen charmanten Ort für meine Frau, damit sie es schön hat, wenn ich nicht mehr bin. Wir stolperten über eine FAZ-Anzeige, kamen am Flughafen in Lissabon an und ich wusste sofort – hier bin ich zuhause. Meine Frau roch allerdings nur Kerosin! Wir kauften dieses Grundstück hier in Colares. Es waren anfangs nur ein paar Steine! Ich begann Rosenwasser zu trinken und eine Woche verging. Ich starb nicht. Eine zweite Woche verging. Ich starb nicht. Monate vergingen. Ich starb nicht. Irgendwann vergaß ich meine Diagnose und begann, mich um andere Dinge zu kümmern. Ich nahm wieder mein Bankerleben auf und begann, Araber-Hengste zu züchten. Ich gewann Rennen in aller Welt, wir lebten wie ein fahrender Zirkus, das war schon lustig, Herr Krüger. Doch die Katastrophe, der Tot war immer präsent.
1994 starb seine Frau und die Pferdepest rafft seine Hengste hinweg. Der Baron lebt weiter.
Wissen sie, sie dürfen nie aufgeben! Die Ärzte haben mich viermal als unheilbar krank diagnostiziert. Ich habe einen Tumor im Herzen, der sieht aus wie ein kleiner Atompilz. Er macht mir keine Angst mehr, man muss sich mit seinen Krankheiten anfreunden.
Mit jedem seiner Sätze spürt man seinen durchaus esoterischen Zugang zu leben und Existenz, der sich auch auf seine Idee von Wein auswirkt. Wirkliches Vertrauen hat „Mister Bodo“, wie ihn seine Mitarbeiter nennen, nur in sein Pendel. Seit 40 Jahren pendelt er jede Lebensentscheidung aus. Auch die Einstellung seines Mitarbeiters Antonio wurde ausgependelt. Andere Bewerber hatten exzellente Önologie-Diploma, aber das Pendel entschied sich für ihn – alles, was für den Baron zählt.
Mit 96 Jahren zwang von Brümmer eine schwere Operation in ein Züricher Krankenhaus. Als von Bruemmer aus der Narkose erwachte, war ihm klar: Er muss Wein anbauen in Colares!
Trotz Widerstand in der Familie und im Freundeskreis, ließ sich von Bruemmer nicht beirren. Er engagierte Berater, investierte eine Million Euro in seinen Keller, in dem früher seine Araberhengste überwinterten.
Geben sie nie auf, Herr Krüger!
Der Baron hat es geschafft, die Weine sind exzellent, haben Preise gewonnen, werden exportiert. Er schaut mich an und fragt mich, warum der deutsche Markt so schwierig sei für seine Weine. Vielleicht könne ich etwas für sein Weingut tun? Er lächelt, er ist ehrgeizig, seine Augen funkeln spitzbübisch. 10 Jahre müsse er noch leben, um alles auf den Weg zu bringen. Er hat das sicher ausgependelt. Er scheint das selbst in der Hand zu haben, und man nimmt es ihm ab.
Irgend wann ist leider Schluß mit lustig.
Schau zurück… von Frank Ebbginhaus
(31. Oktober, 2015)
… und was siehst Du? Dich selbst, viel jünger. Wer warst Du damals? Derselbe wie heute? Schau genau hin! Jetzt kramst Du in Dir herum und suchst den Maßstab für einen Vergleich. Wo soll der herkommen? Aus Deinen alten Texten? Aus inneren Bildern oder aus Fotos? Frag Deine Freunde. Ihre Auskunft wird Dich enttäuschen. Greif zu dem Glas mit dem alten Wein vor Dir, rieche daran und trinke es langsam leer. Na, merkst Du es?
Wir sitzen in den Kurpfalz-Weinstuben und feiern das Ende einer legendären Ära. Nach mehr als 40 Jahren gibt Rainer Schulz das Lokal ab. Zum 1. November 2015 hat er es verkauft. Er bleibt seinen Gästen noch eine Weile als Gastgeber erhalten. Aber es ist nicht mehr sein Laden. Wir sitzen in Fußballmannschaftsstärke um einen Tisch. Die Getränkeversorgung ist zunächst eher zäh. Jemand hat die Idee, Großformate zu bestellen – ‘ne Magnum oder so. Gute Idee. Wir haben Durst. Rainer Schulz schleppt eine Methusalem an: sechs Liter 1997 Rüdesheimer Berg Schlossberg trocken von Georg Breuer (Rüdesheim/Rheingau). Ob wir die wirklich wollen? Klar, wir wollen jetzt schnell ganz viel trinken. Also her damit. Ich darf probieren. Ich rieche am Glas und – plopp!- schon bin ich weg. Ganz weit, irgendwo anders. Der Wein schmeckt enorm frisch und sehr mineralisch, ein klarer, kühler Gebirgsbach, in dem ich baden möchte, die Erinnerung an ein paar gelbe Früchte am Wegesrand und ein winziger Hauch Petrol, der in die Zukunft weist. Die Säure ist durchaus kräftig, der Wein aber perfekt balanciert. Es fällt mir schwer, meinen Schluckreflex zu kontrollieren.
Solche Weine wurden also schon in den 90ern gemacht. Vielleicht nicht oft. Aber es gab sie. Werden die hochgelobten Großen Gewächse der Gegenwart je so gut schmecken wie dieser Wein? So tänzelnd und kraftvoll, so grazil und fordernd zugleich? So ungemein komplex und doch erhabene Trinkfreude auslösend? Dieser Wein ist einer der größten trockenen Rieslinge, die ich je trinken durfte. Er zieht mich zurück in die Vergangenheit, in die Zeit als die Trauben für diesen Wein vielleicht gerade wuchsen. Ich saß mit einem Freund in den Kurpfalz-Weinstuben. Es war heiß. Vor uns ein Glas 1986 Kallstadter Saumagen trocken vom Weingut Koehler-Ruprecht. Und ich versuchte, den Freund zu missionieren. Der Wein schmeckte grauenhaft, offensichtlich eine schlechte Flasche. Aber ich pries ihn und seinen Winzer in höchsten Tönen, fand weder Maß noch Ziel. Der Freund hatte keine Ahnung von Wein und keinen Sinn dafür. Er schwieg, schaute an mir vorbei, während ich immer enthusiastischer meine Kennerschaft bewies, mich also, recht besehen, um Kopf und Kragen redete.
Es war nicht mein erster Besuch in den Kurpfalz-Weinstuben, aber mein furchtbarster. Weitere Erinnerungen steigen in mir auf, Gespräche, Gesichter, Gerüche und Geschmäcker. Alles trug sich hier zu. Und nichts hat sich in den Kurpfalz-Weinstuben seither verändert. Die dunkle Holztäfelung der Wände, die Wappen pfälzischer Weinbaugemeinden, die schmucklosen dunklen Holztische und –Stühle. Die Schoppenkarte aus Holz. Die hölzerne, an die Wand genagelte Speisekarte. Pfälzer Saumagen, Spießbraten, von Rainer Schulz persönlich zubereitet (nie habe ich hier jemanden Salat essen sehen), die gewaltigen Wurst- und Schinkenplatten. Die Gäste: überwiegend 75plus. Sabine, die aufmerksame, freundliche und zurückhaltende Bedienung. Rainer Schulz in Schürze und rotem Pullunder, der die Gäste unterhält und meist persönlich verabschiedet. Die imposante Weinkarte, auch eine Hommage an Bernhard Breuer und Koehler-Ruprecht/Bernd Philippi, deren Weine Rainer Schulz besonders verehrt. Der gewaltige Weinkeller, aus dem Rainer Schulz hin und wieder ganz unglaubliche Trouvaillen hervorzaubert. So habe ich es 20 Jahre erlebt
Das hat was Beruhigendes. Berlin wandelt sich in rasendem Tempo. Man selbst läuft irgendwie mit. Aber wohin? In den Kurpfalz-Weinstuben betrachtet man sich selbst aus einer entspannten Rückenlage. Das Tempo draußen, der Lärm, die Leute, die Hysterie – pah! nicht wichtig. Hier bin ich an einem Ort der Besinnung, ein Kloster, in dem es sehr fröhlich zugehen kann, aber stets hemdsärmelig-stilvoll. Rainer Schulz ist Hanseat. Nur die können das so.
Ich trinke den 1997er Berg Schlossberg in großen Zügen aus vollen Gläsern. Der Wein hat seine Geschichte, aber er ist nicht alt. So wie Rainer Schulz, der bald 77 wird, aber so lebendig und zackig wirkt wie eh und je. Und mit welcher Leichtigkeit er die Methusalem-Flasche schwingt. Wie er, wie die Kurpfalz-Weinstuben selbst sind wir weder alt noch jung, wenn wir hier sitzen, Gespräche führen, Wein trinken und Spießbraten essen. Unsere Lebenserfahrungen: Hier wird ihre Schwerkraft aufgehoben. Wir schweben in der Zeit.
Fotos von Gerhard Gneist.
Bei Weingut Hans Lang ändert sich nicht nur die Fahne!
Unter Schweizerfahne: Das Weingut Hans Lang
von Frank Ebbinghaus
(8. Oktober, 2015)
“Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt,” hat der chinesische Philosoph Laotse geschrieben. Der Jahrgang 2014 war der erste Schritt für das neue Team von Weingut Hans Lang in Hattenheim, Rheingau.
Von Winzer Ernst Loosen (Dr. Loosen/Bernkastel) stammt folgende Anekdote: Anfang der 90er Jahre klingelte sein Telefon: Ein Unbekannter orderte in breitem Schwyzerdütsch einige Kisten Riesling Auslese. Loosen habe sofort aufgelegt. Denn: Ein Schweizer, der damals Mosel-Riesling bestellte – das konnte nur ein Fake sein. Hier täuschte sich der welterfahrene Winzer. Der Bittsteller war echt und ließ nicht locker bis er seinen Wein bekam. Inzwischen baut er selbst in Graubünden Riesling an, von dem er schreibt: „Mit Verlaub: Man spricht deutsch“. Es handelt sich – mit Verlaub – um Daniel Gantenbein.
Während Gantenbein Riesling-Reben in die Schweiz einführte, um dort Mosel-Riesling herzustellen, erzeugt Daniel Vollenweider, ebenfalls ein waschechter Schweizer, Mosel-Riesling an der Mosel – und zwar der Spitzenklasse.
Neuerdings zieht es die Schweizer auch in das Rheingau. Damit endet dieser etwas holprige Einstieg. Und wir sind beim Weingut Hans Lang (Hattenheim/Rheingau), das 2013 von dem Schweizer Brieftaubenzüchter und Käser (mehr Klischee geht nicht! Oder bläst er auch das Alphorn?) Urban Kaufmann und dessen Lebensgefährtin Eva Raps, der langjährigen Geschäftsführerin des Verbandes deutscher Prädikatsweingüter (VDP), übernommen wurde.
Hans Lang? Hat jeder Riesling-Fan bestimmt schon mal gehört. Aber auch probiert? Ich jedenfalls nicht, abgesehen von zwei gereiften Weinen an einem heißen Berliner Sommerabend nach einer anstrengenden Rotweinprobe. Sie schmeckten mir nicht, aber das zählt nicht. Stuart schreib über dieses Weingut in seinem Buch „Die führenden Winzer und Spitzenweine Deutschlands“, Econ Verlag, Düsseldorf 1997: „Hans Langs Weine sorgen nur selten für Schlagzeilen und sind vielleicht nicht unbedingt der Stoff, aus dem die Träume sind, aber sein Betrieb ist eine zuverlässige Quelle für gut gemachte trockene Rheingau-Rieslinge …“. Eine gute Begründung, warum die Weine bisher unter meinem Radar blieben.
Jetzt aber haben Urban Kaufmann und Eva Raps ihren ersten Jahrgang erzeugt und gleich eine den Aufbruch schon optisch bezeugende Sonderedition aufgelegt. Das Etikett ziert die Farben der Schweiz auf goldenem Grund sowie den Namenszug „Kaufmann“. Und ein Wein heißt auch noch „Tell“ oder, wenn man den Schriftzug auf dem Etikett als zusammenhängenden Text liest: „kaufmann tell Rheingau Riesling“, was ja, wenn man von einer kleinen Konjugationsschwäche des Englischen absähe, eine echte Ansage wäre.
Aber großes Gedöns ist nicht die Sache des Jungwinzerpaars. Sie gehen es bescheiden an: Keine gigantischen Investitionen, kein pompöser, von einem flying winemaker kreierter neuer Weinstil. Urban Kaufmann und Eva Raps sind ins kalte Wasser gesprungen (am Rand hielt der freundschaftlich verbundene Hans Lang den Rettungsring bereit). Mit schweizerischer Bedachtsamkeit gehen sie Schritt für Schritt voran, um Weine zu machen, die sie mögen und für typisch Rheingau halten: „klar, präzise und elegant“.
Drei Weine sind so bisher entstanden. Sie sollen zeigen, wohin die Reise geht. Und das tun sie auch, wenngleich recht unterschiedlich. Der 2014 Kaufmann Rheingau Riesling empfängt einen mit seinem feinen Bratapfelduft, die kräftige Säure ist gut integriert, eine zarte Mineralität lädt ein zum Trinken – ein erfrischender Wein, der allerdings auch etwas einfach ausgefallen ist und nach drei Tagen aus der offenen Flasche genossen zunehmend rustikaler wirkt und abbaut.
Einen Quantensprung stellt der 2014 Kaufmann Tell Rheingau Riesling aus Hattenheimer Spitzenlagen dar. Der Wein hält eine kühle, jederzeit elegante mineralische Spannung, wie man sie sich von trockenen Rheingau-Rieslingen wünscht. In der Nase ein Hauch gelber Früchte und ein sehr feiner Anflug von Süße, die von reifen Trauben stammt. Ansonsten ist der Wein zunächst etwas zugeknöpft, zeigt aber unter Lufteinfluss noble, kühle Steinfrucht und einen sehr animierenden mineralischen Abgang. Nach einer Woche schmeckt der Tell nach Mirabellen und einer hellen, an Tabak erinnernde Würze, die sich mit der präsenten mineralischen Säure bestens verbindet. Der Tell hat Potential.
Eindeutig in der Liga der Großen Gewächse (GG) spielt der 2014 Kaufmann Wisselbrunnen Riesling. Es ist ein Wein, der sich mit Schweizer Bedächtigkeit (um dieses Klischees jetzt totzureiten) am Gaumen entwickelt und vor einem langen Leben steht. Dieser Spitzenwein ähnelt dem Tell, nur weist er eine weit höhere Komplexität und Tiefe aus. Auch hier sind die Aromen gelber Früchte im Moment mehr zu erahnen als zu schmecken, aber sie sind einen Tick reifer als beim Tell (der Wisselbrunen hat 12,5% Alk., die beiden anderen Weine je 12 %), aufgrund einer geradezu steinigen, aber nicht aufdringlichen Mineralität ist das Geschmacksbild noch nobler. Die mineralische Säure trägt alles, sie ist nie spitz und gibt dem Wein trotz seiner Reife und Kraft auch Zartheit und Tiefe. Nach einer Woche hat sich der Wisselbrunnen in der halbvollen Flasche im Schneckentempo weiterentwickelt. Er duftet nun deutlich nach gelben Pflaumen ohne zu viel Süße, entwickelt am Gaumen eine feine Würze sowie eine vibrierende Lebendigkeit und Vielschichtigkeit. Mit 25 Euro pro Flasche ab Hof ist der Wisselbrunnen für Rheingau-Verhältnisse recht fair bepreist (der Rheingau Riesling kostet ab Hof 9,50 Euro, der Tell 16,50).
Hier zeigt ein Jungwinzerpaar eine deutliche Handschrift. Diese ersten Ergebnisse sind umso beeindruckender als der Jahrgang nicht eben einfach war. Urban Kaufmann und Eva Raps sollten den eingeschlagenen Weg, elegante klassische Rheingau-Rieslinge zu erzeugen, entschlossen weitergehen. Der Hitze-Jahrgang 2015 hält die nächste große Herausforderung bereit.
Wie Erni Loosen und Team 2014 gemeistert haben
Einfach Verdammt Gut: Der Jahrgang 2014 beim Weingut Dr. Loosen
von Frank Ebbinghaus
(29. September, 2015)
Man könnte diesen Beitrag mit einer originelleren Feststellung beginnen als: Dr. Loosen hat im schwierigen Jahrgang 2014 einen echten Volltreffer gelandet! Man könnte sicherlich über ein originelleres, trendigeres Weingut schreiben. Und man könnte origineller über dieses Weingut schreiben, zum Beispiel einen Totalverriss. Könnte man alles. Geht aber nicht. Denn in Wahrheit ist Dr. Loosen bei genauerem Hinsehen ziemlich originell und spektakulär, und der Jahrgang 2014 ist ein echter Kracher!
Der Reihe nach: Dr. Loosen in Bernkastel, Mosel galt Anfang der 90er Jahre einer der hottest rising stars (Wine Spectator) unter den deutschen Rieslingerzeugern, 2001 kürte der Gault Millau Ernst Loosen zum „Winzer des Jahres“. Dann wurde es hierzulande etwas still. Die aufkommende Bloggerszene konnte sich nicht recht für die Weine des umtriebigen Ernst Loosen erwärmen, vielleicht auch, weil Loosen erst spät auf den Trend zur Erzeugung trockener Spitzenrieslinge einstieg. 2008 erzeugte er sein erstes Großes Gewächs (GG), heute sind es immerhin deren sechs. Und auch qualitativ haben Loosen und sein kongenialer Kellermeister Bernhard Schug enorm an der Qualitätsschraube gedreht. Dank moderatem Alkoholgehalt und langem Vollhefelager verbinden ihre GGs moseltypische Eleganz und Finesse mit großer Komplexität und Langlebigkeit. Mit den GG Reserven, die zwei oder mehr Jahre auf der Vollhefe liegen, erzeugt Dr. Loosen einige der spektakulärsten trockenen Rieslinge in Deutschland. Mehr über die trockenen Spitzenweine gibt es bald von Stuart.
Hier geht es um die trockenen Gutsrieslinge sowie die restsüßen Weine bis zu den Spätlesen des Jahrgangs 2014. Mag das Jahr auch schwierig gewesen sein, bei Dr. Loosen haben die auf den Punkt gereiften Trauben für elegante, mineralische und perfekt balancierte Rieslinge gesorgt. Bei allen Weinen spielt die Säure das Generalthema. Sie ist höchst präsent, aber nie spitz, sondern vor allem als intensiver mineralischer Geschmack erfahrbar. Das beginnt schon den Gutsrieslingen, die sehr unterschiedlich ausfallen, aber für mich zu den Jahrgangsbesten zählen. Der 2014 Dr. Loosen Blauschiefer Riesling trocken schmeckt im Moment durch und durch mineralisch, an der Hintertür klopft aber bereits der Pfirsich an. Die reife Säure und pure Mineralität bieten großes Trinkvergnügen. Noch eindrucksvoller ist der 2014 Dr. Loosen Rotschiefer Riesling trocken, dessen Säure sehr präsent und seidig zugleich wirkt und immer wieder kühle Aromen von Pfirsich, Aprikose oder Walderdbeeren freigibt. Aus der offenen Flasche entwickelt sich dieser Wein im Verlauf einer Woche aufs Beste und erreicht nach acht Tagen seinen Höhepunkt. So lange muss man beim 2014 Graacher Himmelreich Riesling feinherb nicht warten. Die Restsüße ist perfekt integriert, weißer Pfirsich, ein Hauch Nougat und Orangenzeste steigen in die Nase, während am Gaumen zur Zeit Fenchel, Kümmel und nasser Stein den Ton angeben, aber auch hier kündigt sich viel Frucht an.
Die vier Riesling Kabinett-Weine schmecken naturgemäß sehr unterschiedlich. Aber sie sind allesamt feingliedrige, moseltypische Kabinettweine wie aus dem Bilderbuch. Während der 2014 Wehlener Sonnenuhr Riesling Kabinett in seiner noblen Zartheit dem Spitzentanz einer Ballerina ganz in weiß gleicht, schlägt das 2014 Erdener Treppchen Kabinett mit seiner typischen Windhund-Rasse am Gaumen einen atemberaubenden salto mortale. Tief in sich ruhend, kühl und nobel zeigt der 2014 Ürziger Würzgarten Kabinett feine Aromen von Ananas und orientalischen Gewürzen. Seine Zeit kommt noch. Hingegen ist die des 2014 Bernkasteler Lay Kabinett bereits angebrochen. Nach ein paar Tagen Luftzufuhr in der offenen Flasche entfaltet dieser Wein eine geradezu unwiderstehlich erotische Anziehungskraft.
Die restsüßen Spätlesen verbergen ihre Säure zunächst. Der 2014 Wehlener Sonnenuhr Riesling Spätlese entströmen florale und Pfirsicharomen, am Gaumen dominiert der Pfirsich, der Wein wirkt fast etwas üppig, aber doch nie fett. Unter viel Luftzufuhr kommt eine tolle Säure ins Spiel und diese Spätlese fängt an zu tanzen. Anders die 2014 Erdener Treppchen Riesling Spätlese, die von Anfang an ihre Rasse ausspielt und mit floralen Aromen und etwas weißem Pfirsich glänzt, während die sehr dicht gewirkte 2014 Ürziger Würzgarten Riesling Spätlese mit ihren Pfirsich-, Ananas- Tabak- und Gewürzaromen ein klassisches Drama aufführt, das erst in vielen Jahren seinen glücklichen Ausgang nehmen wird.
Eine eindrucksvolle Leistung, also, die dieses Weingut 2014 vollbracht hat. Sie wird in den Schatten gestellt durch die große Konstanz, mit der Dr. Loosen zuletzt selbst unter schwierigen Witterungsbedingungen einen ausgezeichneten Jahrgang an den anderen reihte.
Hitze macht ein gute Riesling immer erträglicher!
38 Grad im Schatten
von Frank Ebbinghaus
(15. Juli, 2015)
38 Grad im Schatten. Ich ziehe die Schuhe an und gehe Laufen. Kaum Menschen draußen. Keine Hunde, gut so. Krähen mit geöffneten Schnäbeln hüpfen über den Weg. Sehen verzweifelt aus. Ich laufe. Spüre wie sich vom Kopf aus eine Lähmung ausbreitet und schnell nach unten sinkt. Unterhalb des Brustbeins wächst eine Übelkeit, der ich lieber nicht nachgehen will. Die Beine gehorchen nicht richtig. Laufe aber weiter gegen eine fahle Sonne über einer diffusen schwarzen Wolkenwand. Laufe durch eine Kleingartenkolonie. Pralle Menschen zerfließen in der Hitze auf viel zu kleinen Liegen und Campingstühlen. Kleines Glück, großes Glück – spürbar wie eine leichte Brise.
Zuvor am Mittag in Kreuzberg. Die Hitze steht in den Straßen. Männer mit perfekt getrimmten Vollbärten, Clubwear-Hüten, großen Sonnenbrillen, Tattoos und Flipflops, die bei jedem Schritt wegen des Fußschweißes schmatzen. Abgeklärtes, weltgenießerisches Grinsen. Junge Frauen, knapp bekleidet, tragen auf der Haut, was sie sie auf der Seele haben: Cellulite, Tattoos, Piercings, die volle Bedeutungsdröhnung. Die Körperhaltung, die Sprechweise: monadenhafte Individualität, die öffentlichen Raum in Besitz nimmt, ihn kolonisiert. Jedes dieser Ichs beansprucht viel Platz, da wird es schnell eng. Und laut.
Ich ging in die Markthalle IX, aß eine geniale Gazpacho, fuhr mit dem Rad durch den Treptower Park, der am Spreeufer eine Baustelle ist. Auf den Grünflächen überall junge Menschen. Hippiestimmung. Die Gruppen: Jemand spricht, die anderen nicken sehr deutlich oder lachen sehr laut. Netzwerke bei der Empathieproduktion. Die Umwelt als Spiegel. Sonst viel roboterhaftes Ins-Handy-Starren. Hier fehlt doch was, dachte ich: Wo ist das Glück? Wo Anmut, Schönheit, echtes Gefühl, ein Lächeln vielleicht? Nicht auf den Wiesen im Treptower Park, nicht in den Straßen von 36. Aber in der Gazpacho. In den Schrebergärten, zur bräsigen Zufriedenheit gedimmt. Und sonst? Muss man ins Museum gehen, um was Echtes, Berührendes zu erleben? In die Bahnhofsmission? Zu einer Weinverkostung? Darum geht’s ja hier. Berlin Gutsriesling Cup, vor ein paar Wochen. Am Start 37 Rieslinge (meist Einstiegsweine, deren Etiketten das Weingut zeigen; daher Gutsrieslinge) von Gastgeber Martin Zwick sehr gekonnt ausgewählt. Und eine Jury aus Weinliebhabern (laut Begeisterung oder Missfallen ausdrückend), Weinkennern (breit dozierend über Weinfehler, Entsäuerung, Reifeprobleme) und Weinprofis (reden über Gott und die Welt, nur nicht über die Weine vor ihnen).
Einer muss gewinnen. Ist schon komisch, wenn kein schwacher Wein dabei ist und kein wirklich überragender. Selbst in dieser Kategorie ist das Niveau inzwischen sehr hoch. Und die stilistische Vielfalt sehr breit: Vom puristischen Mineralismus bis zum Happy-Sunshine-Wein. Bei der Probe gab es zum Glück nicht wenige Weine, die lächelten, die Glück, Anmut, Schönheit verbreiteten, gemacht für Weinliebhaber wie mich. Man vergab Punkte wie Parker. Am Ende entschieden ein paar Stellen hinterm Komma. Was soll‘s, ist ein Riesenspaß. Ein paar Tage später warb ein großer norddeutscher Weinhändler mit einem Probierpaket „Best of Gutsriesling“. „Die drei Sieger des BerlinGutsrieslingCup mit jeweils zwei Flaschen in einem Paket“. Ein vom Händler eingekaufter Blogger hatte an der Probe teilgenommen und den Deal eingefädelt. So werden in aller Unschuld vergebene Punkte zum Geschäft. Willkommen in der kommerziellen Verwertungskette! Künftig ohne mich. Klar, bei Wein geht es immer auch um Absatz und Geld. Aber nicht für mich. Für mich geht‘s nur um Schönheit und Genuss.
Ich muss den Brechreiz spüren, um gegen ihn anrennen zu können. 38 Grad, keine Sonne mehr, ich laufe weiter, gegen die Lähmung, die Übelkeit. Ich schwitze nicht mehr. Mein Hirn schmilzt. Ich denke an gebratene Gänseleber, außen geröstet, innen cremig. Ich möchte mein Hirn essen. Ich genieße den Moment vor dem Kollaps, zögere ihn hinaus bis zum Ziel. Das ist schön, denke ich, das ist ein wahres Gefühl.
Gutsriesling & Co. 2014: Sechzehnmal Glück, Anmut. Schönheit:
Gunderloch (Nackenheim/Rheinhessen) 2014 “Als wär´s ein Stück von mir“ Riesling trocken
Robert Weil (Kiedrich/Rheingau) 2014 QbA trocken.
Katrin Wind (Landau-Arzheim) 2014 Riesling trocken
Emrich-Schönleber (Monzingen/Nahe) 2014 Riesling trocken
Von Winning (Deidesheim/Pfalz) 2014 WinWin Riesling trocken
Dr. Bürklin-Wolf (Wachenheim/Pfalz) 2014 Dr. Bürklin-Wolf Riesling trocken
Georg Mosbacher (Forst/Pfalz) 2014 Riesling trocken
Schätzel (Nierstein/Rheinhessen) 2014 ReinStoff Riesling trocken
St. Antony (Nierstein/Rheinhessen) 2014 Rotschiefer trocken
Wagner Stempel (Siefersheim/Rheinhessen) 2014 Riesling Gutswein trocken
Josten & Klein (Remagen/Mittelrhein) 2014 Riesling Mittelrhein trocken
Wittmann (Westhofen/Rheinhessen) 2014 Riesling trocken
Thörle (Saulheim/Rheinhessen) 2014 Riesling trocken
Joh. Bapt. Schäfer (Nierstein/Rheinhessen) 2014 Riesling trocken
Schloss Johannisberg (Johannisberg/Rheingau) 2014 Schloss Johannisberger Riesling Gelblack trocken
Weedenborn (Monzernheim/Rheinhessen) 2014 riesling trocken
Auch die eher unbekannte Ecken von Baden sind gut für Überraschungen!
Arndt Köbelin in Eichstetten (Baden)
von Frank Ebbinghaus
(2. Juli, 2015)
Kommt der Hauptstädter nach Eichstetten am Kaiserstuhl, so ist er geblendet von so viel Schönheit. Sie wohnt nicht dem Ort selbst inne, einem Bauerndorf ohne von Tourismusvermarktern aufgepappter Idylle, das aber deshalb in seiner ungeschminkten Ehrlichkeit und Selbstzufriedenheit durchaus eindrucksvoll wirkt. Nein, die Schönheit beginnt, wo das Dorf endet: in den schier endlosen Reb-, Gemüse- und Obstgärten des Kaiserstuhls, dessen meterhohe Lössschicht alles aufs trefflichste gedeihen lässt. Ein Arkadien, dessen gewundene und geschwungene Landschaft atemberaubende Ausblicke gewährt und jede Eintönigkeit, die landwirtschaftlichen Nutzflächen sonst innewohnt, fernhält. Hier wachsen die von hippen Berlinern teuer eingekauften grünen Smoothies gleichsam am Wegesrand, ebenso Blumen in großer Pracht und Vielfalt, scheinbar herrenlose Walnuss- und Kirschbäume verwöhnen mit Früchten, die man so noch nie probiert zu haben glaubt.
Da ist viel zuviel Schönheit, denkt der Berliner mit René Pollesch („Kill your Darlings! Streets of Berlidelphia“), die vertrage ich nicht, die ist nicht zu leben, deshalb müssen wir sie rausschneiden. Aber Eichstetten ist kein Theaterstück. Eichstetten ist das Gegenteil.
Hier hat der Mensch sein nutzbringendes Wirken offensichtlich im Einklang der Natur vollbracht: Dem Wanderer begegnen schwarmweise Wiederhopfe, Habicht und Bussard ziehen am Himmel ihre Kreise, während der Falke im Tiefflug nach Beute jagt und da und dort ein Reh über den Weg springt. Muss man noch erwähnen, dass Eichstetten eine der großen Bio-Anbaugemeinden in Baden-Württemberg ist, deren Produkte auch in den hauptstädtischen Bioläden feilgeboten werden? Das Schöne und Wahre: Hier fügt es sich.
Wanderer, kommst Du nach Eichstetten, so genieß diese Landschaft und die trefflichen Früchte, die sie hervorbringt. Und, ja, Wanderer, sind die Trauben reif, so koste sie. Sie schmecken vortrefflich. Aber meide den Wein. Denn der Wein ist ein Spiegelbild der Landschaft: üppig, idyllisch, träge, selbstzufrieden, von der Sonne verzogen. Eichstetten liegt in einer der wärmsten Gegenden Deutschlands. Lössböden und große Hitze: Das ist für Wein schwierig. Wer also partout glaubt, in einem der malerischen Winzerhöfe einkehren zu müssen, kann sich nur den Wein mit der Landschaft schönsaufen. Denn die Reben hier sind wie die Blumen am Wegesrand: ein Stück Dekor, Kulisse, Ausstattungsmerkmal einer Idylle.
Aber, Wanderer, willst du diesen Ort nun fliehen, so eile nicht. Denn es gibt selbst hier Perlen des Winzerhandwerks, Könner mit dem Ehrgeiz, dem Schönen und Wahren auch das Gute abzuluchsen. So einer ist Arndt Köbelin. Die ortsüblichen, pittoresken „Schwiboge“ (Sandstein-Rundbögen)-Romantik anderer Winzerhöfe sticht er mit der todschicken Sachlichkeit einer modernen Winery am Ortsrand aus. An der Mosel sagt man: „Das Tal ist eng.“ Eichstetten ist auch eng. Arndt Köbelin weiß das. Er hat das Winzerhandwerk unter anderem bei Seifried Estate in Neuseeland, bei Dr. Heger in Ihringen sowie in der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg gelernt, hat als Kellermeister in Oberbergen und in der Ortenau gearbeitet und ist – herzlichen Glückwunsch! – seit genau zehn Jahren selbständig.
15 Hektar bewirtschaftet er auf seinem Familienweingut, das fast fünf Jahrzehnte der Vater geführt hat (dennoch sollen die Verhältnisse zwischen den Generationen sehr harmonisch sein). Das moderne Gutsgebäude hält moderne Technik bereit, die helfen soll, die Philosophie des Winzers umzusetzen, die auf eine möglichst schonende Behandlung der Trauben und des Weins setzt. So werden Weine nicht gepumpt, sondern durch Falldruck bewegt. Im Weinberg wird mit Grünschnitt und Pferdemist gedüngt. Man arbeitet ökologisch, ist aber nicht zertifiziert.
Die trockenen Basisweine, die hier Gutsweine heißen, sind mehr als ordentlich: Rivaner, Weiß- und Grauburgunder habe eine animierende Frucht, sind für die Gegend moderat im Alkohol (maximal 13 Prozent). Es fehlt ihnen der mineralische Säurebiss nördlicher Regionen, aber sie schmecken schön frisch und saftig. Es gibt auch einen ansprechenden Riesling, der nicht auf Löss, sondern auf vulkanischem Gestein wächst (der Kaiserstuhl verdankt seine Entstehung einen gewaltigen, im Tertiär aktiven). Er ist nicht ganz trocken, unterscheidet sich aber vor allem wegen seines mineralischen Charakters stark von den andren Basisweinen. Trotz 8,5 Gramm Säure, die man hier gar nicht erwartet, schmeckt der 2014 Riesling feinherb sehr harmonisch und nach reifen grünen Äpfeln.
Sehr gefallen hat mir auch der in Flaschengärung hergestellte Pinot Brut „Privat Cuvée“ aus Weißburgunder, Grauburgunder und Spätburgunder, der neben Hefe- und Zitrusnoten mit Himbeer- und Kirscharomen aufwartet, überdies eine feine Perlage beisitzt und mit elf Euro ab Hof ein Schnäppchen ist.
Sehr spannend sind die 2014er „Lösswand *** Selektionsweine“ von Weißburgunder und Grauburgunder, die von alten Reben stammen und noch im kleinen Holzfass liegen. Beide Weine präsentieren sich derzeit recht verschlossen, wirken aber frisch und mineralisch mit viel Substanz und einem feinem Holzton. Da wächst was spannendes heran.
Echte Knüller sind die Spätburgunder-Rotweine, zu denen auch der ausgezeichnete 2014 Spätburgunder Rosé gezählt werden muss. Denn diesem Nebendarsteller der Rotweinproduktion gibt Arndt Köbelin eine Hauptrolle. Und so duftet dieser Wein expressiv nach Kirschen und schmeckt durch eine reife Säue gestützt nach einem Korb frischer Himbeeren – mit 11 Alkohol ein perfekter Sommersaufwein für gerade mal 7,80 Euro ab Hof. Nicht jeder mag schwere Rotweine im Sommer trinken, zumal, wenn sie am Holz tragen. Aber Arndt Köbelins einfachster Spätburgunder, der 2013 „Spätburgunder Holzfass“ besitzt eine explosive Frucht mit Kirschen Heidelbeeren, einem Hauch Vanille und etwas Pfeffer. Ein Wein, so leicht und frisch, dass man ihn flaschenweise saufen mag, aber auch komplex genug, um ihn wirklich genießen zu können.
Noch ausdrucksstärker und etwas mehr vom Ausbau im kleinen Holzfass geprägt ist der 2013 „Spätburgunder *** Barriquefass“, der bereits jetzt schmeckt, sich aber in den nächsten zwei bis drei Jahren weiter entwickeln wird. Bei diesem Wein wird bereits eine Finesse spürbar, die der nächste fast auf die Spitze treibt: Der „2012 Spätburgunder Eichenlaub“ ist ein Wein, den man hier nicht erwartet: So fein und elegant, so kühl mit tollem Säurebiss. In der Nase feine Kirsche und etwas Holz brilliert dieser Spitzenwein mit Himbeere, Kirsche und etwas Vanille. Der „2012 Spätburgunder Eichenlaub“ ist jetzt bereits ein Hochgenuss, wozu der meisterhafte Holzeinsatz von Arndt Köbelin beiträgt: Hier wird nichts mit Holz überdeckt, sondern lediglich gestützt. Dieser Wein aus mehr als sechzig Jahre alten Burgunderstöcken wächst unterhalb des Waldes, der die 521 Meter hohe Eichelspitze einkleidet. Und man muss es erlebt haben, wenn man an einem heißen Sommertag diesen Wald betritt und schlagartig die Linderung spürt, die seine feuchte Kühle aussendet. Sie fließt in den Abendstunden die alten Rebhänge hinab und trägt ganz erheblich dazu bei, dass Arndt Köbelin ein Meisterwerk gelungen ist, das sich neben den deutschen Spätburgunder-Spitzenweinen dieses großen Jahrgangs mehr als sehen lassen kann.
Also, Wanderer, kommst Du nach Eichstetten am Kaiserstuhl, genieße die Schönheit der Landschaft, vergeude Deine Leberzellen nicht, sondern widme sie den Weinen Arndt Köbelins.
Israel ist nicht nur von Konflikt geprägt wie die Medien uns erzählen!
Seahorse Winery, oder das ganz andere Israel zu Gast in Berlin
von Frank Ebbinghaus
(27. Juni, 2015)
Da sitzt also eine satyrhafte Gestalt mitten auf dem Gehweg der Lychener Straße in Prenzlauer Berg, macht immer wieder Fahrradfahrern, Kinderwagenschieberinnen und -schiebern Platz und wirkt auch sonst wie aus Zeit und Raum gefallen. Ze’ev Dunie trägt Bart wie hier jeder Mann, nur ist seiner schlohweiß und umrahmt das Gesicht von Ohr zu Ohr, auch die Glatze wäre unter den coolen Pappies hier kaum auffällig, würden nicht von seinem Hinterhaupt strubbelige graue Locken wasserfallartig bis über den Kragen herabfallen. Ein wenig angespannt schaut er in die Runde der schlürfenden und spuckenden Weinexperten, die sich über seine Flaschen hermachen. Ze’ev selbst spuckt nicht, kann man sich bei ihm auch nicht vorstellen.Aber Ze’ev Dunie huldigt nicht nur Dionysos. Er ist in Berlin, der Heimat seines Vaters, um hier einen Roman zu schreiben. Und nur halblaut sagt er, wieviel es ihm bedeutet, ausgerechnet in Berlin seine Weine zeigen zu können.
Früher war er Filmregisseur. Früher heißt: Bis er vor einigen Jahren die Seahorse Winery in den Judean Mountains in Israel gründete. Stuart schrieb darüber, und zwar hier: http://www.stuartpigott.de/?s=seahorse
Jetzt sitzt er vor der Weinschenke Weinstein, um seine Weine vorzustellen. Vier hat er mitgebracht, viel mehr gibt es auch nicht. Denn die Seahorse Winery produziert insgesamt lediglich 25.000 Flaschen im Jahr. Die Probe kam durch die langjährige VDP-Geschäftsführerin Eva Raps zustande, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten Urban Kaufmann 2013 das Rheingauer Weingut Hans Lang in Eltville-Hattenheim übernahm (über die neuen Weine von Hans Lang werde ich später berichten). Die beiden Jungwinzer schlossen sich der deutsch-israelischen Partnerschaftsinitiative Twin Winery an und kamen mit Ze’ev Dunie zusammen.
Leider ist es nicht so, dass ich jeden Tag israelische Weine probiere. Eigentlich habe ich das noch nie getan. Ich habe nicht mal eine Vorstellung wie israelische Weine schmecken können und bin daher sehr erfreut, überrascht über die Kühle, Präzision und Sinnlichkeit dieser Weine.
Trotz bis zu 15% Alkohol geht ihnen jede Hitze oder Opulenz ab. Sie schmecken reif, aber auch kühl und fein. Die Weinberge liegen 700 Meter hoch, daher die Frische.
Der 2013 Chenin blanc „James“ besticht in der Nase mit Quitte, Birne und Bratapfel, am Gaumen spürt man fein das drei Jahre alte Holzfass, der Wein hat eine schöne Viskosität und Würze, schmeckt aber sehr frisch.
Der 2010 Antoine ist eine Rhone-Cuvée aus hauptsächlich Syrah mit Grenache und Mourvèdre, wobei Charakterkopf Ze’ev den Syrah in Barriques ausbaut, in denen zuvor Weißweine gelegen haben. Auch dieser Wein schmeckt kühl und komplex, nach roten Johannisbeeren, Schattenmorellen und Pfeffer.
And now to something completly different: Der 2010 Lennon trägt eine Hommage nicht nur im Namen, sondern auch im Geschmack. Der Blend aus 75% Zinfandel, je 12,5% Petit Syrah und Mourvèdre erinnern an die großartigen Zinfandel-Weine von Ridge Vineyards (Cupertino/Kalifornien). Und er schmeckt auch ähnlich, trotz 15% Alk. gar nicht fett, sondern mit viel Blaubeer- und Kirschfrucht sehr konzentriert und bei aller Fülle wieder kühl und strukturiert. Vor Jahren hat Ze’ev gemeinsam mit dem legendären Winemaker von Ridge, Paul Draper, dessen Weine probieren können – eine Schule fürs Winzer-Leben.
Über den 2010 Elul sagt Ze’ev: „This wine ist the closest mainstream I can make“. Das liegt vor allem am dominierenden Cabernet Sauvignon, der dem Wein sein Cassis-Aroma verleiht. Aber hier ist wirklich nichts eindimensional, mainstreamig oder langweilig. Schwarze Schokolade, jodige Aromen und etwas Marzipan sorgen für einen faszinierend undurchsichtigen Geschmack, viel mürbes Tannin und eine elegante Säure kontern die feine Süße.
Später sitzen wir beim Essen zusammen. Gastgeber Roy Metzdorf hat eine Flasche 2009 Lytton Springs von Ridge blind serviert, die natürlich niemand erkennt. Aber Ze’evs Augen leuchten und schwupp ist die Flasche leer.
Das verkannte Star-Weingut am Rhein!
Der Jahrgang 2014 beim Weingut Müller-Catoir (Neustadt-Haardt/Pfalz)
von Frank Ebbinghaus
(19. Juni, 2015)
Als das Weingut Müller-Catoir Mitte der 90er drei Hektar Reben im Haardter Bürgergarten gekauft hatte und die Aussicht lockte, dass den bis dato überirdischen nun astralische Weine folgen würden, prophezeite Stuart: „Scharen von Privatkunden könnten sich im Morgengrauen des Tages, wenn der Wein in den Verkauf kommt, vor dem beeindruckenden blaugrünen Tor des Weingutes drängen, in der Hoffnung, sich so wenigstens eine einzige Flasche zu sichern.“ (Stuart Pigott, Die führenden Winzer und Spitzenweine Deutschlands. Econ Verlag, Düsseldorf 1997.) So ist es nicht gekommen. Oder eigentlich doch: Die Weine wurden noch mal eklatant besser. Aber niemand drängte am Hoftor, flehte um Zuteilung. Nach einem letzten Höhepunkt, dem Jahrgang 2001, verließ Kellermeister-Legende Hans-Günther Schwarz das Weingut – nicht ganz im Frieden, das machte es seinem Nachfolger doppelt schwer.
Heute spricht niemand in die Weinszene mehr über die Weine von Müller-Catoir. Und wenn, dann nur in der Vergangenheitsform. Das ist ungerecht. Aber gut für mich. Denn ich muss nicht mit Entleibung drohen, um Wein zu bekommen. Ich kaufe sie ganz bequem im Online-Shop. Und zu fairen Preisen. Sollen die anderen doch ihrem mineralischen Extremismus frönen oder sich an überholztem Riesling aufgeilen. Ich stehe auf die klassische Nummer: Frucht und Mineralität, Eleganz und Finesse, Sinnlichkeit und Sexyness. Das haben die Müller-Catoir-Weine von heute so reichlich wie früher. Nur, dass sich der Stil verändert hat. Die unter Schwarz zum Markenzeichen erhobene hoch expressive, die Sinne überfordernde Fruchtaromatik bei äußerster Brillanz und perfekter Balance ist unter seinem Nachfolger Martin Franzen einem ruhigeren mineralischen Stil gewichen. Sind die Weine deswegen schwächer geworden? Nein! Sind sie langweiliger geworden? Nur für die Super-Langweiler, die einem bei Verkostungen die Weinwelt mit aufgeschnappten Halbwahrheiten erklären wollen, womit sie überdecken, dass ihnen Stil und Geschmack völlig abgehen. Sie geben heute gerne damit an, welche tollen Müller-Catoir-Weine der Ära Schwarz sie einst getrunken haben, obwohl sie heute fruchtbetonte Weine auf den Index setzen.
Ich habe seit dem Jahrgang 2002, mit dem Martin Franzen (siehe Foto oben) begann, nicht einen schwachen Wein von Müller-Catoir getrunken. Im Gegenteil: Sie waren ohne Ausnahme großartig. Bei einer Blind-Verkostung der Großen Gewächse des Jahrgangs 2007 vor zwei Jahren, bei der alle großen Riesling-Erzeuger am Start war, zählte das 2007 Riesling GG „Breumel in den Mauern“ von Müller-Catoir für mich zu den fünf besten Weinen. Nach dem Aufdecken wurde dieser Wein von einzelnen Teilnehmern verhöhnt. Sollen sie nur. Ich würde das Zeugt notfalls alleine trinken. Aber ich kenne viele Enthusiasten, mit denen ich gerne teile.
Ich könnte endlos so weiter schreiben. Jeden einzelnen getrunken Müller-Catoir-Wein der letzten Jahre habe ich im Gedächtnis. Einer besser als der andere.
Aber hier geht es um den Jahrgang 2014. Und der ist verdammt gut. Komischerweise ist der einfachste Wein, der 2014 Müller-Catoir Riesling trocken, im Moment der verschlossenste. Aber die erste Flasche Herrenletten Riesling trocken haben wir inhaliert. Keine Notizen, nix, obwohl ich es vorhatte. Bei der zweiten Flasche musste ich mich zusammenreißen, um meine Geschmackseindrücke zu sortieren: in der Nase Weinbergspfirsich, Maracuja, ein kleiner Stinker, nasser Stein. Am Gaumen sehr gelbfruchtig, nochmal viel Weinbergspfirsich, ein tolles, mineralische Säurerückrad, das immer mehr die Herrschaft übernimmt, aber der Wein hat reichlich Substanz. Noch etwas feiner und nuancierter wirkt im Moment der 2014 Bürgergarten Riesling trocken, der nach einer Woche in der angebrochene Flasche eine bemerkenswerte Mutation durchmacht und nun sehr schlank wirkte und jodig, mineralisch und nach reifer Zitrone schmeckt und einen salzigen Abgang hat. Kein Zweifel: Diese Weine stehen ganz am Anfang einer langen Entwicklung. Wer ihrer betörenden Frucht erliegen will, sollte sie in den nächsten Monaten trinken, dann werden sie sich verschließen und nach einigen Jahren ein neues Gesicht zeigen.
Die 2014 „Breumel in den Mauern“ Riesling Spätlese wirkt noch etwas verschlossen, dank moderater Süße eher schlank und elegant, hat aber viel Zug und Kraft.
Müller-Catoir wird zu recht geschätzt für seine Weine aus Aroma-Rebsorten. Die 2014 Haardt Scheurebe trocken zeigt, welche eleganten trockenen und sehr sinnlichen Weine aus dieser oft verkannten Rebsorte möglich sind. Scheißt auf Sauvignon Blanc! Trinkt Scheurebe! Und der 2014 Haardt Muskateller trocken duftet schon vielversprechend nach reifen Trauben, reifem Pfirsich, Muskat und roter Grapefruit und schmeckt schon mineralisch und komplex mit viel angedeuteten Fruchtnoten, die sich im Laufe der nächsten Monate deutlicher zeigen.
Man kann trendiger trinken als MüllerCatoir, aber kaum besser!
Der Jahrgang 2014 beim Weingut Keller (Flörsheim-Dalsheim/Rheinhessen)
von Frank Ebbinghaus
(9. Juni, 2015)
Schwierig, schwierig, so lautet die überwiegende Einschätzung des Weinjahrgangs 2014 in Deutschland, der jetzt auf den Markt kommt. Unerfahrene Konsumenten kann das verunsichern. Andererseits: Wer in einem sehr uneinheitlichen Jahr, das mit Reifeproblemen und Fäulnisdruck zu kämpfen hatte, ausgezeichnete Weine erzeugt, dem darf man auch künftig blind vertrauen.
Wo wären solche Erwartungen besser aufgehoben als beim Weingut Keller (Flörsheim-Dalsheim/Rheinhessen)? Hier klagt man jedoch nicht über Wetterkapriolen, sondern freut sich über eine Ernte, „die uns ein glückliches Lächeln ins Gesicht zaubert!“
In der Tat verfügen die probierten 2014er Keller-Weine über die immer wieder gelobte Harmonie und Präzision, welche die Herzen vieler Keller-Fans höher schlagen lässt. Ich gehöre eher nicht dazu, was weniger am Winzer und seinen Weinen liegt (allerdings fand ich manchen trockenen Keller-Riesling in der Vergangenheit etwas langweilig) als an der fast schon religiösen Verehrung, die ihm von manchen Weinfreunden entgegengebracht wird. Das hat mich immer wieder abgeschreckt. Der furchtbarste Keller-Fan ist der Gault Millau Weinguide, der auf der Suche nach unverbrauchten Superstars in den 90ern das Weingut in den Himmel hob und meine damaligen rheinhessischen Lieblingsweingüter Gunderloch und St. Antony aus demselben Grund systematisch abwertete. Dass das eine nicht ohne das andere ging, nahm ich übel.
Allerdings habe ich Keller-Weine getrunken, die mich stets begeisterten. Das Große Gewächs AbtsE, zum Beispiel und vor allem der restsüße Riesling-Kabinett, der auf mich wie eine Hommage an Weine dieses Typs von Mosel, Saar und Ruwer wirkt. Das sind Jahr für Jahr ungeheuer sinnliche und expressive Weine, die man, obwohl hoch-komplex eimerweise trinken möchte. Klaus-Peter Keller hegt offenbar eine große Zuneigung zum Riesling Kabinett, was sich in der ehrgeizigen Preisgestaltung niederschlägt wie auch in dem Umstand, dass er jedes Jahr eine Versteigerungsabfüllung erzeugt, der den regulären Kabinett nicht nur preislich toppt – ein Wein wie ein Feuerwerk: schlank, kühl, brillant, sehr mineralisch, mit einer sexy Frucht.
Auch der 2014er Riesling Kabinett H ist wieder sehr gelungen. In der Nase pudrig süß, kalkig, mit feiner Honigmelone, am Gaumen zunächst ziemlich süß, wobei die gut verborgene, aber nicht unbeträchtliche Säure für die Balance sorgt. Feinste mineralische Adern durchziehen den Wein, der noch sehr unfertig wirkt und viele Jahre reifen kann. Wenn ein Winzer hervorragend hohe Säurewerte managen (soll heißen: verstecken) kann, dann Keller. Auch der feinherbe 2014 Riesling RR hat gewiss keine geringe Säure, aber sie schmiegt sich so eng an den schlanken, jedoch keineswegs kargen Körper, dass dieser Wein auch jedem säureempfindlichen Gaumen schmeichelt. Die ausgeprägte Mineralität wirkt drucklos und sanft, aber stets spürbar, angenehm verhalten steigen gelbe Früchte und rosa Grapefruit auf – den Eindruck großer Eleganz bestärkt nicht zuletzt der Alkoholgehalt von gerade mal 12%.
Stilistisch eng verwandt und äußerst gelungen ist die 2014 Scheurebe trocken. Weine dieser Rebsorte können leicht unharmonisch schmecken, vor allem, wenn die Säure nicht richtig reif ist. Hier aber zeigt sie sich perfekt integriert. Der Wein riecht nach Cassis, kühlem Weinbergpfirsich, später auch nach Litschi und schmeckt nach zartem Pfirsich Melba, je einer Prise Muskat und Liebstöckel – alles ist fein, kühl, saftig und sehr animierend auch bei gerade 12% Alkohol.
Der Eindruck von Präzision, Zartheit und fast schwebender Anmut zeigt sich beim trocknen Riesling RR wie bei der Scheurebe besonders, wenn man die Weine nach einer Woche aus der offenen Flasche erneut probiert: Ballerinen, versunken im ätherischen Spitzentanz –für alle, die Ballett-Weine mögen.
Fotos Thorsten Jordan
Ein ehemalige Bankangestellte erzeugt einer der beste Pinot Noirs der Welt?
Sein Name ist HE
von Frank Ebbinghaus
(3. Juni, 2015)
HE: Das Monogramm eines Mannes von Welt und Stil schmückt nicht mehr Hemdkragen oder Manschettenknopf, sondern eine Weinflasche. Diese Verbindung zielt mit minimalem Aufwand auf maximale Synergien und größtmögliche Distinktion ab.
HE: So steht es auf dem Etikett einer Flasche Pinot Noir. Und mehr muss man in bestimmten Kreisen nicht sagen, um Glanz in die Augen zu zaubern. Natürlich ist dieser Wein ziemlich exklusiv. Was freilich weder am Preis von knapp 80 Euro pro Flasche (das ist kein Pappenstil, aber es gibt weitaus exklusiveres), noch am Namen liegt („HE“ = Hans Erich Dausch = ein Allerweltsname, kennt kein Mensch außer ein paar Eingeweihten). Sondern am Konsumenten selbst, der sich durch den Kauf von „HE Pinot Noir“ als wahrer Kenner von erlesenem Weingeschmack ausweist.
Rar sind die Weine nicht unbedingt, Google nennt Bezugsquellen. Bei öffentlichen Verkostungen sind die HE-Pinots aber nicht präsent. Marketing gibt’s nicht und mal eben probieren ist auch nicht, es sei denn, man hat einen guten Freund, der vom HE-Virus infiziert ist und eine Flasche aufreißt. Wer HE Dausch googelt, findet dessen Uralt-Homepage, dann die Überschrift “ eines Weinhändlers: „HE The Guru“. Klingt doch vielversprechend mysteriös.
Aber dann steht da an einem sonnig-warmen Samstagabend im Berliner Sternelokal Frühsammers Restaurant eine fröhlich grinsende Pfälzer Frohnatur, die der Grünewalder Tennis-Schickeria, die auf den angrenzenden Plätzen schweißtreibend und lautstark übt, die rote Daunenweste zeigt. Hans Erich Dausch, der sich HE nennt, war mal Bankmanager, auch Skilehrer. Er entstammt einer Pfälzer Winzerfamilie, fünf Hektar Reben und Schnapsbrennerei: „anständige Qualität, aber nix zu verdienen“, sagt HE selbst. Deshalb die Flucht ins Geldgewerbe, das ihn jedoch direkt zurück zum Wein führte.
Denn als Bank-Angestellter in Siebeldingen machte er die Bekanntschaft mit Spitzenwinzer Hansjörg Rebholz, der ihn zu Proben mitschleifte und in ihm die Liebe zum Wein weckte. HE verfügt über keine weinspezifische Ausbildung, er hat sich alles ehrlich selbst ertrunken. Die großen Pinot Noirs des Burgunds liebt er.
Seine Leidenschaft ist freilich nicht nur auf Konsumtion beschränkt. HE verfügt über die Fähigkeit Weine zu „lesen“ wie ein mit allen Wassern gewaschener Bankprüfer eine Karstadt-Bilanz. Ihm entgeht nichts. Und er weiß, wie man’s besser macht. Kurz nach der Jahrtausendwende holte ihn Heidrun Becker als Berater ins Weingut Friedrich Becker (Schweigen/Pfalz), das für seine Spätburgunder längst berühmt war. 2006 hat HE angefangen, eigene Weine zu erzeugen. Einen Hektar Rebfläche besitzt er in der Lage Eschbacher Hase. Ein Weingut hat er nicht- Seine Weine produziert HE seit 2010 in dem bekannten Pfälzer Weingut Knipser (Laumersheim).
HE hat klare Ansichten über Wein und besonders über Pinot Noir. Seine Philosophie legt er mit bestechender Einfachheit dar: „98 Grad Oechsle sind mir am liebsten“, sagt er zum Beispiel, „die Traubenkerne müssen sich vom Fruchtfleisch lösen“. HE schwört darauf, dass eisenhaltige Kalkböden für Pinot Noir am besten sind. Je mehr Eisen, desto besser.
Das Burgund – und dort natürlich nur die Top-Erzeuger – sind für ihn die Benchmark. Aber er ist kein Guru und auch kein Burgund-Jünger, der vermeintliche Patentrezepte nachahmt. Wie auch? Es gibt ja nicht den einen burgundischen Stil. Wohl aber Vorstellungen von Eleganz, Finesse und Sinnlichkeit. Und genau dahin will HE mit seinen Weinen.
Und nicht nur mit den eigenen. Er arbeitet inzwischen als Berater. Seine Kunden sind die Weingüter Bernhard Koch (Hainfeld/Pfalz), Uli Metzger (Grünstadt/Pfalz), Thomas Hörner (Hochstadt/Pfalz) und seit letztem Jahr Dr. Corvers-Kauter (Oestrich-Winkel/Rheingau). Dass die Spätburgunder-Weine von Bernhard Koch und Uli Metzger seither Verkostungswettbewerbe gewinnen, ist sicher kein Zufall.
HE verfügt über die Fähigkeit, Erfahrungen in Aphorismen zu gießen: Er sagt Sätze wie: „Viele faule Leute sagen viele faule Sachen.“ Soll heißen: Schöne Worten machen keinen großen Wein. Oder: „Dass ich der Magier bin, einfach die Hand aufs Fass lege und alles wird gut? So läuft der Job nicht“. Ziemlich cool fand ich den Satz: „Romanée-Conti [den berühmtesten und teuersten Wein des Burgunds] aus der Flasche habe ich noch nicht probiert, wohl aber aus dem Fass.“ Klingt großmäulig, ist es aber nicht. Eher typisch HE. Er hat sich von dem besonderen Moment (Romanée-Conti aus dem Fass probieren zu dürfen ist noch exklusiver als den Wein für eine fünfstellige Summe zu kaufen) nicht blenden lassen, sondern hielt Sinne und Verstand eingeschaltet. Seither schwört HE zum Beispiel auf die Fässer der berühmten Tonnellerie Francois Frères in Saint Romain. Er baut seinen HE Pinot Noir zu 100% in neuem Holz aus. Doch das schmeckt man selbst seinen jungen Weinen kaum an.
Im Jahrgang 2012 konnte er drei Weine erzeugen. Sie sind von außergewöhnlicher Eleganz und Feinheit, duftig und obwohl völlig trocken von einer feinen Himbeersüße durchzogen. Beim 2012er Eschbacher Hasen Pinot Noir riecht man förmlich den Boden: nasses Eisen, aber auch Blut. Der 2012 Herrschaftswingert Pinot Noir verfügt noch über einen aparten Stinker vom Ausbau, aber neben der eleganten Frucht auch über ultrafeine Tannine, während der Spitzenwein 2012 HE Pinot Noir bei aller Feinheit rauchig und animalisch wirkt. Hier ist Großes im Werden, das braucht viel Zeit. Gleiches gilt für den Jahrgang 2011, der reif wie der 2009er ist, nur viel feiner. Und wenn ein Wein wie der 2009 HE Pinot Noir, der Rauch, Himbeergeist, Herzkirsche, einen Hauch Vanille und Lorbeerholz mit einer schönen Säure zusammenführt, bei diesem Winzer ein Höchstmaß an Reife darstellt, dann weiß man, dass HE selbst in einem sehr reifen Jahrgang seine Vorstellung von burgundischer Eleganz durchzusetzen vermag.
An diesem Abend wurde aber auch eine eindrucksvolle Ehrenrettung für sehr deutsch schmeckende Spätburgunder eingelegt. Der 1989 Assmannshäuser Höllenberg Spätlese trocken der Hessischen Staatsweingüter roch zwar nach einer seit 1989 getragenen Birkenstocksandale, schmeckte aber fein und zart nach Kirsche, verblüffte mit elegantem Tannin und fein-säuerlichem Abgang.
Nicht nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt dass der Abend mit einem eindrucksvollen „Jungwinzer-Debüt“ begann: Ein 2013 Kallstadter Saumagen trocken, der die frühlingshafte Stimmung dieses schönen warmen Maitages mit allen Düften und Farben wachrief, aber auch schon den Sommer mit reifem Pfirsich und Aprikose ankündigte und mit feiner Salzigkeit endete. Der Wein stammte von keinem geringerem als Winzerlegende Bernd Philippi, der nach seinem Ausstieg aus seinem ehemaligen Weingut Koehler-Ruprecht ein kleines Stück aus der berühmten Lage Saumagen gekauft hat. Kaum mehr als tausend Flaschen erzeugte er 2013. In den Verkauf kommen sie freilich nicht. Er will sie selbst trinken.
Fotos Gerhard Gneist
Die Wahrheit der letzte Flasche
Farewell Charakterkopf!
von Frank Ebbinghaus
(27. Mai 2015)
Der Weinkeller: Unendliche Weiten, aber keine gähnende Leere. Und irgendwo im verdichteten Raum des flaschenreichen Kosmos treiben schwarze Löcher ihr Unwesen. Dort, wo manche Bouteille mitunter einfach verschwindet, um dann nach Jahren in Raum und Zeit wieder aufzutauchen. Kein ordnendes Schöpfungsprinzip kann temporäre Verluste hindern, ab einer gewissen Kellergröße stellen sich Unauffindbarkeiten ein, die bisweilen auch absichtsvollem Vergessen geschuldet sein können. Denn was sich dem sicheren Zugriff entzieht, ist das oft wenig Geliebte, bewusst Unbeachtete, dem man nicht nachgeht, wenn einem der Verlust dämmert. Aber alles findet sich auf Dauer wieder ein. Und dann können Wunder geschehen.
Es war eigentlich nur preiswerter Beipack für die teuren Burgunderweine des Weinguts Rudolf Fürst (Bürgstadt/Franken). So landeten vor rund zehn Jahren jeweils drei Flaschen „Bundsandsandstein-Terrassen Alter Satz von Riesling & Silvaner“ der Jahrgänge 2003 und 2004 in meinem Keller. Sie wurden nach Ankunft kurz genossen, ohne das Bedürfnis nach mehr zu wecken. Sehr mineralisch waren sie, fruchtarm, mit ordentlich Säure sogar im Jahrgang 2003 – echte Charakterköpfe, herausfordernd. Vor zwei oder drei Jahren öffnete ich eine vergessene Flasche 2003er und war begeistert: Der Wein war ungeheuer hedonistisch, fantastisch balanciert – ein Saufwein für Wein-Gebildete. Ich fand eine Flasche 2004er, von der ich glaubte, sie sei die letzte, war aber enttäuscht. Der Wein wirkte flach.
Aber nun geriet mir die allerletzte 2004er in die Hände. Und, oh Wunder: Der Wein entpuppte sich als perfekter Gentleman: Grüngold funkelte er im Glas, mit feiner Reife, Apfel, Seetang, zarter Süße, reifer, unterstützender Säure im Hintergrund (wohl mehr Silvaner als Riesling) und einer fast etwas schaumigen Viskosität – ein Hochgenuss.
Es gibt eben keine schwachen Weine von großen Winzern. Nur falsche Trinkfenster.
Jetzt ist sie unwiederbringlich dahin, die letzte Flasche eines Weines, der schon lange nicht mehr produziert wird.
Fränkischer Charakterkopf, gerne hätte ich mich noch länger mit Dir unterhalten. Doch habe ich Dich zu lange verkannt. Und jetzt bist Du für immer verstummt. Farewell! Hier setzte ich Dir Dein wohl verdientes Denkmal.
Zu viel des Guten. Ist das möglich beim trocknen Riesling?
Franz Hirtzbergers Singerriedel Riesling “Smaragd”
von Frank Ebbinghaus
(18. Mai, 2015)
Kaum eine Weinbergslage auf der ganzen Welt wird so stark mit einem einzigen Winzer assoziiert wie der Singerriedel von Spitz in der Wachau/Österreich mit Franz Hirtzberger. Seit den frühen 1980er Jahre trieb er mit großem Nachdruck die Rekultivierung von den weitgehend brach liegenden Terrassen dieser Steillage voran. 1987 hat er den ersten (recht bescheidenen) Wein geerntet und schon während der 1990er wurde der Singerriedel Riesling von Weingut Franz Hirtzberger ein begehrter Kult-Wein. Inzwischen ist der Wein der Inbegriff des üppigen Wachauer Riesling “Smaragd”. Frank Ebbinghaus hat 20 Jahrgänge davon verkostet und dieser Mythos ergründet.
Man schließe für einen Moment die Augen. Und male sich den verführerischen Gedanken aus, von einem der besten Weißweine der Welt 20 Jahrgänge am Stück verkosten zu dürfen. Was wäre da zu erwarten? Eine blitzsaubere Reihe von Topweinen, die witterungsbedingten Unwägbarkeiten trotzen und in jedem Jahr gleich hell strahlen, um alles in den Schatten zu stellen? Edle Tropfen, deren jahrgangstypische Ausprägungen ihren Spitzenrang kontinuierlich bestätigen? Oder Weine, in denen sich natürliche Einflüsse wie Mikroklima, Boden und Witterungsverlauf konsequent spiegeln sollen, weshalb der Winzer seinem Gestaltungswillen bewusst Grenzen setzt. Diese Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich vergangenen Samstag das Restaurant Annabelles Kitchen in Berlin verließ. Hinter mir lag eine Verkostung von 20 Jahrgängen des sehr berühmten, teuren und hoch bewerteten Riesling Smaragd Singerriedel des ebenfalls sehr renommierten Wachauer Weinguts Franz Hirtzberger (Spitz/Österreich).
Franz Hirtzberger muss der Welt nichts mehr beweisen. Jahr für Jahr werden seine Spitzenweine von der internationalen Kritik mit hohen Bewertungen bedacht. Sein Weingut steht im Zeichen einer ausgeprägten Kontinuität, die auch seinen längst in den Betrieb eingestiegenen Sohn einschließt. Umso bemerkenswerter, dass er zu dieser Probe persönlich nach Berlin gekommen war und einem kleinen Kreis von Weinfans Rede und Antwort stand. Er tat dies mit einem ganz unaufdringlichen Selbstbewusstsein, das seinen Weinen genug Platz bot für sich selbst zu sprechen. Und das taten sie vernehmlich.
Deshalb zurück zur Eingangsfrage: Welches Ergebnis brachte die Verkostung von 20 Jahrgängen eines solchen Ausnahmeweins? Zunächst ein ernüchterndes: Acht Weine waren nach meinem Geschmack lediglich gut oder sehr gut, bei zwei Weinen notierte ich mir Steigerungspotential, das sich mit weiterer Reife einstellen könnte. Von herausragender Qualität erschienen mir neun Weine, wovon zwei zu wahrer Größe heranwachsen könnten. Nur zwei Weine habe ich als vorbehaltlos groß eingestuft. Bei einem Wein, dem 2007er, den Franz Hirtzberger für sehr vielversprechend hält, lag womöglich ein Flaschenfehler vor. Er ging nicht in die Bewertung ein.
Man sollte das nicht auf die Goldwaage legen. In dieser Bewertung spiegelt sich natürlich mein persönlicher Geschmack. Überdies relativiert genauere Betrachtung das kritische Fazit: Kein einziger Wein schmeckte alt. Und in keinem Jahrgang vermisste man das typische Singerriedel-Geschmacksbild: In der Jugend sind das überschwängliche Marillen- und Litschi-Aromen, mit zunehmender Reife stellen sich Waldhonig ohne Süße, Tabak- und Kräuteraromen ein, wobei diese Weine bei aller Reife über eine sehr präsente Säurefrische verfügen.
Zu diesem sensorischen Eindrücken passen die Aussagen des Winzers, die eine klare Philosophie ausdrücken: In jedem Jahr, so Franz Hirtzberger, wolle man herausholen, was möglich sei. Das bedeutet: Eine späte Lese möglichst reifer Trauben. Wenn Botrytis, dann nur von gesunden, voll ausgereiften Beeren. Und in der Regel wird dem Wein vier bis fünf Gramm natürlicher Restzucker oder mehr gelassen, der für Balance sorgt. Hier hat ein Winzer über Jahrzehnte hinweg ein tiefes Verständnis für „seinen“ Weinberg entwickelt. So ist eine Partnerschaft zwischen gestaltendem Subjekt und Natur gewachsen, wobei letzterer alle Möglichkeiten eingeräumt werden sollen, um sich ohne Zwang bestmöglich zu entwickeln.
Es wundert daher nicht, dass die Weine sehr unterschiedlich schmecken und meine Vorstellung von einem großen Wein mitunter deutlich verfehlen. Das gilt besonders für die Jahrgänge 1998, 1999 und 2000, die bei allen Unterschieden eine übermächtige Wucht einte, die mir jedes Trinkvergnügen raubten. Auch der seinerzeit von der Kritik zum Super-Jahrgang hochgejazzte 2006er enttäuschte mich mit seiner Schwerfälligkeit und dem brandig-süßen Abgang.
Überhaupt: Wer auf Finesse und Eleganz steht, wird mit dem Singerriedel nicht zwangsläufig glücklich. Über einige Feinheit verfügt der 1997er, der heute bereits sehr beeindruckt, aber noch zu echter Größe heranreifen kann. Den 1992er Singerriedel zeichnet eine seidige Säure aus und eine große Harmonie – ein tolles Ergebnis für diesen Jahrgang. Eine echte Überraschung bot der 2003er Singerriedel: Im Hitzejahr gelang Franz Hirtzberger trotz geringer Säure ein sehr animierender, keineswegs fetter Wein. Gelbe Früchte werden von einer nur leichten Süße und von Tabaknoten umspielt, so dass sich ein schöner Trinkfluss einstellt.
Ebenfalls sehr eindrucksvoll, wenn auch geschmacklich aus dem Rahmen fallend, der außergewöhnlich schlanke 1990er. In diesem Jahr hat Hirtzberger einen völlig trockenen Wein erzeugt, der trotz neun Promille Säure und nur einem Gramm Restzucker, sehr harmonisch schmeckt, aber aufgrund seiner markanten Säurefrische nicht jedem am Tisch gefiel.
Was aber macht die wirklich großen Singerriedel-Rieslinge aus? Es ist wohl vor allem die perfekte Balance aus gezügelter Reife und mineralischer Säure, wobei die Frucht in der Jugend nicht zu reif schmecken darf, die Säure hingegen nicht reif genug sein kann. So ein Wein ist der 2004er Singelrieder Riesling Smaragd, ein sehr konzentrierter, aber keineswegs übermächtiger, sondern eleganter Wein, der jetzt in einem ersten Reifestadium ist und mit feinen Fruchtnoten einen charmanten Gegenpol setzt zum lebendigen Mineralienspiel – für mich der beste Wein der Probe, der mühelos neben allen großen trockenen Weißweinen besteht, die ich je probieren durfte. Kaum weniger eindrucksvoll der 2002er aus einem Katastrophenjahr, wie Franz Hirtzberger erzählte, als durch starke Regenfälle im Sommer rund 50.000 Quadratmeter terrassierendes Mauerwerk in den Wachauer Weinbergen eingestürzt waren und zur Rettung das Bundesheer anrücken musste. Der Herbst aber war gut. Und so brilliert auch dieser Wein mit einer eleganten, sehr animierenden Art.
Drei weitere Jahrgänge haben das Zeug, sich ebenfalls zu derartigen Monumenten der Rieslingkultur zu entwickeln: Das ist der recht leicht, fein und ebenfalls elegant wirkende 1997er mit seiner feinen, leicht röstigen Paprikanote, dessen Trauben vor der Lese Frosttage zu überstehen hatten, ohne dass sie selbst gefroren waren. Ebenso der 2001er, der mit einer kühlen Tabaknase besticht, nicht zu reif wirkt und dessen im Moment noch recht deutliche Säure sich mit den Jahren zu einem noch mineralischerem Finish entwickeln kann. Und dann ist da noch der 2013er, der zwar sehr gelbfruchtig-reif wirkt, aber im Gegensatz etwa zum 2009er und 2011er nicht üppig schmeckt, sondern seine reife Frucht durch eine bereits perfekt eingebundene mineralische Säure in einer feinen Salzigkeit bändigt – der macht viel Spaß und hat eine große Zukunft.
Was ist das Fazit? Wer große Weine sammelt, sollte ihren Stil sehr mögen. Mir ist der Singerriedel Riesling Smaragd von Franz Hirtzberger oft einfach zu mächtig und zu kraftvoll. Deshalb kommen für mich auch angesichts der Preise, die im Internet bei knapp 60 Euro gerade erst beginnt, nur wenige Jahrgänge überhaupt in Frage. Und ich würde sie nie blind kaufen. Was aber jene Fans durchaus tun, die diese Weine sehr lieben. Sie können darauf bauen, dass Franz Hirtzberger Jahr für Jahr einen Wein präsentiert, der die Geschichte des Jahrgangs und seiner berühmten Lage erzählt und sich als selbstbewusste Persönlichkeit nicht verbiegen lässt – genau wie seine Erzeuger. Es ist ein Wein, wie ihn der Winzer will und die Natur hergibt. Nicht mehr und nicht weniger.
Am andere Ende der wachauer Geschmacksspektrum befindet sich Erich Machherndl!
Erich Machherndl und die ganz andere Wachau (Österreich)
von Frank Ebbinghaus
(24. April, 2015)
Wer Erich Machherndl reden hört, schaut ihm beim Denken zu. Man spürt, wie Energieströme in Lichtgeschwindigkeit durch die Neuronen und Synapsen seines Gehirns rasen, um als Schallwellen mehr ausgestoßen als sorgsam artikuliert zu werden. Die salvenartige Suada wird in dem Tempo gesprochen in dem sie gedacht wird: impulsiv, aber doch keineswegs ungeordnet. Machherndl, der ein kleines Familienweingut in Wösendorf/Wachau (Österreich) betreibt, hat sich so ziemlich über jedes Detail der Weinbereitung seine Gedanken gemacht. Und lässt seine Zuhörer, die sich in der Berliner Weinschenke „Weinstein“ zur Probe zusammenfanden, keineswegs darüber im Unklaren, dass sich seine Weine detaillierter Überlegungen versanken, die selbst vermeintlichen Kleinigkeiten größte Bedeutung beimessen, wobei der Winzer sehr aufmerksam die Produktionsweisen seiner zum Teil hoch berühmten Kollegen beobachtet.
Knochentrocken und Null Botrytis: So lautet Machherndls Kredo. Er gehört zu einer neuen Generation Wachauer Winzer, die auf einen klaren, mineralischen Weinstil schwört. Und tatsächlich gibt es an diesem Abend einige beeindruckende Weine in diesem Stil zu probieren. Aber die besten Weine sind doch ganz anders.
Was wie ein Widerspruch wirkt, ist doch nur Ausdruck einer urwüchsig kreativen Energie, die diesen Winzer auch dazu antreibt, seine Überzeugungen nicht in Dogmatismus erstarren zu lassen. Aber der Reihe nach. Es gab an diesem Abend die Gelegenheit, neben dem aktuellen Jahrgang auch gereifte Weine zu probieren. Erich Macherndl selbst führt seit 1998 das Weingut, betont aber die große Kontinuität zu seinem Vater, mit einem Unterschied: „Im Gegensatz zu meinem Vater bin ich richtig charmant.“
Das durfte er ruhig aussprechen, denn die gereiften Machherndl-Weinen bestachen mehr durch ihren kompromisslos mineralischen Charakter als durch Charme. So wie der 1992 Kollmütz Grüner Veltliner Smaragd, der, nachdem er eine unangenehme Kellernote abgelegt hatte, nach nassem Stein und feuchtem Laub duftete, unter Lufteinfluss zulegte und vor allem als Essensbegleiter gute Dienste leistete.
Noch lebendiger war der 2001 Jochinger Steinwand Grüner Veltliner Smaragd mit seinem Duft nach grünen Walnüssen, die sich auch im Geschmack wiederfanden, als eine leicht medizinale Aromatik in den Hintergrund trat. Wie gesagt: Fordernd, uncharmant, aber charakterstark und mit Trinkfluss ausgestattet – was für Fans.
Welche Überraschung aber bereitete uns der 1990 Kollmütz Riesling Smaragd? Feine Bienenwachsnoten mischten sich mit Melonenduft, die frische, feine Frucht klang am Gaumen in einer leichten Nougatnote aus. Der Wein verfügt über eine spürbare Süße, die ihm einen gesetzten Alterscharme verleiht, der freilich einer pointierten Lebendigkeit und Eleganz den Vortritt lässt. Gerne würde ich wissen, welcher trockene deutsche Riesling aus diesem vormaligen „Jahrhundertjahrgang“ es mit diesem Wein noch aufnehmen könnte.
Deutlich süßer schmeckte der 2007 Kollmütz Riesling Alte Reben halbtrocken, der schon recht gereift wirkte und einem Eindrücke von mürbem Apfel, Orange und Orangenzeste über den Gaumen schickte bis einen das steinige Finale wieder erdete. Besonders bemerkenswert: Dieser Wein hatte versehentlich einen biologischen Säureabbau vollzogen. Rieslinge können dann oft schlapp und fett schmecken, sie verlieren mit der Äpfelsäure oft ihre Spritzigkeit und Brillanz, was bei diesem Wein aber überhaupt nicht ins Gewicht fiel.
Noch einen spektakulären „Ausreißer“ aus der Produktphilosophie erbrachte die Verkostung des aktuellen, noch nicht abgefüllten Jahrgangs 2014. Denn der erst am Vortag filtrierte 2014 Kollmütz Riesling Smaragd, der mit seiner knochentrockenen, von einer laserstrahlartigen Säure getragenen Art geradezu bestach, weil der Wein eine tolle Harmonie und beeindruckende Länge aufwies, hatte einen noch eindrucksvolleren Zwillingsbruder. Dieser Riesling gleichen Namens wurde am 26. Oktober 2014 gelesen, als sich auf den sehr reifen Trauben gerade ein wenig Botrytis bildete. Eben so viel, dass sie die vielschichtige Frucht des Weins zum Tanzen brachte, während die kräftige Säure ein salziges Finale beschert – ein Meisterwerk im Werden.
Dass auch Erich Machherndls Neuronen und Synapsen gelegentlich ein heißes Tänzchen hinlegen, bewies zum Abschluss ein Experiment. Die Trauben für das 2014 Grüner Veltliner Federspiel waren erst am 26. November 2014 gelesen worden! Der Most lag ganz zehn Tage auf der Maische. „Mein leichtester Wein,“ grinste Machherndl als wir probierten und von einer Wahnsinnsaromatik, die grüne Nüsse, weißen Pfirsich und vieles andere enthielt, hingerissen wurden. Leicht waren hier nur der Alkoholgehalt von 11,6 Prozent und die Gedanken, welche die Entstehung dieses Wunderwerks ermöglichten.
“Pinot-Noir-Musik die meinen Herz trifft aber bezahlbar ist!” Stuart Pigott
Jay Somers: Winemaker / Lead Guitar von Frank Ebbinghaus
(13. April, 2015)
Nina ist so eigenwillig und kompromisslos wie man es von einem Winzer oder einer Winzerin erwarten kann. Für sie gibt es nur ein Ziel, das sie mit Geduld und äußerster Beharrlichkeit verfolgt. Alles andere ist untergeordnet. Egal, ob Wetterkapriolen, Hunger, Schmerz oder völlige Erschöpfung: Kein Hindernis und keine Qual sind groß genug, um Nina auch nur ein Jota von ihrem Weg abzubringen. Wie wohl die Pinot Noirs von J. Christopher (Oregon/USA) schmecken würden, wenn Nina für ihre Erzeugung zuständig wäre? Die Antwort bleibt hypothetisch. Denn Nina ist die deutsche Schäferhündin des Weinmachers Jay Somers (im Bild oben). Und ihre einzige Leidenschaft, die in dieser totalen Hingabe selbst unter Caniden nicht eben häufig zu beobachten ist, liegt im Apportieren von Bällen.
Aber über die Wesensähnlichkeiten von Herrn und Hund kursieren ja die unterschiedlichsten Mutmaßungen. So darf man fragen, inwieweit der Herr nach seinem Hund geraten ist. Und was das für die Pinots des jungen Weinguts J. Christopher bedeutet. Zielstrebigkeit mag man Jay Somers durchaus unterstellen, bedenkt man, dass er seine Winzerkarriere 1996 mit zwei Eimern Trauben im elterlichen Haus begann. Und heute über über 10 Hektar eigene sowie 16 Hektar zugekaufte Reben gebietet sowie über eine stattliche Winery, deren Fasskeller in die Felsen der Chehalem Mountains getrieben wurden.
Und doch würde man prima vista nicht behaupten wollen, Jay Somers sei einer dieser super-ehrgeizigen Masterplan-Winzer. Er wirkt wie ein Künstler, der die Empfindsamkeit seiner sensiblen Seele mit einer Prise Selbstironie bestäubt. Und Künstler ist er in der Tat, einer von hohen Graden sogar, sehr begabt, wie man hier sehen und hören kann:
https://www.youtube.com/watch?v=ytoP4jAlaR0
Der Ziegenabart am Bass ist übrigens Tim Malone. Der hat am feinen Berklee College of Music in Boston studiert und ist im Weingut so was wie Jays rechte Hand. Zwei Musiker, die Pinot Noir erzeugen: Das klingt recht romantisch. Und vielleicht würden die beiden auch heute noch in irgend einer Garage handgemachte Preziosen kreieren, die die Welt nie erreichen, wenn nicht ein deutscher Riesling-Winzer und Burgunder-Aficionado auf Jays Weine aufmerksam geworden wäre und in ihnen die burgundischsten in Oregon gesehen hätte. Eine steile These, gewiss. Aber wenn man weiß, dass sie aus dem Mund von Mosel-Winzer Ernst Loosen stammt, der neben Riesling auch Pinot Noir liebt wie sonst nichts auf diesem Planeten: Dann wird man doch neugierig.
Ernst Loosen wollte immer schon Pinot Noir erzeugen: Das Burgund war ihm zu teuer, die Pfalz, wo er mit seinem Weingut Villa Wolf auch sehr guten Spätburgunder herstellt, für seinen Ehrgeiz zu wenig. Aber die Weine von Jay Somers faszinierten ihn von Anfang an. Und weil Loosen nicht nur das Duracell-Häschen unter den deutschen Weinmachern ist, sondern in puncto kompromissloser Fokussierung auch der wahre Wesensverwandte von Jays Schäferhündin Nina, wurde die Idee eines gemeinsamen Weinguts schnell in die Tat umgesetzt. Dabei war Loosen völlig egal, dass das Mini-Weingut J. Christopher bis dato in den USA keinen Ruf hatte. Loosen dagegen verfügt über einen nicht eben geringen, seit er im Rahmen eines Joint Ventures mit Chateau Ste. Michelle (Woodinville/Washington State) Riesling erzeugt und auch mit seinem Mosel-Marken-Riesling „Dr. L.“ in Amerika gut im Geschäft ist. Dass es riskant ist, wenn ein Riesling-Star in einer anderen Region plötzlich Pinot Noir (ko-)produziert, weil die Marken-Identität Schaden nehmen könnte: Das ist Loosen völlig wurscht. Und der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. Die Weine sind von der Kritik positiv aufgenommen worden.
Kürzlich haben Loosen und Somers einige Pinot Noirs von J. Christopher in Berlin präsentiert. Schnell wurde deutlich, dass Jay Somers, der für Weinstil und -erzeugung verantwortlich ist, sehr klare Ansichten hat. Er holte erdgeschichtlich weit aus, rief die urzeitliche Überschwemmung des Columbia Valley durch die Missoula Flood in Erinnerung, folgte der Entwicklung von Gesteinsmassiven und Böden, räumte mit ein paar Vorurteilen über Neue-Welt-Pinots auf (von wegen breit und fett. Oregon ist kühler als das nördlich gelegene Washington, das Klima ist ziemlich unberechenbar, die Jahrgangsunterschiede groß). Dann erklärte er ausführlich die unterschiedlichen Terroirs und ließ zur Anschauung Bodenproben durch die Zuhörerschaft wandern. Dass die Trauben mit Füßen gestampft und mit Schalen vergoren werden (bringt Struktur und Eleganz), ist kein PR-Gag, ebenso wenig das Bekenntnis zu biodynamischen Produktionsmethoden, die die Böden lebendig und gesund halten. Und klar, spontanvergoren wird auch. All das sollte heißen: Hier weht der Geist von old Europe.
Aber wie schmecken die Weine? Mitgebracht hatte Jay Somers je drei Pinots der Jahrgänge 2011 und 2012, kühl der eine, der andere sehr warm. Man merkte die Unterschiede freilich kaum. Stil des Hauses ist ein kühler, straffer, sehniger und eleganter Pinot-Stil mit viel Struktur und Mineralität. Alle Weine wirkten embryonal und reduktiv. Sie sind komplex, verbergen ihre Frucht aber im Hintergrund. Wer sich jetzt mit ihnen beschäftigen will, braucht Zeit, Geduld und einen großen Decanter.
Und doch schmeckten die Weine sehr unterschiedlich: Während sich der vulkanische, sehr eisenhaltige Boden (ähnlich der Mosellage Ürziger Würzgarten) im 2012 Pinot Noir Dundee Hills in einer fast „blutigen“ Aromatik widerspiegelt, während von Ferne Johannisbeeren und Kirschen grüßen, gibt sich der auf felsigem Meeressediment gewachsene 2012 Pinot Noir ‚Nuages’ (Jazzfans wissen, woher der Name kommt) noch vornehm zugeknöpft, ein eleganter Gentleman, dessen Unnahbarkeit nicht über seine Sinnlichkeit hinwegtäuschen kann. Noch kühler, aber weniger tanninhaltig wirkt der 2012 Pinot Noir ‚Lumiere’, kein Wunder, ist ja auch die kühlste Lage, der Wein wirkt klar und präzise, die süße Kirschfrucht kündigt sich mit viel Finesse an.
Ein sehr warmer Jahrgang? Kaum zu glauben. Die Alkoholwerte liegen bei jedem Wein unter 14 % und damit auch unter den Werten (14,5% – 16%), die im Burgund in einem sehr reifen Jahr erreicht werden.
Die Pinots des Jahrgangs 2011 wirken nur wenig entwickelter. Ein kühlerer Jahrgang, aber auch einer, in dem die Trauben langsam reiften. Gelesen wurde erst im November. Der 2011 Pinot Noir ‚Bella Vida’ trägt dem Jahrgang durch seine kühle Aromatik Rechnung, die aufgrund des eisenhaltigen Vulkangesteins wieder diese eigenartige Blut-Aromatik aufweist, aber auch den Geschmack von Veilchen und kleinen Waldersbeeren. Etwas aus dem Rahmen fiel der 2011 Pinot Noir Lia’s Vineyard, dem Aromen von schwarzer Schokolade und Nougat entströmen, aber auch Kirsche und vieles andere, das noch recht ungeordnet wirkt. Eleganz auch hier, aber auch große Expression. Bevor wir den 2011 Pinot Noir Olenik verkosteten, hatte Jay Somers vernehmlich geseufzt: In richtig warmen Jahrgängen würden die Weine aus dieser Lage locker mehr als 16 % Alkohol aufweisen – eine echte Herausforderung. Aber 2011 war kühl und der auf Basalt und Sandstein gewachsene Olenik zeigt sich wie seine Geschwister sehr fein und elegant, Säure und Tannin sind gut integriert, die Veilchen-, Kirsch- und feinen Orangenaromen deuten auf eine reiche Frucht.
All diese Weine zeigen sehr gute Entwicklungsperspektiven. Das galt erst recht nach der Verkostung des 2007 Pinot Noir Dundee Hills, den ich vor ein paar Jahren schon mal sehr fein und verführerisch im Glas hatte, an diesem Tag aber sehr verschlossen fand. In den USA sei der schwer zu verkaufen, meinte Jay Somers. Das kann man auch als Kompliment für den Wein betrachten.
Und hier noch Musik mit Jay Somers:
https://www.youtube.com/watch?v=qDu1wHsc8dg
Entsetzlich viel Lust macht der Wein!
Lustiger Wein von Frank Ebbinghaus
(29. Januar, 2015)
Jede Weinkarte ist unterteilt in verschiedene Sektionen: Weiß- und Rotwein, Rebsorten, Herkunft, trocken, rest- oder edelsüß. Ein System wie ein Möbelhaus oder das Zentralkomitee der SED, positivistisch, funktional, nicht in Frage zu stellen. Und genau deshalb wieder auch höchst zweifelhaft.
Befrage ich mich nämlich selbst, auf welche Flasche ich Lust hätte, und reiche diese Frage an meinen Weinkeller oder Kühlschrank weiter, so wäre die Weinkartensystematik kaum hilfreich. Ich denke nicht in Regalsystemen oder Sektionen, sondern rufe Sinneseindrücke hervor, betrachte diese wie Seifenblasen, lasse ihre Anmutung auf mich wirken bis eine Entscheidung gereift ist.
Dieser Prozess lässt sich zwar versachlichen, etwa, wenn es um einen Wein geht, der zu einem bestimmten Essen passen soll. Wer sich ihm jedoch sklavisch unterwirft, findet nur selten zum großen Wein-Glück. Denn das Weingenussbedürfnis führt ein starkes Eigenleben. Es ist oft stärker als der Anlass, ein Essen zu begleiten. Ich will in diesem Moment genau diesen Wein. Da ist mir gerade recht, dass er auch zum Essen passen könnte.
Ich befinde mich also in einer erinnerten Aromenwelt, die ich mit meinen Stimmungen und Bedürfnissen abgleiche. Ein Zwiegespräch, das ich natürlich auch mit einer herkömmlichen Weinkarte im Restaurant führen kann, sofern ich die angebotenen Tropfen aus eigenem Erleben kenne. Oder mit einem Sommelier, was überaus reizvoll ist, wenn sein Werben für diesen oder jenen Wein auf mich eine Verführungskraft ausstrahlt. Eine solche Beziehung setzt ein intuitives Verständnis voraus, das mehr im Zwischenmenschlichen als in der Weinkompetenz allein gründet. Um mich anzufixen muss mir keiner eine Terroir-Arie singen oder die Weinbereitungsphilosophie vorbeten. Auch ist mir völlig gleichgültig, ob der Winzer auf Punk steht oder sich als Frau fühlt. Es geht vielmehr um die Wirkung von Poesie (was freilich nicht heißt, dass der Sommelier oder die Sommeliere Sprachkünstlerinnen oder –künstler sein müssten, nein, es geht nur um die Wirkung: den Moment der Verzauberung).
Ich bin deshalb schon froh, wenn die Weinberatung zu dem Ergebnis führt, dass der Wein zum Essen passt und auch noch gut schmeckt. Verzauberung erwarte ich nicht unbedingt im Restaurant.
Und das ist eigentlich schade. Gerade dort, wo der Wein im Mittelpunkt steht, in Weinbars oder Restaurants, die sich zu einer Weinpassion bekennen, wäre doch genau der richtige Ort, um den Moment der Verzückung nicht nur zu suchen, sondern auch zu finden. Wobei – um ein weiteres Missverständnis auszuschließen – das in einem bestimmten Moment größtmögliche Weinglück nicht unbedingt im größtmöglichen Wein liegt. Ja, der Weinkenner oder die Weinkennerin, die eine Karte zu lesen vermögen, sind hier im Vorteil. Aber der große Rest vergnügungssüchtiger und verführbarer Gäste?
Eben daran musste ich denken, als ich mich kürzlich mit Stuart und Freunden in der Berliner Weinschenke „Weinstein“ traf. Naturgemäß oblag dem Großkritiker und Welt-Rieslingversteher, die erste Flasche auszuwählen. Und Stuart sagte zu meiner Überraschung: „Nehmen wir einen lustigen Wein“. Oh Gott, diese Pigottsche Exzentrik! Ein „lustiger Wein“, was soll das bitte schön sein?
Ich erinnerte mich in diesem Moment an meinen Großvater, der mit großem Eifer auszurufen pflegte: „Wein muss nach Wein schmecken, und nach sonst nichts!“ Und phantasierte Loriotsche Restaurantszenen herbei, á la: „Ober, einen Wein, bitte. Aber einen schönen Wein.“
Und doch liegt in diesen satirischen Zuspitzungen eine tiefe Wahrheit und Aufrichtigkeit, die nur deshalb seltsam wirkt, weil sich solche Ansagen und Wünsche nicht aus dem Reich des völlig Subjektiven heraus begeben. Ebenso wie im Pigottschen Bestellwunsch. Ein „lustiger Wein“! Wären wir Fremde unter Fremden gewesen, eine slapstickhafte Kommunikation hätte sich angeschlossen. Aber wir erkannten schnell (und ahnten es bereits früher), was Stuart wollte: Einen Wein, der die Sinne weckt, der freudige Gefühle und gute Stimmung animiert, der auf der Zunge tanzt, ohne das Gespräch durch einnehmendes oder forderndes Verhalten zu behindern. Ein sichere Plattform, auf der sich der Abend und was er an zu leerenden Flaschen mit sich brachte, sinne- und geschmackspapillenweitend aufbauen konnte. Also das, was in vielen Restaurants das Glas Champagner zu Beginn leisten soll, aber selten schafft. (Foto von Vuk Karadzic)
Es wäre also an der Zeit, die hergebrachte Weinkartensystematik zu hinterfragen. Warum gibt es auf Weinkarten keine „lustigen Weine“? Warum keine „Meditationsweine“, die doch immerhin den Hinweis liefern, dass sie alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen und jedes Gespräch absterben lassen? Weshalb fehlen Hinweise auf eine unmittelbare, durchaus sexualisierbare Sinnlichkeit, die dem Genießer eine Schnappatmung und Schweißperlen auf der Stirn bescheren können? Warum werden nicht explizit Weine empfohlen, die Dialog oder Disput hervorrufen. Ja, sogar der „schwierigen Wein“, der erobert werden will und dem Genießer oder der Genießerin alles abverlangt, sei erlaubt. Denn all dies sind soziale Kontexte, die beim Weingenuss denkbar oder sogar wünschenswert sind.
Wer in einem Restaurant oder einer Bar sitzt, will sich unterhalten und zwar auf eine andere Art als zu Hause – selbst wenn ein Gast allein ist. Wein ist Katalysator von Kommunikation, wird aber in diesem Zusammenhang oft völlig unterschätzt. Mit Wein entsteht ein Gespräch, das seine besondere Stimmung erst durch den Zusammenklang von Personen, ihren Emotionen und den passenden Flaschen erzielt. So wie es der „lustige Wein“ vermochte. Es war übrigens ein 2012 Ayler Kupp Riesling Fass 2 des Weinguts Peter Lauer (Ayl/ Saar) – verdammt lustiges Zeug für einen lustigen Abend.
Weniger lustig ist der Wein wenn man ihn nicht trinken kann!
OFF von Frank Ebbinghaus
(6. Januar 2015)
Ich tue es keineswegs aus hehren ethischen oder gar religiösen Motiven. Nicht mal der gesundheitliche Aspekt, der ja wohl nicht von der Hand zu weisen ist, juckt mich. Meine Haltung zum Fasten ist ausschließlich dem Genussprinzip unterworfen. Kurz: Ich faste, um meine Genussfähigkeit zu steigern. Mit Fasten meine ich den Verzicht auf Alkohol. Da ich nur Wein trinke, verzichte ich darauf wie auch auf die Zuführung alternativer alkoholischer Getränke. Null, nichts, nada, dreieinhalb Wochen lang, zwei Mal im Jahr. Sogar unterhalb der Woche – auch da bin ich humorlos prinzipiell – trinke ich zwischen Sonntag und Mittwoch nicht. Nicht immer, aber meistens.
Es ist zum einen ein lustvolles Spiel mit der Abhängigkeit. Denn natürlich – machen wir uns nichts vor – ist die Lust am Weingenuss auch eine Lust am Alkohol. Die überaus sinnliche Erfahrung der komplexen Aromatik des Weins ist von seiner Wirkung nicht zu trennen. Zum Luxus der Weingenießerin oder des Weingenießers gehört, mehrere unterschiedliche Flaschen gleichzeitig zu öffnen und nach gusto und Kondition auszutrinken. Erfahrene Trinkerinnen und Trinker wissen den Zustand einer gepflegten Trunkenheit zu schätzen und zu kultivieren. Die wunderbare Jancis Robinson erzählte mir mal, dass sie privat nur wenig trinke, ein Glas am Abend oder so – genau weiß ich es nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch, enttäuscht gewesen zu sein. Von ihr hätte ich mehr Genusssucht erwartet. Aber vielleicht geht das nicht anders, wenn man täglich mehrere Dutzend Weine probieren (und spucken) muss, beginnend vor dem ersten Zähneputzen, wenn der Geschmackssinn noch gänzlich unbelastet ist. Wird der Genuss zum Beruf, ist die Hölle meist nicht weit.
Ich selbst probiere auch gerne, aber nicht zu oft. Ausufernde Proben verleiden mir alles. Ich trinke lieber. Und manchmal saufe ich auch gerne. Beides tue ich ohne jede Reue, weil ich mir Grenzen auferlege. Ein richtiges Gelage oder vielleicht auch an zwei oder drei Abenden hintereinander genieße ich in vollen Zügen, weil ich mich auf die Abstinenz danach freue. Vier Tage ohne am Stück, die ich mir jede Woche nehme, sind dazu da, meine Akkus wieder aufzuladen und Lust auf das nächste Glas zu wecken.
Trinke ich eine Woche durch (ja, ja, ist auch schon vorgekommen), verliere ich zunehmend die Lust. Am vierten Abend schmeckt es mir nicht mehr so wie am ersten oder zweiten. Und der Rausch wird lästig.
Wenn ich zweimal im Jahr jeweils knapp drei Wochen keinen Wein oder sonstigen Alkohol anrühre, dann ist das eine Zeit der Besinnung. Ich werte die Weingenüsse und –erfahrungen der letzten Zeit aus und überlege, was mir wirklich wichtig ist. Denn es ist doch so: Trinke ich regelmäßig, brauche ich ständig einen neuen Kitzel. Über den Wachauer Winzer F. X. Pichler habe ich mal die Anekdote gehört, er trinke in seinem Urlaub jeden Abend eine Flasche seines Spitzenweins „Unendlich“. Auch so stelle ich mir die Hölle vor. Ich dagegen lasse es nach dem komplexen, introvertierten Moselriesling gerne mal richtig krachen und greife zum Killer-Juice aus dem Barossa Valley. Oder suche in meinem Keller nach einem Wein, den ich ewig nicht getrunken habe. Vielfalt und Gegensätze ziehen mich an. Ich bin verwöhnt und mein Keller oder der meiner Freunde lässt mich selten im Stich. Aber manchmal doch. Dann sitze ich über irgendwelchen Listen, überlege, worauf ich Lust haben könnte und finde nichts. Meine Genussfähigkeit befindet sich dann im Zustand der Abnutzung – höchste Zeit für eine Pause.
Vielleicht ist das der Moment, der manchen Connaisseur dazu treibt, sich an einem oxidativen Naturwein zu erfreuen. Neue Welten tun sich auf, Gedankengebäude werden schmeckbar. Ich faste da lieber.
Kurz vor Ende einer Fastenzeit überlege ich, was ich am ersten Abend trinken will. Eine sehr lustvolle Beschäftigung. Meistens ist es der introvertierte, komplexe Moselriesling. Oft gehe ich dann in Berlin ins Weinstein und beginne mit einem Glas Riesling „Molaris L“ vom Weingut Karlsmühle (Mertesdorf/Ruwer). Ein Riesling, der mir eine Geschichte erzählt. Einfach, aber saugut.
Riesling Heldinnen gibt es wohl auch!
RIESLING HEROES 2014 – Die Riesling-Helden des Jahres von Stuart Pigott
(28. Dezember 2014)
Riesling-Helden? Klingt das nicht abgedroschen? Vielleicht schon. The Stranglers haben 1977 sehr überzeugend „No More Heroes“, keine Helden mehr, gesungen. Dieses Lied gegen Helden begeistert mich heute wie damals. Die Stranglers hatten durchaus Recht, weil das 20. Jahrhundert der Welt ein Überangebot an Demagogen und idealistischen Ungeheuern geliefert hat. Sie haben sich als Helden verkleidet ins Rampenlicht gestellt und Millionen von Menschen über den Tisch gezogen. Aber Riesling ist nicht Macht oder Ideologie, sondern ein besonderes Getränk, das Millionen von Menschen Freude bereitet. Meiner Meinung nach ist jemand, der sich hartnäckig und nachhaltig dafür einsetzt, diese Freude erheblich zu vergrößern Riesling-Held oder -Heldin. Weil die Leistung dieser Menschen eine größere Bekanntheit verdient, habe ich die Auszeichnung „Riesling Held(in) des Jahres“ ins Leben gerufen. Heute stelle ich die ersten Preisträger vor.
Meine (oben abgebildeten) Riesling-Helden 2014 sind (von links nach rechts) Pascal Brooks, der Besitzer von Brooks Wines in Oregon, Janie Brooks Heuck, die Verwalterin, und Chris Williams, der Winemaker. Pascal ist der Sohn des 2004 frühzeitig verstorbenen Gründers Jimi Brooks. Janie ist Jimis Schwester, die bis zu dessen Tod nichts von Wein verstanden hat, und Chris war zu Jimis Lebzeiten seine rechte Hand im Keller. Jetzt entwickelten sie gemeinschaftlich die besondere, von Jimi erfundene Weinstilistik weiter, vor allem bei Riesling und Pinot Noir. Ihre Geschichte habe ich ausführlich in PLANET RIESLING erzählt, aber sie ist damit nicht zur Ende.
Schon bevor mein Buch erschienen ist, hat Janie mit ihrer rechten Hand, Jess Pierce, die RIESLING INVASION in Portland/Oregon organisiert. Diese größte Präsentation von Oregon Riesling-Weinen aller Zeiten begeisterte am 19. Juli mehr als 300 Fans. An diesem Tag wurde mir klar, dass Oregon eine kompakte, aber äußerst dynamische Riesling-Szene hat, die von den Wein- und Gastro-Medien immer noch nicht richtig wahrgenommen wird. Den Grund dafür habe ich in meinem Buch „Pinot-Nebel“ genannt. Mehr als 60% der Gesamtrebfläche Oregons ist mit Pinot Noir bestockt, weitere 10% mit Pinot Gris. Zusammen lenken sie die Aufmerksamkeit der Konsumenten und Journalisten von Riesling und anderen Traubensorten ab.
Während dieses Oregon-Besuchs ist es mir auch klar geworden, dass das Brooks-Team nicht die einzigen Riesling Helden in diesem Bundesstaat sind. Die Peterson-Nedrys der Chehalem Winery – Vater Harry (oben doppelt abgebildet) und seine Winemaker-Tochter Wynne – verdienen ebenfalls diese Auszeichnung. Und seit ein paar Jahren steht sie auch Andrea und James Frey von Trisaetum zu. Aber nur Janie Brooks Heuck ist so oft und so hartnäckig in Sache Oregon-Riesling unterwegs. Sie hat diese Weine zu einem Thema gemacht, das von den Mitgliedern der amerikanische Weinszene nicht mehr leichtsinnig ignoriert werden kann. Manche tun es trotzdem und geben dabei keine gute Figur ab.
Im stillen Kämmerlein des Kellers arbeitet Chris Williams weiter an der Verfeinerung der Brooks-Rieslinge. Er hat das Sortiment in die zart-süße (die Spätlese-artige ‚Sweet P’) und süße (der mächtige und super-konzentrierte ‚Tethys’) Richtung erweitert. Staubtrockene Weine bleiben der Kern des Sortiments, und da setzt Chris so konsequent auf Spontangärung wie kaum ein anderer Riesling-Winemaker des Kontinents. Seine Weine sind Langläufer mit enormem Entwicklungspotential. Es gibt nur ein Handvoll trockener Weine auf dem PLANET RIESLING, die am Anfang ihres Lebens so karg und mineralisch wirken und durch Flaschenreife so viel Charme gewinnen. Diese Weine regelmäßig zurückzuhalten und erst auf den Markt zu bringen, wenn sie aufblühen, verlangt nicht nur starke Nerven, sondern auch einen Businessplan, der wie Janies extra darauf ausgerichtet ist.
Neben der ganzen anderen Arbeit hat Janie den Betrieb im letzten Jahr durch eine große Umstellung gesteuert. Der alte Keller war nicht nur klein, er war viel zu klein für die Produktionsmenge und verlangte von Chris eine Meisterleistung an Improvisation. Inzwischen ist die geräumige neue Kellerei an der Spitze der Estate Vineyard in den Eola-Amity Hills im Betrieb. Die Riesling-Helden 2014 haben eine neue Heimat!
Riesling braucht Helden und die Welt braucht Riesling!
Dönnhoff: Riesling-Licht oder Riesling-Schatten? von Frank Ebbinghaus
(23. Dezember 2014)
Es ist kein Drama, dass das Weingut Dönnhoff (Oberhausen/Nahe) vom Gault Millau Weinguide abgestuft worden ist und nun nach dessen Lesart nicht mehr zu den weltbesten Weinerzeugern zählt. Ein Weinführer, der so fett geworden ist wie die Weine, die man nicht mehr mag, braucht die Polarisierung in diesen, für das Printgeschäft sicherlich nicht ganz einfachen Zeiten mehr denn je als Marketinginstrument. Besonnene Winzer wie die Dönnhoffs (abgebildet oben ist Helmut Dönnhoff) wissen das, halten Abstand und bleiben ansonsten hoffentlich ihrer Linie treu.
Ich selbst hätte davon gar nichts mitbekommen, wenn Stuart nicht so fulminant gegen diese Entscheidung Stellung bezogen hätte. Eine gute Gelegenheit also für eine Begegnung mit aktuellen Dönnhoff-Weinen.
Zunächst gestehe ich gerne, ein großer Dönnhoff-Fan zu sein, genauer: gewesen zu sein. Denn ich mag die Dönnhoff-Rieslinge gerne gereift, habe früher viel gekauft und weil ich einige Flaschen im Keller habe, beachtete ich die jüngeren Jahrgänge immer weniger. Ich behaupte: Nicht weil sie mir nicht gefielen, sondern im Gegenteil: Das Qualitätsniveau erschien mir jedes Jahr zuverlässig so immens hoch, dass ich die Weine blind hätte kaufen können. Hinzu kam: Die Spitzenrieslinge sind in der Jugend oft eher unauffällig – Ausnahmen stellen die Goldkapsel-Auslesen oder die legendären Eisweine dar, die wahre Aromen-Explosionen verursachen können. Unauffällig heißt: Es sind ruhige, selbstbewusste Persönlichkeiten, denen jede Aufgeregtheit abgeht. Modische Spontistinker, die Wildheit suggerieren, sucht man hier vergebens. Alles Vordergründige meiden sie. Anders gesagt: Sie können in der Jugend durchaus vergleichsweise etwas langweilig wirken. Aber der Schein trügt.
Bei den diversen Casting-Shows unter dem Motto „Deutschland sucht das Super GG des Jahrgangs“ fallen Dönnhoffs trockene Spitzenrieslinge stets durch vornehme Zurückhaltung auf. Als sei ihnen der Rummel öffentlicher Vorführung zuwider.
Ihre Stunde schlägt nach mindestens acht bis zehn Jahren (die der rest- und edelsüßen Rieslinge noch später), wenn sie ihre Finesse und ihren großen Schatz an Mineralien ausspielen. Aber auch dann geht ihnen alles Laute ab. Sie verlangen Hinwendung und Konzentration. Wer dazu bereit ist, wird mit einer atemberaubenden Tiefe und Eleganz belohnt, die zu einem Markenzeichen der Dönnhoff-Weine geworden ist. Und mehr noch: Das Weingut Dönnhoff hat auch einen typischen Stil für die Nahe (mit)geprägt, moselanische Finesse mit etwas mehr Kraft und steiniger Mineralität, wie sie auch den Rieslingen des Weinguts Emrich-Schönleber (Monzingen/Nahe) eigen sind.
Wenn ich sage, dass ich die Dönnhoff-Rieslinge gerne gereift trinke, dann heißt das, dass ich die jungen Spitzenweine meide. Nicht, weil ich sie nicht mag, sondern weil ich finde, dass es Verschwendung ist, jetzt aktuelle Jahrgänge der Großen Gewächse in sich hinein zu schütten. Aber von einer 1995er Spätlese oder Auslese, der 2001er Hermannshöhle Spätlese trocken oder ihrem Pendant aus dem Jahrgang 2002 kann ich nicht lassen. Das ist für mich ein Inbegriff großer deutscher Rieslinge.
Nun könnte man einwenden, dass meine Unterlassung bezüglich jüngerer Dönnhoff-Jahrgänge (abgebildet links ist Cornelius Dönnhoff, der Sohn von Helmut, der seit 2007 für den Keller verantwortlich ist) entgegen meinen Beteuerungen und Bekenntnissen vielleicht doch auf eine Abkühlung meiner Leidenschaft deuten könnten, ähnlich dem Befund des Gault Millau Weinguide.
Wäre möglich. Zumal ich mit dem Jahrgang 2011 in der Tat Probleme hatte. Die GG aus dem Dellchen und der Hermannshöhle waren mir zu reif und zu kraftvoll (und zu weit weg vom klassischen, filigranen Dönnhoff-Stil), einen restsüßen Riesling Kabinett (Lage vergessen) empfand ich als zu fett. Aber ich hatte für diese Stichprobe sehr ungünstige Momente gewählt: Die Weine waren viel zu warm, die Probe noch gar nicht eröffnet. Und zumindest dem 2011 Hermannshöhle GG habe ich sofort zugestanden, dass es ein großer Wein ist (auch wenn mir der Stil damals nicht zu 100% zusagte).
Genauso flüchtig probierte ich im September bei der GG-Premiere in Berlin das 2013 Hermannshöhle GG und war mir sofort sicher, dass dies einer der größten trockenen Rieslinge des Jahrgangs ist. Genauer: Ein wahrhaft großer trockener Riesling aus einem schwierigen Jahrgang.
Jetzt wollte ich es genau wissen und habe die Hermannshöhle Riesling GG’s der Jahrgänge 2012 und 2013 über einen Zeitraum von neun Tage parallel probiert.
Ich war stark beeindruckt. Beide Weine strahlen eine Frische und Eleganz, Tiefe und Harmonie aus, die ihresgleichen sucht. Sie zeigten über neun Tage keine Ermüdungserscheinungen, entwickeln über ihre mineralische Säure enormen Zug und zeigen mit angedeuteten Aromen von Tabak, gelben Früchten, grüner Banane und etwas Rauch, dass man sich in ein paar Jahren noch auf vieles mehr freuen kann. Eine feine Phenolik verleiht beiden Wein Grip.
Das 2012 Hermannshölhe GG hat 13,5% Alkohol (wie das von mir seinerzeit wenig goutierte Pendant aus 2011), der etwas herausschmeckt. Aber der allgemeine Eindruck kühler Frische ist so überwältigend, dass das kein Problem sein dürfte. Überhaupt wirkt dieser Wein im Wortsinn wie in Stein gemeißelt, dabei recht verschlossen, aber kein bisschen angestrengt oder anstrengend. Das 2013 Hermannshöhle GG mit 13 % Alkohol wirkt dank seiner leicht traubigen Frucht im Moment zugänglicher. Aber auch hier wird Geduld in einigen Jahren gewiss reich belohnt.
Was mich auch an diesen Dönnhoff-Weinen sehr beeindruckt, ist dieser völlig unkapriziöse, geradezu schlichte Gestus, mit dem sich ihre Größe und Komplexität mitteilen. Diese schwer zu beschreibende Eigenschaft (sie erinnert mich an Menschen höchster geistiger und charakterlicher Bildung, deren Auftritt dank eines Selbstbewusstseins, das sich in völligem Einklang mit der Welt weiß, größte Natürlichkeit ausstrahlt und deshalb so eindrucksvoll wirkt) verbindet sie mit den größten Weinen dieser Welt, die ich bisher trinken durfte.
Auch mich hat PLANET RIESLING wieder überrascht!
RIESLING REVELATIONS 2014 – Die große Riesling-Offenbarungen des Jahres von Stuart Pigott
(21. Dezember 2014)
2014 war mein persönliches Riesling-Jahr: Ich habe mein Riesling-Buch fertiggeschrieben und einer durstigen Welt vorgestellt. BEST WHITE WINE ON EARTH wurde im Juni in New York von Stewart, Tabori & Chang veröffentlicht, und PLANET RIESLING, die erweiterte deutschsprachige Ausgabe erschien vor wenigen Wochen im Tre Torri Verlag, Wiesbaden. Die Resonanz war überwiegend sehr positiv, am vergangenen Freitag gab es ein dickes Lob durch die israelische Zeitung Haaretz. Aber natürlich hat das Buch auch polarisiert. Nicht jeder versteht Riesling oder wird es je schaffen.
So muss es sein!
Als mein Buch erschien, war es topaktuell, aber der PLANET RIESLING dreht sich so schnell, dass ich seither einige wichtige Entdeckungen machen konnte. Diese Weine werden als meine RIESLING REVELATIONS 2015 geehrt. Es gibt sie in fünf Kategorien, weil es fünf Riesling-Hitlisten in meinem Buch gibt: für die besten trockenen, feinherben, zartsüßen, süßen und „Bladerunner“-Rieslinge. Ein Bladerunner ist ein besonders gewagter Wein. Diese stilistische Vielfalt zählt zum wichtigen Kapital des Rieslings, obwohl es auch manche Konsumenten verwirrt.
So muss es sein!
DRY / TROCKEN:
2012 13th Street Vineyard Riesling – 13th Street in Catharines, Ontario/Canada
Die meisten Riesling-Weine von der Niagara-Halbinsel in Ontario sind feinherb oder zartsüß, weil hier die Säure in den Weinen fast immer sehr ausgeprägt ist. (Ja, Übersee-Rieslinge können noch mehr Säure besitzen als europäische Rieslinge!) Winemaker Jean-Pierre Colas ist mit diesem Wein der erste beeindruckende trockene Riesling des Gebiets gelungen. Erstmals habe ich diesen Wein September 2013 verkostet und seine überraschende Geschmeidigkeit in PLANET RIESLING gelobt. Seither hat er sich großartig entwickelt. Sein aromatischer Reichtum macht ihn jetzt zum besten trockenen kanadischen Riesling, den ich je erlebt habe. Der aus dem Burgund stammende Colas hat dieser Weinkategorie ein ganz neue Perspektive hinzugefügt. Zwar hat er darauf verzichtet, diesen Wein wie einen Chardonnay auszubauen, aber manche Ideen aus dieser ganz andere Welt des Weißweins hat er für den Riesling erfolgreich adaptiert.
Chapeau! Und der Wein ist noch für kanadische $23,95 ab Hof zu kaufen!
MEDIUM-DRY / FEINHERB:
2013 Riesling – Sphera in Kibbutz Gat, Judean Hills/Israel
Das Letzte, was ich in Israel erwartet habe, war ein eleganter Riesling. Denn das Klima ist „falsch” für diese Art von Weißwein. Das war meine feste Überzeugung. Dann hat mir Winemaker Doron Rav Hon von Sphera bewiesen, dass es mit der richtigen Lage (Nordhang) und einem sehr genauen Einsatz von Bewässerung möglich ist, sagenhafte Weine aus meiner Lieblingstraube zu erzeugen. Die Aromen von weißen Blüten und nassem Laub, diese leichtfüßige und filigrane Art haben mich schwer an den Weinen aus Cool-Climate-Gebieten wie der Mosel erinnert. Als ich den Wein das erste mal im Oktober in Tel Aviv verkostete, war ich verführt, den Alkoholgehalt um mehrere Volumenprozent zu unterschätzen und die Süße des Weins genauso deutlich zu überschätzen. In der Tat hat der Wein ganze 13% Alkohol und nur etwa zehn Gramm Restsüße/Liter. Nur ein visionärer Winzer wie Doron schafft es, solche bisher unerkannte Möglichkeiten ans Tageslicht zu bringen!
Leider war die Produktion ziemlich klein, und der Wein ist sehr schwierig aufzutreiben.
MEDIUM-SWEET / ZARTSÜSS:
2013 Oelsberg Riesling Spätlese Feinherb – Dr. Randolf Kauer in Bacharach, Mittelrhein/Germany
Seit mehr als 20 Jahren kenne ich Randolf Kauer, Professor für Ökoweinbau an der Wein-Uni in Geisenheim/Rheingau. Wie kann es dann bei ihm etwas wirklich Neues geben? Schon damals gelangen ihm einige erstaunliche herbe Rieslinge im Mini-Weingut in Bacharach im Süden des winzigen Mittelrhein-Gebiets. In PLANET RIESLING habe ich ihn für seine aktuellen Weine sowie für seinen Einsatz bei der Rekultivierung der terrassierten Spitzenlage Oberweseler Oelsberg gelobt. Seine ersten Weine aus dieser historischen Steillage waren genau so schlank, rassig und mineralisch wie seine anderen Rieslinge. 2013 hat er diesen überraschenden, zartsüßen Wein mit großartigem Schmelz, enormer Würze und fast ewig langem Finale erzeugt. Dieser Wein zeigt in eine ganz andere Richtung als alle anderen Mittelrhein-Weine die mir bisher begegnet sind. Übrigens, er stammt von jungen Reben!
Diese RIESLING REVELATION ist noch erhältlich, für Euro 12,50 ab Hof.
SWEET / SÜSS:
2011 Riesling “No. 198 Reserve” – Boundary Breaks in Finger Lakes, New York/USA
Jahrelang hat die Mehrheit der Winzer im Finger Lakes-Gebiet im Norden des amerikanischen Bundesstaats New York zwanghaft versucht, staubtrockene Riesling-Weine zu erzeugen, was sehr schwierig war auf Grund des ausgeprägten Säuregehalts und des schlanken Körpers dieser Weine. Erst in den letzten Jahren haben sie begriffen, dass ein harmonischer Geschmack wichtiger ist als irgendwelche analytischen Werte. Als Bruce Murray sein Mini-Weingut Boundary Breaks in den Finger Lakes gründete, da tat er dies aus einer Konsumenten- Perspektive, weil er noch hauptberuflich in der Marktforschung gearbeitet hat. Erstaunlicherweise stammt dieser Wein aus seinem ersten Jahrgang. Verantwortlich für diesen Wein ist Kelby Russell, der junge Winemaker von Red Newt Cellars; er kümmert sich auch um die meisten Boundary-Breaks-Weine. Es ist vermutlich der bisher beste Wein dieses Duos, er verfügt über die Reinheit, Brillanz und Feinheit, die viele Riesling-Fans mit den Weinen von Cornelius Dönnhoff an der Nahe verbinden. Noch steht dieser Wein am Anfang eines langen Lebens, genau wie Bruce Murray’s Boundary Breaks.
Leider ist diese süße Riesling-Sünde schon ausverkauft.
BLADERUNNER:
2013 ‘Meskeoli’ – Dos Cabezas in Sonoita, Arizona/USA
Was wäre wohl von einer Cuvée aus den Trauben Picpoul Blanc, Viognier, Roussanne (aus dem Rhônetal), Albarino (aus Nordwest-Spanien und Nord-Portugal), Muscat und Malvasia (aus dem östlichen Mittelmeerraum) und Riesling zu halten? Der ‘Meskeloi’ von Winemaker Todd Bostock schmeckt nicht nur einfach toll, er schmeckt als wären solche Cuvées ganz selbstverständlich. Als ich diesen Wein das erste mal im Oktober im Asylum Restaurant des Grand Hotels in Jerome, Arizona, verkostete, hat er mich richtig umgehauen. Riesling (15%) bildet zusammen mit Albarino, Muscat und Malvasia (jeweils 3%) einen silbernen Faden von mineralischer Frische, der perfekt mit der Üppigkeit von Viognier (25%) und Roussanne (13%) verwoben ist. Picpoul Blanc (38%) wirkt wie das Bindeglied zwischen diesen doch sehr unterschiedlichen Rebsorten. Ihre Summe führt auch zu einer beachtlichen aromatischen Komplexität. Riesling-Cuvées sind cool, wie dieser Wein beweist!
Dieser wunderbare Stück Riesling-Wahnsinn kostet US$28 ab Hof.
Ab dem kürzesten Tag geht es wieder (auch mit Riesling) aufwärts!
PLANET RIESLING ist endlich da! von Stuart Pigott
(6. Dezember 2014)
Lange fühlte ich mich wie ein Prophet in die Wüste, aber inzwischen ist Riesling ein globale Kult. PLANET RIESLING (Tre Torri Verlag) berichtet ausführlich darüber. Das Foto entstand im Keller von Weingut Heumann-Löwenstein in Winningen/Mosel. Reinhard Löwenstein ist Erfinder des neu-alten Mosel-Weins.
Dass Rieslingtrauben nicht nur in Deutschland wachsen, sondern auch in vielen anderen Ländern rund um den Globus, wissen die meisten Weinfreunde schon. Dass diese nicht-deutschen Weine großartig schmecken können, und es darüber hinaus ein globales Netzwerk gibt von guten Riesling-Erzeugern, Sommeliers, Händlern und Fans, wissen aber die wenigsten von ihnen. Aus diesen Gründen heißt mein neues Buch PLANET RIESLING (Tre Torri Verlag). Aber woher rührt diese, auch für mich, überraschende weltweite Begeisterung?
Der kurze Antwort folgt unten. Wer mehr Zeit hat liest der Auszug aus meinem Buch in der FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG von 10. Dezember:
Neben dem bedeutenden Einsatz für Riesling von Fanatikern wie den Sommeliers Paul Grieco aus dem Terroir in New York, Matt Swieboda aus der Weinbar Love Tilly Devine in Sydney und Roy Metzdorf vom Weinstein in Berlin, war die unentbehrliche Basis für die Entwicklung zum PLANET RIESLING ein qualitativer Aufschwung der Riesling-Weine in vielen Ländern und Gebieten seit der Jahrhundertwende. Doch das wäre nicht zu Stande gekommen, wenn es nicht schon vorher einen Riesling-Aufschwung in Deutschland gegeben hätte.
Deutschland ist das Riesling Mutterschiff, weil auch im 21. Jahrhundert die mit Abstand bedeutendste Riesling-Erzeugernation ist. Bedingt durch das Klima, gibt es in Deutschland die größte stilistische Vielfalt der Riesling-Weine und durch die Riesling-Begeisterung im Markt gibt es in Deutschland den stärksten Innovationsdrang. Auch die Weinkultur von Ländern, in denen statistisch gesehen wenig deutscher Riesling getrunken wird, werden davon beeinflusst, denn die deutschen Rieslinge, die dorthin gelangen, werden oft von den Kernfiguren der Weinszene getrunken. So werden nicht nur Riesling-Weine, sondern auch Riesling-Inspiration aus Deutschland exportiert!
Riesling Begeisterung wo man es nicht vermuten würde, in Austin/Texas!
Trotzdem besteht eine Flotte nicht alleine aus einem Mutterschiff! Seit der Jahrhundertwende entwickelten sich die amerikanischen Rieslinge rasant. Fünf Jahre in Folge war Riesling die am schnellsten wachsende Weinkategorie in den USA. Das schlug sich in einer Welle von Weinbergspflanzungen nieder, deren Ausmaß bisher von den Medien nicht wahrgenommen wurde. Zwischen 2001 und 2011 wuchs die Rieslinganbaufläche um 100% in Washington State (Platz eins), um 175% in Kalifornien (Platz zwei) und in Michigan (Platz vier) um ganze 180%. Zwischen 2006 und 2011 betrug die Wachstumsrate in New York State (Platz drei) 56%. Damit ist die USA zur zweitgrößten Riesling-Erzeugernation heran gewachsen! Parallel dazu stieg das qualitative Wachstum, wie man in PLANET RIESLING lesen kann; in allen meinen fünf Hitlisten der besten Weine der Welt sind amerikanische Weine vertreten!
Auch über andere Länder wie Kanada, Neuseeland und Chile, in denen es einen Riesling-Aufschwung gab, wurde bisher wenig berichtet. Durch die Riesling-Innovation aus Europa und Übersee entsteht wahrhaftig ein neue Geschmackswelt. Mein neues Buch sehe ich als Anleitung zu den neuen Weinen. Obwohl das Deutschland-Kapitel des Buchs wesentlich länger ist als in der englischsprachigen Ausgabe (BEST WHITE WINE ON EARTH bei Stewart, Tabori & Chang Verlag, New York) ist das Buch keinesfalls eurozentrisch, es nimmt alle Länder und Gebiete gleichmäßig kritisch wahr.
Ein wichtiges Anliegen von PLANET RIESLING ist der Abbau von Riesling-Mythen. Häufig wird von deutschen Weinfreunden behauptet, die Riesling-Weine aus Übersee schmeckten fett und süß, säure- und aromaarm. Dafür werden keine Beweise hervorgeholt, sondern die Tendenz, die es bei Übersee-Rotweine und Chardonnays gibt, wird einfach auch den Riesling-Weinen der gleichen Länder unterstellt. Die Wahrheit ist aber, dass die Riesling-Weine aus Übersee meistens ähnlich säurereich oder noch säurereicher als die deutschen Rieslinge sind.
Oft haben deutsche Weinfreunde mir gegenüber behauptet, deutsche Rieslinge seien grundsätzlich die Besten der Welt, weil es hierzulande große Tag-Nacht-Temperaturschwankungen gäbe, dagegen in Übersee anhaltende Hitze herrsche. Die Wahrheit ist aber, dass die Temperaturschwankungen in vielen Überseegebieten wesentlich größer sind als in Deutschland. Wir haben nicht nur ein falsches Bild von vielen Übersee-Weingebieten, sondern auch von den deutschen Weingebieten. Durch eine Reise um PLANET RIESLING läßt sich sehr viel neues erfahren. Las uns los fahren!
Stuart Pigott, New York & Berlin
PLANET WEIN kommt bald! von Stuart Pigott
(25. November 2014)
Jetzt ist es ganz klar geworden: manche Mitglieder der deutschen Weinszene sind gegen Dönnhoff. Seit der ‚Gault Millau Weinguide Deutschland 2015’ das weltberühmte Riesling-Weingut H. Dönnhoff in Oberhausen/Nahe herab gestuft hat, ist das Gut Objekt einer heftigen offenen Kontroverse. Jetzt sind die Gegner, die das Weingut bisher hinter vorgehaltener Hand zerredet haben, lautstark geworden. Jetzt gibt es Aufruhr im Nahetal, das sonst so schön und ruhig ist!
Ich stehe aus tiefer Überzeugung auf der anderen Seite als der Gault Millau und das nicht, weil ich seit Oktober 1986 die Familie Dönnhoff kenne. Aus meiner Sicht ist die Qualität der trockenen Dönnhoff-Rieslinge (vor allem die feinfruchtigen und kraftvollen „Großen Gewächse“– auch aus 2013) in den letzten Jahren keinesfalls abgesackt, sondern eindeutig gestiegen! Die edelsüßen Riesling Spätlesen des Guts sind nach wie vor vielschichtig und brillant. Deswegen feiert mein neues Buch PLANET RIESLING, das kurz vor Weihnachten im Tre Torri Verlag erscheinen wird, die Dönnhoff-Rieslinge und in der Ausgabe der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) vom 23. November habe ich Cornelius Dönnhoff zum Winzer des Jahre gekürt. So muss es sein!
Damit bin ich möglicherweise auch in die Schusslinie geraten, aber in meinen Buch und in der FAS-Kolumne geht es nur um die Wahrheit und dazu muss ein kritischer Journalist stehen. An Angriffe bin ich schon seit Jahrzehnten gewöhnt; wer eine klare Position bezieht, wird beschimpft. Ein Buch wie PLANET RIESLING, das die Riesling-Weine der Welt beschreibt, ist Jahre lang im Umlauf und bleibt die ganze Zeit der Kritik ausgesetzt. Gerne!
Manche Leser werden zu Recht fragen, warum das Weingut Dönnhoff in der Kritik steht. Ist das Gut nicht eines der Riesling-Monumente Deutschlands? Ja, das ist es schon und nicht erst seit gestern. Mit den Jahrgängen 1989 und 1990 ist Helmut Dönnhoff vom Geheimtipp zum international bekannten Riesling-Erzeuger avanciert. Nach der Jahrhundertwende ist „Dönnhoff“ durch einen großartigen Jahrgang nach dem Anderen zum Inbegriff der rassigen und mineralischen trockenen und der filigranen süßen Riesling-Weine geworden. Seitdem war die Rede von „der Helmut“ und manchmal war der Ton schon halbreligiös!
Nun wurde vor kurzer Zeit bekannt, dass Helmuts Sohn Cornelius (oben in Central Otago/Neuseeland) schon seit einigen Jahren hinter den Dönnhoff-Weinen steckt. Seit 2007 ist er für den Keller des Guts und viel mehr verantwortlich. Lange haben viele Mitglieder der deutschen Weinszene diesen Fakt verdrängt, weil sie an ihrem „heiligen Helmut“ festhalten wollten. Nach und nach mussten sie die tatsächliche Situation im Gut wahrnehmen und das war offensichtlich ein ziemlicher Schock. Aus der Sicht vieler Gegner ist Cornelius Dönnhoff das Problem, weil er nie wie sein Vater werden kann. Das ist natürlich gehässiger Unfug!
Auch „sachliche“ Argumente werden von manchen Gegner vorgebracht. Sie deuten mit dem großen Zeigefinger auf die angeblich glatten und/oder technokratischen Dönnhoff-Rieslinge. Das starke Wachstum des Guts seit der Jahrhundertwende wird als Bestätigung für diese Behauptung genommen. Doch nur wenn man gewollt die Dönnhoff-Weine im Vergleich mit misslungenen „Natural Wines“, die nur stinkig und ruppig schmecken, stellt, wirken sie „glatt“ oder „technokratisch“, bzw. reintönig und geschliffen. In der gegenwärtigen Weinszene gilt „Authentizität“ über Alles, auch wenn es stinkt und beißt! Urig auf Teufel komm raus waren die Dönnhoff-Rieslinge aber nie. Feinheit und Eleganz sind die Ziele von Cornelius, genauso wie sie es für seinen Vater Helmut waren.
Der Hauptunterschied zwischen den Weinen von Vater und Sohn erwächst aus der Klimaerwärmung. Während der 1970er, ‚80er und weit in den ‚90er Jahre musste Helmut um reife Trauben kämpfen. Heutzutage ist das aber kein großes Problem mehr. Das ist der Grund, warum die Weine von Cornelius oft etwas voller und einen Tick weicher in der Säure schmecken als die seines Vater. Aber auch dieser Umstand ist für die Gegner schlichtweg falsch; für sie muss Alles beim Alten bleiben.
Da denke ich an Friedrich Nietzsche, der solch krankhaft negative deutsche Geister als “Tarantulas” bezeichnet hat. Ich bin auf der Seite der globalen Community der Dönnhoff- und Riesling-Fans. Sie sind auch das Thema von PLANET RIESLING.
Hiermit ein spannende und hochoriginelle Bericht zum Thema Weinkonsum. SP
DAS WEIN-BIOTOP von Frank Ebbinghaus
(19. November 2014)
Wein ist eine Gesellschaftsdroge. Wer jetzt ausschließlich an die berauschende Wirkung des Alkohols denkt, liegt falsch, wenn auch nicht völlig. Der Rausch ist für das Wohlgefühl beim Weingenuss natürlich nicht ganz unbedeutend. Aber nicht auf diese Wirkung sei abgezielt, wenn von der Droge die Rede ist. Sondern auf die soziale Dynamik. Wein kann Gesellschaft konstituieren und zwar ganz real. Er setzt der virtuellen Vernetzung, die allzu oft von individueller Einsamkeit ablenken soll, ein konkretes gemeinschaftliches Erleben entgegen. Man muss nicht befreundet sein, man muss sich nicht mal besonders gut oder lange kennen, um über Wein intensiv ins Gespräch zu finden. Der Wein-Diskurs bietet auch einen Schutzraum, um sich über Gefühle und Empfindungen, die man beim Genuss erlebt, offen und spontan auszutauschen. Dabei wollen wir nicht unterschlagen, dass der Drang nach Selbstdarstellung, gesellschaftlichem Ansehensgewinn und Rangerhöhung kein geringes Motiv darstellt.
Berlins Weinbars und Restaurants mit vinophilem Einschlag (die Weingenuss durch ein erlesenes wie erschwingliches Angebot und durch eine entsprechende Atmosphäre stimulieren) bieten dazu nahezu täglich reichen Anschauungsunterricht. Hier etabliert sich ein gesellschaftliches Biotop, das mit seiner besonderen Form von Offenheit, sozialer Kompetenz und dem Bedürfnis nach verbindenden Gemeinschaftserlebnissen in Großstädten einen avantgardistischen Trend gegen Vereinzelung, Anonymisierung und Virtualität setzt. Denn ebenso berauschend wie der Wein selbst, wirkt die Gruppendynamik, die von einem solchen Abend ausgehen kann.
Deshalb rufe ich an dieser Stelle alle vinophilen Gastronomen auf, in ihren Lokalen einen Tisch zu freizuhalten, an denen Weinverrückte spontan und zwanglos zusammenfinden können, um ein solches Erlebnis zu teilen. Ermutigen Sie diese Gäste, ihren eigenen Wein mitzubringen. Probieren Sie ihn und diskutieren Sie darüber. Ein Korkgeld lindert die Umsatzeinbuße. Aber auf längere Sicht werden Sie profitieren.
Avantgardistisch ist der gemeinschaftliche Weingenuss auch, weil er in besonderer Weise gesellschaftliche Distinktion ermöglicht. Man schaue nur mal auf Gesellschaften mit starker sozialer Mobilität, die quasi über Nacht Heerscharen Neu- und Superreicher ausspucken (was diese ungebremsten Zentrifugalkräfte am Rande der Gesellschaft ausrichten, darüber der Mantel des Schweigens). Wie hebt man sich ab, wie zeigt man Extravaganz und Reichtum? Die Privatjets, die Lamborghini-Flotten oder die Mega-Jachten sind Statussymbole, die in den post-kommunistischen Gesellschaften und den sich rasant entwickelnden Volkswirtschaften Asiens für Aufstieg und die Überwindung politischer Fesseln stehen.
Aber man hat sie nicht immer dabei, wenn man andere beeindrucken will, allenfalls auf dem iPhone. Und eigentlich sind sie schon zu gewöhnlich. Ausschließlich aufs Materielle gerichtet grenzen sie Reiche von weniger Reichen ab. Aber wenn man in der gesellschaftlichen Belleetage unter sich ist, dann helfen eigentlich nur noch Kunst und Wein, um aus einem reichen einen besonderen Menschen zu machen.
Der Umgang mit erlesener Kultur bezeugt Kennerschaft und Kultiviertheit, Stil und Passion. Wein gehört unbedingt in diesen Kontext, natürlich nur die superteuren, von Robert Parker mit Höchstbewertungen versehenen Rotweine der Alten Welt. Sieht man vom Preis ab, ist ihnen das Immaterielle, aufs Höhere Abzielende geradezu eingeschrieben. Denn der Genuss ist flüchtig. Ist die Flasche geleert, bleibt nur die Erinnerung.
Genau darin liegt der besondere Reiz und die sinnstiftende soziale Dimension des gemeinsamen Konsums edler Tropfen. Wer mittrinkt (oder mittrinken darf), erfährt eine besondere Gunstbezeugung. Und der Glanz des Produkts fällt auf den edlen Spender zurück.
Diese Wirkung kann berechnet sein: Am Oligarchentisch wird mit Wein regiert. Aber sie kann in einem weniger statushörigen Kontext auch aus völlig altruistischen Motiven erfolgen: So etwa, wenn der Wirt der Kurpfalz-Weinstuben in Berlin, Rainer Schulz, für einen erlesenen Kreis von Weinfreunden und alter Stammkunden am 9. November 1989 eine Flasche 1989 Chateau Mouton-Rothschild öffnet (Stuart berichtete). Die Haltung, mit der diese Gabe unters dürstende Volk gebracht wird, ist die reinster Freude. Man tritt dem Kurpfalzstuben-Wirt gewiss nicht zu nahe, wenn man unterstellt, seine einzige Berechnung lag darin, den verzückten Glanz in den Gesichtern der Trinker sehen zu wollen.
Man wird aber ebenfalls annehmen können, dass Rainer Schulz diese Geste nicht allabendlich für jeden Gast wiederholen wird. Wobei sein Kalkül vermutlich gar nicht primär auf die begrenzte Verfügbarkeit dieser kostbaren Ressource und ihren Preis gerichtet sein wird, sondern vor allem die Angemessenheit berücksichtigt.
Gerade das Kriterium der Angemessenheit als Selbstverpflichtung ist ganz entscheidend für die Konstituierung einer Wein-Gesellschaft. Das Kunststück liegt darin, elitäre und egalitäre Wirkungen auszubalancieren. Denn wenn die Zugehörigkeit zur Wein-Society über Passion, Genussfähigkeit und Kennerschaft definiert ist, dann können die unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der Teilnehmer desintegrierend wirken. So wäre es beispielsweise töricht, wenn ein gut betuchter Genießer mit einer superteuren Flasche neue Freunde finden wollte. Der Schuss könnte nach hinten losgehen, mögen die Motive noch so edel sein. Denn manche Begünstigten, die sich eine solche Flasche nie im Leben leisten könnten, würden in diesem großzügigen Akt ihre eigene Unterlegenheit gespiegelt sehen und zumindest unbewusst abwehrend reagieren. Ich selbst habe kürzlich gezögert, der Einladung eines mir bis dato unbekannten High End-Sammler zu folgen, von dem es hieß, er trage stets einige sehr kostbare Trouvaillen im Gepäck, die er auch umstandslos öffne. Es wäre mir schwer gefallen, mitzutrinken. Zum Glück kam es anders. Die Flaschen, die er kredenzte waren erlesen und großartig, aber für mich nicht unerschwinglich. Er hielt sich an das Kriterium der Angemessenheit und wies neben Großzügigkeit, Kennerschaft und gutem Geschmack auch Takt und Respekt nach. Auch so funktioniert Distinktion über Wein.
Anders ist es mit engen Freunden oder langjährigen Gastgebern. Von ihnen lässt man sich gerne auch mal luxuriös verwöhnen (und verwöhnt sie), denn Vertrautheit und Sympathie haben längst dafür gesorgt, dass die Gabe ausschließlich als ideeller Wert vermessen wird: als Ausdruck persönlicher Wertschätzung und Anerkennung gleichgerichteter Passionen. Schon aus diesem Grund verbietet es sich praktisch von selbst, wenn der Wirt der Kurpfalz Weinstuben den 89er Mouton für jeden x-beliebigen Gast aufmachen würde.
Was aber, wenn mir der 89er Mouton nicht schmeckte, wenn ich ihn gar fehlerhaft fände, wohlmöglich als Einziger am Tisch? Eine sehr heikle Situation. Zu viel Offenheit kann verletzend wirken, stummes Trinken ignorant. Beides ist gefährlich für die Gruppendynamik. Einen Ausweg bietet die schonungslose Selbstbefragung (Schmeckt mir der Wein nicht? Ist er einfach nur schwach oder fehlerhaft? Oder finde ich den Spender scheiße und will es ihn über meinen Wein-Kommentar spüren lassen?). Es folgt eine selbstkritische Stellungnahme, wobei der subjektive Eindruck in seiner ganzen Fragwürdigkeit im Vordergrund stehen sollte: Ich komme mit dem Wein nicht zu Recht, finde im Moment keinen Zugang, ist toll, aber nicht mein Geschmack usw. Solche Statements können – auch wenn sie den edlen Spender zunächst düpieren – förderlich für die Gruppendynamik sein. Denn die Geschmäcker sind verschieden. Sie lassen sich nie im Einzelnen begründen und stehen für Individualität und Vielfalt und verdienen höchsten Respekt. Sie sind der Motor eines perfekten Gemeinschaftserlebnisses mit Wein. Ohne dieser Vielfalt den ihr gebührenden kommunikativen Platz zu schaffen, wäre ein Weinabend nur ein hohles Besäufnis.
Fotos von Gerhard Gneist
WEINHIER ist der deutsche Wein verpflichtet und sucht ständig nach Neuigkeiten.
DIE NEUE PFALZ HEISST AUCH SCHWEDHELM
von Frank Ebbinghaus
(25. Oktober 2014)
Für viele deutsche Winzer war der Jahrgang 2013 eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre. Für einen nicht: Stephan Schwedhelm, Jahrgang 1979, der gemeinsam mit seinem Bruder Georg (links abgebildet) seit ein paar Jahren den elterlichen 17 Hektar-Betrieb in Zell/Pfalz führt, hat ausgerechnet in diesem schwierigen Jahr an der Qualitätsschraube gedreht. Mir waren die Weine bei der Berliner GG-Premiere Anfang September stark aufgefallen. Das Weingut Klosterhof Schwedhelm ist (noch) kein VDP-Mitglied, durfte sich aber als eines der „Pfälzer Spitzentalente“ des VDP in Berlin präsentieren. Beeindruckt hat mich, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit hier Weine gelangen, wo manche GG von VDP-Spitzenerzeuger doch noch hart mit sich rangen.
Und wirklich: Ein schwieriges Jahr war es für die Schwedhelms eigentlich nicht. Der Ertrag lag nur minimal unter dem Durchschnitt „normaler“ Jahre. Die Säure ist zwar etwas höher, aber perfekt integriert. Die Weine schmecken richtig reif. Was bedeutet: Mineralische Finesse bei moderaten 12,5% Alk. entsprechen dem Stilwillen der Erzeuger. Pfälzer Barock ist hier unerwünscht.
Von den Eltern hat man einen breiten Rebsortenspiegel geerbt. Ein paar Jahre brauchte es, bis die Brüder herausfanden, welcher Weinberg für welche Rebsorte am besten geeignet ist. Riesling und Burgundersorten rücken ins Zentrum. Denn mag auch das schöne Zellertal ein wenig abseits der Wertschätzung vieler Weinfans liegen, die Schwedhelms sind vom großen Potential ihrer Weinberge sehr überzeugt. „Das Zellertal hat einzigartige Böden,“ erklärt Georg, der für Marketing und die Bücher zuständig ist, während Stephan über Weinberge und Keller herrscht, „Südhänge mit Kalk und Ton, bis 35 Prozent Steigung, schön windig – ein wenig wie im Burgund“.
Und wirklich: Alle Weine, die ich probierte, sind stark durch den Kalkboden geprägt. Er gibt ihnen Eleganz, Finesse und diesen unverwechselbaren Kalkstein-Geschmack, eine ganz feine, fast kreidige Aromatik, in der immer wieder gelbe Früchte, Ingwer und Quitte schmeckbar sind – sehr apart. Und sehr lecker. Die Weine lassen sich prima trinken – keine mineralischen Monster, die ob ihres kompromisslosen Stils nur ehrfürchtig bestaunt werden können.
Richtig gut gefällt mir der 2013 Weißburgunder trocken Karlspfad Erste Lage. Die Trauben stammen aus einer massiven, mit Mergel durchsetzten Kalkterrasse des Zeller Kreuzbergs. 2013 erbrachte diese Parzelle perfekt gereifte und sehr gesunde Trauben. Und so entschloss man sich, diesen Weißburgunder, von dem ein Viertel des Mostes im Tonneau ausgebaut wurde, erstmals als Lagenwein mit höherem Qualitätsanspruch zu vermarkten. Der Wein duftet nach reifen Melonen, Birnen, Quitten und Kalksteinmineralität, ja, er stinkt sogar ein bisschen. Am Gaumen wirkt er kühl, mineralisch, elegant, die hohe Säure (immerhin rund neun Gramm/Liter) ist sehr gut integriert. Zugleich wirkt der Wein sehr reif, gelbe Früchte, etwas Süße kommt durch, am zweiten Tag auch Birne, zerlassene Butter, etwas Vanille, aber alles bleibt auf der frischen mineralischen Seite.
Sehr verschlossen ist der 2013 Zeller Kreuzberg Riesling trocken Erste Lage Wotanfels, der einer Parzelle unter einer acht Meter hohen, bizarren Kalkfelsformation entstammt. Der Wein wirkt sehr schlank (12 % Alk.), gibt nach einigem Glasschwenken etwas süße und leicht rauchige Exotik preis, am zweiten Tag lassen sich rote Früchte erahnen. Sehr interessant, braucht aber noch Flaschenreife.
Spitzenwein ist der 2013 Zeller Schwarzer Herrgott Riesling trocken Große Lage. Er entstammt einem mehr als 60 Hektar großen Weinberg, dessen größter Teil auf rheinhessischem Gebiet liegt. Dort erzeugt das Weingut Battenfeld-Spanier (Hohen-Sülzen/Rheinhessen) das Mölsheimer Zellerweg Am Schwarzen Herrgott Riesling GG – einen trockenen Spitzenriesling von einigem Renommee.
Ich habe beide Weine parallel verkostet. Das ist natürlich unfair, schließlich kostet das berühmte GG dreimal so viel und sein Erzeuger ist viel erfahrener. Doch nur der Vergleich mit einem Spitzengewächs kann die Maßstäbe für das Qualitätsstreben eines jungen Betriebes liefern und zugleich die bereits erreichte Güte der Weine richtig einordnen helfen.
Die GG von Battenfeld-Spanier habe ich in den letzten Jahren ab und zu verkostet, sie haben mich stets beeindruckt, getrunken habe ich sie jedoch bisher nie. Das wird sich ändern. Denn das 2013 Riesling Schwarzer Herrgott GG hat mich schwer begeistert. Ein sehr komplexer, feiner, fast femininer Riesling, der auf einzigartige Weise Aromen von Crème brûlée und Tahiti-Vanille (ohne jede Süße und Schwere) mit Melone, Apfelsine und dann vor allem mit saftigem weißen Pfirsich ohne Kitsch und Schwere verbindet, wozu Mineralität und Säure beitragen – ein verführerischer Schleiertanz, der sich da am Gaumen abspielt.
Und der Schwarze Herrgott von Schwedhelm? Er glänzt – um eine Paradoxie zu bemühen – im Schatten seines übermächtigen Konkurrenten. An dessen dramatische Sinnlichkeit reicht er nicht heran, doch beweist er genug Klasse, um sich neben dem GG zu behaupten. Mit einer klaren mineralischen Nase, die nach reifem Apfel, Vanille, Kalk und Ingwer duftet, mit viel Zug, großer Säurefrische, reifen Apfelaromen, die am zweiten Tag von herrlich frischem, reifen Weinbergspfirsich abgelöst werden. Der feine Kalkstein ist immer präsent und auch am achten Tag zeigt das letzte Glas kaum Ermüdungserscheinungen. Ein herrlicher Wein, der gerade mal zwölf Euro ab Hof kostet.
Das Weingut Klosterhof Schwedhelm gehört zu den vielen jungen Betrieben in Deutschland, die nach einem Generationswechsel erfolgreich zu neuen Ufern aufbrechen. Die Schwedhelms haben die Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung abgeschlossen, aber dogmatisch sind sie nicht, sondern feilen mit wachem Blick an ihrer Weinqualität. Sie wissen, dass sie noch nicht da sind, wo sie hinwollen. Aber sie sind fest entschlossen, ihre Ziele zu erreichen. Von Familientraditionen lassen sie sich nicht fesseln. Gerade haben sie das Elternhaus abgerissen, um eine moderne Vinothek zu errichten (die Mutter nahm’s gelassen). Abbruch auch hier, der ein Aufbruch ist.
In Ontario/Kanada ist Riesling dabei Chardonnay zu überholen und die wichtigste Traube für weiße Qualitätsweine zu werden!
JANCIS ROBINSONS NEUE RIESLING-SKEPSIS
von Stuart Pigott (22. Oktober, 2014)
In Ontario/Kanada (Bild oben) ist Riesling dabei Chardonnay zu überholen und Qualitäts-Weißweintraube Nummer eins zu werden!
Jancis Robinson ist für mich die beste Weinkritikerin der Welt. Nicht weniger als ich, aber doch viel länger, hat sie unermüdlich die Besonderheiten und Vorzüge des Rieslings angepriesen. Den Glauben an die Erfolgschancen von Rieslings hat sie aber offenbar inzwischen verloren. So zumindest schreibt sie es auf www.JancisRobinson.com . Sie kommt zu folgendem Schluss: „…Mehr und mehr wird mir klar, dass Riesling eine zu ausgeprägte Persönlichkeit hat, um genug Konsumenten, die eine globalen Zugkraft garantieren. Das Problem ist, dass im Gegensatz zu Chardonnay und Pinot Grigio, Riesling einen zu eindringlichen Geschmack hat.“ Und weiter: „Wenn ich die internationalen Verkaufszahlen anschaue, muss ich sagen, dass nur die Weintrinker in Norwegen die Vorzüge des Rieslings wirklich verstehen.“
Mein Kommentar dazu in englischer Sprache hat für ein gewisses Aufsehen in Amerika gesorgt, weshalb wir jetzt eine deutschsprachige Fassung davon bringen. Die folgenden Zeilen sind keine vollständige Antwort auf die Thesen von Jancis Robinson – das würde viel mehr Platz und eine Menge statistischer Analyse nverlangen. Vielehr will ich zeigen, dass man die gegenwärtige Situation ganz anders sehen kann. Aus meiner Sicht gibt es sehr wohl den PLANET RIESLING. Unter diesem Titel erscheint bald im Tre Torri Verlag die deutschsprachige Fassung meines Buchs BEST WHITE WINE ON EARTH – The Riesling Story.
Hier meine Antwort auf Jancis Robinsons Frage „Riesling – wird er je richtig erfolgreich werden?“
Schon der Titel zeigt, dass sie die Chancen unserer Lieblingsrebsorte sehr skeptisch beurteilt, ein Eindruck, der durch den Text vollständig bestätigt wird. Zufällig habe auch ich in den letzten Wochen viel darüber nachgedacht, warum Riesling in bestimmten Märkten nicht besser läuft. Deshalb kam dieser Anstoß gerade recht, um meine Gedanken dazu mal aufzuschreiben.
Riesling scheint mir sehr vielseitig zu sein – in Bezug auf seine Geschmacksvielfalt, die von federleicht bis tonnenschwer, von knochentrocken bis honigsüß reicht und jede denkbare Kombination dieser Charakteristiken einschließt. Und diese Vielfalt differenziert sich weiter, in Abhängigkeit von den verschiedenen Menschen, die an den verschiedensten Orten der Welt Riesling produzieren oder konsumieren.
Schauen wir auf die Produktionsseite: Die Statistiken über die Anbauflächen erzählen in jeder Weinbauregion und -nation, in der Riesling eine bedeutende Rolle spielt, ihre ganz eigene Geschichte.
In Australien beispielsweise ist die Rieslinganbaufläche im vergangenen halben Jahrhundert bemerkenswert stabil geblieben, trotz des Wandels bei Image, Marketing, und Stilistik, den die australische Weinindustrie in den letzten Jahrzehnten mit enormen Fluktuationen nach unten wie nach oben vollzogen hat. Dabei blieb „knochentrocken“ die vorherrschende Geschmacksrichtung dieser Rebsorte. Riesling scheint ein so unverrückbarer Bestandteil der australischen Landschaft wie der Uluru (aka Ayers Rock). Kein anders Land auf dem Planeten Wein bestätigt dieses Modell. In keinem anderen Land auf dem Planten Wein liegen die Dinge so klar.
Vollständig anders ist die Situation in Amerika. Dort geriet der Riesling in den 70er und 80er Jahre gegenüber Rebsorten wie Chardonnay oder Merlot, deren Popularitätswerte wie Anbauflächen dramatisch wuchsen, weit ins Hintertreffen. Doch seit der Jahrtausendwende gewann Riesling weitgehend unterhalb des dem öffentlichen Radars wieder kräftig dazu. Dazu bedurfte es dreier Zutaten: ein dramatisch verbessertes winemaking, das Aufkommen vinophiler grass root Interessen (auch außerhalb der coolen West- oder Ostküsten-Metropolen) sowie ein gesunder Schuss Guerilla-Marketing. In dieser Geschichte steckt jedenfalls alles drin über amerikanischen Innovationsgeist.
Gewiss, es gibt globale Trends in Sachen Weinkonsum. Aber wenn exakt dieselben Weine rund um den Globus getrunken werden, dann werden sie doch auf sehr unterschiedliche Weise in unterschiedlichen Kulturen konsumiert. Was auch bedeutet, dass dieselben Weine für diese sehr heterogene Gruppe von Weingenießern sehr unterschiedliches bedeutet.
Deshalb zweifle ich an Jancis Robinsons Schlussfolgerung, nach der die weltweite Riesling-Blase (die es ohnehin nur in einigen Regionen gab) geplatzt sei, weil (wie sie schreibt) Riesling eine zu starke Persönlichkeit habe, um auf genug Konsumenten zu wirken, damit diese Rebsorte eine globale Zugkraft entfalten könne. Zwar stimmt es, dass Riesling zuletzt nicht in jedem Markt gewachsen und mancherorts aufgrund wechselnder Moden und Vorlieben sogar ein bisschen zurückgefallen ist. Aber selbst an solchen Orten ist es nicht schwer, zumindest Elemente des weltweiten Riesling-Netzwerks zu finden, wie man im Planet. Und genau darum wie um die Weine der besten Weißwein-Rebsorten auf Erden geht es in diesem Blog und in meinem Buch PLANET RIESLING.
Globalisierung im Sinne von globalem Handel geht auf die Zeit von vor 450 Jahren zurück (lesen Sie dazu Charles C. Manns Buch: 1493. Uncovering the New World Columbus created. Verlag Knopf , New York 2011). Aber erst die technischen Möglichkeiten des elektronischen Zeitalter haben die Bedeutung des Begriffs „sehr schnell“ dramatisch verändert. Doch selbst im 21. Jahrhundert ist Wein ein schwerfälliges Transportgut. Schon allein deshalb ist es bemerkenswert, dass Wein Teil der Social Media-Popkultur wurde. Noch außergewöhnlicher ist der Umstand, dass Riesling hier besonders erfolgreich ist, obwohl er nicht mal ein Prozent der weltweiten Rebfläche ausmacht. Im Vergleich dazu ist Cabernet Sauvignon kein auffälliges Phänomen im Bereich Social Media. Vielmehr ist es so, dass das Image dieser Weine in rigide hierarchische Strukturen eingesperrt ist, und deshalb im Netz kaum virale Aufregung zu verbreiten vermag. Ich bin sicher, dass die Nicht-Existenz einer globalen Community von Cabernet-Erzeugern (anders als bei Pinot Noir oder Riesling) , die hohen Preise für viele dieser Weine und das elitäre Gehabe um sie diesen Effekt verstärken.
Genau deshalb ist Riesling mit seinen vielfältigen Genussmöglichkeiten und stilistische Interpretationen so hervorragend geeignet, um die verschiedensten Menschen an den unterschiedlichsten Orten miteinander zu verbinden. Die Tatsache, dass seine Preise grundsätzlich moderat sind und sich seine Erzeuger weltweit frei und offen austauschen, verstärkt den Eindruck, dass Riesling ein demokratischer Wein ist.
Nur ältere Konsumenten, für die Riesling süß und langweilig schmeckt, sowie jüngere, statusorientierte Weintrinker, die ihre Prägungen von der älteren Generation beziehen (weil sie sich, wie ich vermute, in ihren Urteilen sicher fühlen will) scheinen komplett unfähig, einen neuen Zugang zu Riesling oder eine positive Interpretation dieser Rebsorte zu finden. Und in diesem Punkt hat Jancis Robinson recht: Sie selbst wie auch andere Weinautoren haben nur einen äußerst geringen Einfluss auf diese tiefsitzenden Vorurteile.
Warum aber klammern sich diese Konsumenten an eine derart altmodische Vorstellung von Riesling? Ich glaube, es liegt daran, dass viele dieser überwiegend männlichen Konsumenten in einer machohaften Art an ihren Überzeugungen festhalten; das heißt, sie trachten danach, den sehr bestimmenden Eindruck zu erwecken, über Wein absolut Bescheid zu wissen. Statt „Wissen“ verbreiten sie aber eine Vorstellung Wein, die aus einer vergangenen Weinwelt (meist die des späten 20. Jahrhunderts) stammt, sehr an damals herrschende Geschmacksnormen angepasst ist, wonach erst Chardonnay und dann die „großen“ Rotweine dominierten. Je mehr Parker-Punkte, desto klarer das Urteil, obwohl sich die Weinmoden und -stile seither in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt haben (z.B. in Richtung Eleganz, mehr geschmacklich trockene Weißweine und weniger tieffarbige Rotweine). In Anlehnung an den kanadischen Medientheoretiker Marshall MacLuhan könnte man sagen: Die meisten von uns betrachten die Welt am liebsten wohlig durch den Rückspiegel als durch die Frontscheibe.
Fazit: Je mehr sich ein Individuum, eine Gruppe oder eine Kultur für den Geschmack von Wein öffnet (und zulässt, was der spezifische Charakter eines Weins mit einem anstellt), desto größer ist die Neigung zu Riesling. Je mehr Weinkonsumenten aber bestimmt sind von Status-Vorstellungen und einem klar definierten äußeren Erscheinungsbild, desto härter der Kampf, den diese Weine ausfechten müssen, um sich durchzusetzen und in extremen Fällen läuft das auf die Besteigung der Eiger-Nordwand hinaus. So lautet Pigotts Gesetz der Status-Weine.
Vielleicht liegt hier der Grund, dass sich Riesling in Norwegen so gut durchgesetzt hat, wie auch Jancis betont. Es lohnt jedenfalls, einen genaueren Blick auf Norwegen zu werfen. In dem von den Vereinten Nation erstellten Human Development Index 2014 nimmt Norwegen den ersten Platz ein – verglichen mit 5. Platz für Amerika und dem 14. für Großbritannien. Die Economist Intelligence Unit erstellt alle zwei Jahre einen Demokratie-Index, und da belegt Norwegen für das Jahr 2012 ebenfalls Patz eins (Großbritannien ist 16., die USA sind 21.). In dem Ranking der Pressefreiheit, das die Organisation Reporter ohne Grenzen erstellt, rangiert Norwegen auf Platz drei (Großbritannien ist 33., die USA sind 46.). Als ich 2007 Norwegen bereiste, fand ich bestimmt nicht alles dort toll, aber das Klima der Offenheit von so vielen Menschen hat mich sehr beeindruckt. Das ist genau die Luft, die Riesling zum Atmen braucht und in der er aufblüht.
Nur am Rande möchte ich bemerken, dass keiner der weltweit führenden Riesling-Erzeuger je Probleme hat, jedes Jahr ausverkauft zu sein,. Ich muss schon ziemlich hinterher sein, um Weine direkt bei deutschen Winzern wie Helmut Dönnhoff in Oberhausen (Nahe) und Klaus-Peter Keller in Flörsheim-Dalsheim (Rheinhessen) zu kaufen, bei ihrem australischen Kollegen Jeffrey Grosset, Clare Valley oder bei Hermann J. Wiemer, Finger Lakes (Upstate New York).
Ein Überraschungssieger beim 2013er Riesling-GG-Blindverkostung: das nicht ganz so coole Weingut Gundeloch in Nackenheim/Rheinhessen!
GUNDERLOCH 2013 ROTHENBURG GG über Alles
von Martin Zwick (8. October, 2014)
Martin Zwick führt in Berlin einen Wein-Salon, in dessen Rahmen aus Fachleuten und Weinfans zusammengesetzte Jurys die jahrgangsbesten Riesling GG, Gutsrieslinge, Riesling-Kabinett-Weine und Spätburgunder GG küren. Außerdem schreibt Martin Zwick für seinen Wein- und Genussblog http://berlinkitchen33.wordpress.com. Heute berichtet er als Gastautor über den BerlinRiesling Cup 2014, bei dem einige der besten 2013 GG blind verkostet wurden. Meine Meinung deckt sich nicht immer mit dem von Martin Zwick. Stuart Pigott
Am 28. September fand wieder der alljährliche “BerlinRieslingCup” statt. Ich präsentierte 36 Top Trockene Rieslinge des Jahrgangs 2013 einer Gruppe von Sommeliers, Journalisten, Weinhändler, Blogger und Riesling-Liebhaber.
Aber wie hat alles angefangen?! Es begann in 2007 mit einem Probenpaket vom Weingut Keller aus Rheinhessen. Natürlich wollte ich die Grossen Gewächse nicht alleine trinken, sondern hab mir dann Freunde dazu eingeladen. Über die Jahre sind es dann mehr Weine geworden und auch die Jury hat sich verändert. Sie wechselt jedes Jahr aufs Neue. Die flights werden übrigens inzwischen von einem externen Experten zusammengestellt, zuletzt Caro Maurer/MW, David Schildknecht/Ex-WA, Sascha Speicher/Meininger Verlag, Carsten Henn/VINUM etc. Die Weine werden blind in 2er flights serviert und jedem Verkoster stehen 2 ZALTO Universalgläser zur Verfügung. Die Weine werden in der Regel ein Tag vor der Verkostung geöffnet, einfach nur die Korken gezogen. Die Weine suche ich auf Basis meiner Verkostungen bei der VDP-GG-Vorpremiere Ende August in Wiesbaden und Berlin aus. Dazu kommen noch Anregungen von Freunden bzw. Journalisten und unbekannte Jungwinzer gebe ich auch immer die Chance sich zu bewähren.
Beim “BerlinRieslingCup” präsentierten sich sämtliche Großen Gewächse 2013 durch die Bank als würdige Vertreter ihrer Gattung und in der Spitze sind ein paar richtig große Weine entstanden. Es sind präzise, pure, bodengeprägte Langstreckenläufer mit prägnanter Säure. Niemand am Verkostungstisch klagte über zu viel Säure oder zu wenig Extrakt. Der Jahrgang reiht sich ein in die Reihe großer kühler Jahrgänge wie 2004&2008&2010. Alle drei Jahrgänge brillieren immer wieder bei großen Vertikalen. Zuletzt vor einem Monat bei einer GG-Vertikale der Weingüter A. Christmann, Rebholz, Wittmann und auch vor 1-2 Jahren bei Keller in Rheinhessen.
Gewinner-Region war eindeutig Rheinhessen. Interessanterweise scheint dieser Jahrgang ein Jahr des Rotliegenden zu sein. In vielen Jahrgängen zuvor waren stark kalkhaltige Böden die Top-Scorer beim Berlin Riesling Cup. Dieses Jahr gingen die Gold-, Silber- und Bronzemedaillen an Rieslinge, die auf rotem Schiefer / Rotliegendem gewachsen sind. Diese Böden heizen sich tagsüber richtig auf und geben in der Nacht die Wärme wieder ab. In heißen Jahrgängen ist das gelegentlich zu viel des Guten, doch in kühleren Jahrgängen wie 2013, wo Trauben und Winzer um ihre vollständige physiologische Reife kämpfen müssen – ein klarer strategischer Vorteil.
Klarer Gewinner war das rheinhessische Weingut Gunderloch mit dem 2013 “Rothenberg” GG. Der junge Johannes Hasselbach stürmt mit Verve nach vorne.
Hier die Ergebnisliste der besten 20 Trockenen Rieslinge aus 2013:
1 Gunderloch Rothenberg GG
2 Kühling-Gillot Rothenberg GG
3 Emrich-Schönleber Frühlingsplätzchen GG
4 Wagner-Stempel Höllberg GG
5 Kühling-Gillot Pettenthal GG
6 Keller Westhofen (Ortswein)
7 von Winning Kalkofen GG
8 Karl Haidle Pulvermächer GG
9 Keller Morstein GG
10 Wittmann Brunnenhäuschen GG
11 Dönnhoff Hermannshöhle GG
12 Keller Pettenthal GG
13 Pfaffmann-Wageck Goldberg
14 Jakob Jung Siegelsberg GG
15 Dr. Loosen Erdener Prälat GG
16 Reichsrat von Buhl Ungeheuer GG
17 Emrich-Schönleber Halenberg GG
18 Robert Weil Gräfenberg GG
19 Schlossgut Diel Burgberg GG
20 Heymann-Löwenstein Uhlen Laubach GG
Es gab natürlich auch Weine die sich an dem Abend nicht so stark präsentierten, wie zuletzt noch vor 3-4 Wochen. Aber so ist das manchmal mit großen Weinen bzw. wie der östterr. Winzer Lucas Pichler es mal so treffend formuliert hat “Große Weine müssen nicht immer und zu jeder Zeit gut sein”. Zu erwähnen wäre da der “Schwarzer Herrgott” von Battenfeld-Spanier, “Morstein” von Wittmann, “Burgberg” von Schlossgut Diel, “Idig” von A. Christmann etc. In 10 Jahren könnten sie allerdings vorne mitspielen. Es gab auch Weine die an dem Abend polarisierten, wie jedesmal das “Felseneck” von Schäfer-Fröhlich. Diese Sponti-Noten sind typisch für die Rieslinge von Tim Fröhlich, in diesem Jahrgang treten sie noch prägnanter auf wegen der niedrigen pH-Werte des Jahrgangs. Aber keine Sorge, das Kind schielt nicht, es muß so gucken. Die Rieslinge von Schäfer-Fröhlich sind extreme Langstreckenläufer und werden sich bestens entwickeln.
Die Jungwinzer haben sich ebenfalls prächtig geschlagen, Platz 8 für das Karl Haidle mit dem “Pulvermächer” GG aus Württemberg, Platz 13 für Wageck-Pfaffmann “Goldberg” aus der Pfalz und auch Katrin Wind “Kalmit” ebenfalls aus der Pfalz wird noch für viel Furore sorgen. Positiv auch das Erscheinungsbild der Region RHEINGAU. Da geht jetzt endlich die Post ab. Die Weingüter Achim von Oetinger, Jakob Jung, Balthasar-Ress und auch die Etablierten wie Weil, Schloss Johannisberg etc. geben richtig Gas.
Und noch ein paar Worte zum Jahrgangs- bzw. GG-Verriss. Vollkommener Quatsch! JA, die 2013er sind in diesem frühen Stadium nicht einfach zu verkosten, sie wirken manchmal doch recht unnahbar bzw. abweisend. Und natürlich ist nicht alles Gold was glänzt, aber in der Spitze gibt es herausragende Rieslinge in 2013.
Fotos: Markus Vahlefeld
Mosel-Riesling-Meister: die Familien Schäfers und Zillikens
Wie zwei Moselwinzer die Herausforderungen des Jahrgangs 2013 meistern von Frank Ebbinghaus (2. Oktober, 2014)
Man mag es ja nicht ständig wiederholen, obwohl man ja doch immer mit der Nase drauf stößt, wenn man sich einen Wein des aktuellen Jahrgangs eingeschenkt hat: 2013 war schwierig, sehr schwierig sogar. Was eigentlich nichts anderes bedeutet als: ziemlich unübersichtlich. Da gibt es brachiale Interpretationen von Terroirweinen, die derzeit keine Freude bereiten. Dann aber auch Weingüter, deren Erzeugnissen man nichts anmerkt von Reifeproblemen, Säureschauern oder Fäulnisdruck. Winzer, deren Kollektionen wunderbar strahlen, keinen Schwachpunkt aufweisen und jedem Weinfan nur dringend ans Herz gelegt werden können. Obwohl diese Erzeuger von sich nicht behaupten können, 2013 meteorologisch begünstigt gewesen zu sein. Nein, auch sie mussten große Opfer in Kauf nehmen. Aber sie haben dabei vor allem an ihre Kundinnen und Kunden gedacht. Und alles daran gesetzt, ihnen die bestmögliche – und genussreichste – Qualität zu offerieren.
Die Opfer sind womöglich dort am größten (und schlagen betriebswirtschaftlich am schwersten ins Kontor), wo die Rebfläche am kleinsten ist. Small mag ja beautiful sein. Aber 2013 war es der Horror. Christoph Schaefer (rechts im Bild oben, links sitzt Vater Willi), Junior-Chef des renommierten Weinguts Willi Schaefer (Graach/Mosel) hat das bei meinem Besuch im Juni 2014 so nicht gesagt, aber ab und an vielsagend süß-sauer gelächelt. Ein Blick auf die Weinpreisliste spricht Bände: Sie stammt von März 2014 und trägt hinter jeder Position den Vermerk „ausverkauft“, obwohl die Weine erst ab 1. Juli 2014 verfügbar waren – ein dramatisches Zeichen großer Ertragseinbußen. Das Große Gewächs oder überhaupt einen trockenen Wein sucht man vergebens. Das ist das Resultat einer Qualitätsphilosophie, die im Krisenjahr auf die Kernkompetenz eines Betriebs setzt, dessen Rebfläche gerade mal vier Hektar beträgt: Rieslinge mit natürlicher Restsüße, welche die heftige Säure des Jahrgangs balanciert. Eingriffe im Keller, die die Säure mindern, sind hier verpönt. Die klassische Mosel-Nummer also, die sich bereits bewährte, als man in Zeiten vor dem global warming bei der Weinlese mitunter im Schnee stand.
Immerhin gelang es, aus den beiden Graacher Lagen Himmelreich und Domprobst je einen Kabinett, eine Spätlese und eine Auslese zu erzeugen. Dazu kommen noch der Graacher Riesling feinherb (halbtrocken) sowie eine zweite Auslese aus dem Domprobst. Das alles – wie gesagt – in Kleinstmengen.
Wenn man die 2013er Rieslinge von Willi Schaefer probiert, dann spürt man den kalten Hauch des Jahrgangs. Aber mehr Krise findet im Glas definitiv nicht statt. Alle Weine haben neben ihrer säurebetonten, zupackenden Mineralität herrlich reife Fruchtnoten und eine wunderbare Balance – klassische Mosel-Rieslinge von großer Eleganz. Die Weine aus dem Graacher Himmelreich sind im Moment offener, verführerischer, sie schmecken mitunter etwas reifer als die aus dem Domprobst. Das ist eigentlich in jedem Jahrgang so, den ich bisher verkosten durfte. Aber in so einem kühlen, säurestarken Jahr wie 2013 zeigen die Himmelreich-Weine doch mehr Eleganz als in heißen Jahren – das gefällt mir sehr gut.
Die Zeit der Domprobst-Weine wird freilich kommen – soviel ist sicher. Sie wirken noch sehr verschlossen, selbst der Kabinett, lassen jedoch keinen Zweifel daran aufkommen, was in ihnen steckt: echte Größe. Die 2013 Graacher Domprobst Spätlese riecht extrem mineralisch, fast erdig und überrascht am Gaumen mit sehr reifer Weinbergspfirsich-Frucht , Schiefer- und Kräuteraromen. Da ist viel Leben in der Bude, das sich im Moment schwer in Worte fassen lässt. Es geht ständig hin und her. Die 2013 Graacher Domprobst Auslese -11- duftet ebenfalls etwas erdig, aber auch nach Orangen und ihren Schalen, verfügt über eine hohe Reife und eine enorme Länge, wobei Säure und Gäraromen (noch) deutlich spürbar waren. Ein großer Wein ist die Graacher Domprobst Auslese -14-, die viel Frucht andeutet, vor allem aber mit ihrer aromatisch sehr klaren und hoch eleganten Stilistik besticht, die Säure war bereits perfekt in ein mineralisches Geschmacksbild integriert – großes Kino.
Die Gesetze der Marktwirtschaft sind bei den Schaefers außer Kraft gesetzt. Denn eigentlich müssten die Weine mit ihrer herausragenden Qualität aufgrund der sehr geringen Menge um einen erheblichen Faktor teurer sein. Aber so funktioniert das Geschäft mit deutschem Riesling – Mosel-Riesling zumal – eben nicht. Die Vor- und Nachteile sind hier klar verteilt. Aber bei den bescheidenen Preisen für diese Weine muss man hoffen, dass ein winziger Qualitätsbetrieb wie dieser in naher Zukunft von einem ähnlichen Desaster verschont bleibt.
70 Kilometer moselaufwärts standen Ruth, Dorothee, Hanno Zilliken (links, rechts und mitten im Bild oben) vom Weingut Forstmeister Geltz-Zilliken (Saarburg/Saar) vor ähnlichen Problemen, kamen aber zu anderen Schlüssen. Der Elf-Hektar-Betrieb verfügt zwar über mehr Wein. Doch die jahrgangsbedingten Lücken klaffen erheblich: Es gibt kein 2013 Rausch GG, keinen feinherben Spitzenwein Diabas und – was für diesen Spezialisten für Weine mit natürlicher Traubensüße besonders schmerzlich ist – keine Spät- und Auslesen oder noch höhere Prädikate. Lediglich sieben Weine stehen auf der Liste. Teuerste Abfüllungen sind der 2013 Bockstein Riesling Kabinett und der 2013 Rausch Riesling Kabinett. Sie kosten geraden mal 14 Euro ab Weingut. Und doch zeigte Hanno Zilliken, den ich im Juni auf dem Weingut besuchte, keine Anzeichen von Enttäuschung oder Bitterkeit. Als „alter Hase“ unter den Saar-Winzern hat er gewiss schon andere Katastrophen erlebt. Aber vor allem kann er sehr stolz sein auf die Qualität seiner 2013er Rieslinge. Der 2013 Zilliken Riesling trocken gehört mit seinem feinen Blütenduft, der reifen, stoffigen Pfirsichfrucht, die von einer rassigen Säure balanciert wird, zu den besten Gutsrieslingen des Jahrgangs in Deutschland.
In die beiden Ortsweine, den 2013 Saarburger Riesling trocken und den 2013 Saarburger Riesling feinherb, sind die wenigen Liter des Großen Gewächses bzw. des Diabas eingeflossen. Was mit dazu führt, dass diese Weine für ihre Qualitätsstufe schlicht superb sind. Wobei die trockene Version noch etwas verschlossen wirkt, mit betonter Rasse, aber großer Harmonie, der halbtrockene Wein super-süffig im besten Sinn, mit Blütendüften und ausgeprägtem Weinbergspfirsich-Aroma.
Wieder eine Bank für Genießer, die Riesling am liebsten inhalieren würden, ist der 2013 Zilliken Butterfly – ein Maul voll Wein und dennoch zart und schwebend, schade, dass der Sommer vorbei ist. Der 2013 Saarburger Riesling Kabinett macht mächtig was her für einen Ortswein, hat aber zwei Lagenweine als Konkurrenten, von denen zumindest einer noch besser ist. Während der 2013 Bockstein Riesling Kabinett betont reif und üppig auftritt, ohne seine Rasse zu verleugnen, und jetzt bereits viel Spaß macht, ist der 2013 Rausch Riesling Kabinett für die Zukunft eine Bank. Auch er ist sehr reif (für einen Kabinett eigentlich zu reif), verfügt aber über so viel kühle Rasse, dass im Moment noch alles sehr fest zusammen ist. Ich habe den Wein zu Hause über drei Wochen aus der offnen Flasche getrunken und kann sagen: Das letzte Glas war das allerbeste.
Die Zillikens sind große Freunde gereifter Rieslinge. Und sie halten ihren Kunden immer einige Abfüllungen vor, die sie erst dann verkaufen, wenn sie den Zeitpunkt für gekommen halten. Allein dafür kann man sie nicht hoch genug wertschätzen – man stelle sich das mal im Burgund vor. Den dortigen Top-Winzern sind ihre Privatkunden unterhalb einer gewissen Yacht-Länge scheißegal.
Die Zillikens aber haben Lücken im 2013er Sortiment durch große Saar-Rieslinge älterer Jahrgänge kompensiert. So gibt es aus dem Vorgängerjahrgang eine unglaublich verführerische, nach Tropenschwüle duftende und schmeckende 2012 Rausch Riesling Spätlese. Aus einem für Weine dieser Art großen Jahrgang bieten sie eine 2010 Rausch Auslese -6- und eine 2010 Rausch Auslese -4-, die aromatisch schwer und schwebend zugleich den ganzen Wahnsinn dieses Jahrgangs perfekt verkörpern. Weit älter, aber sehr jugendlich schmeckend landete die 1995 Saarburger Rausch Auslese 1-96 auf der Karte, welche die ganze Sinnlichkeit und Finesse eines ausgezeichneten, klassischen Saar-Riesling-Jahrgangs verkörpert.
So wird aus der Not eines knappen Angebots eine Tugend. Und mancher Wein-Fan hat nun endgültig keinen Grund mehr, um gereifte Rieslinge einen Bogen zu machen. Zu was doch so ein schwieriger Jahrgang gut sein kann.
Manche 2013 Riesling GGs sind schwach, andere brauchen viel Zeit
DER 2013 RIESLING GG-SHITSTORM von Stuart Pigott (29. September, 2014)
Wie so oft in unsere Welt geht es auch auf dem Planeten Wein manchmal gleichzeitig um eine Sache selbst und um ganz andere Dinge. Zweifelsohne haben viele der trockenen 2013er „Große Gewächse“ (GGs) von den Mitgliedern des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) gerade ein wohl verdiente Kritik geerntet. Leider gibt es unter der neuen Elite des trockenen deutschen Weißweins in diesem Jahrgang eine ganz Reihe schwacher Weine und einige schwer enttäuschende Gewächse für Preise jenseits von 30 Euro. Das wurde so laut gesagt und so deutlich geschrieben, dass kaum ein weininteressierter Mensch in Deutschland es nicht mitbekommen hat. Die Weinkritik wurde seit Jahren für tot erklärt, aber jetzt wirkt sie plötzlich verdammt lebendig und tatkräftig!
Beim Wein gibt es die gleiche erbarmungslose Regel wie bei allen anderen Luxusgütern: je größer die Kluft zwischen den Qualitätsversicherungen eines Produzenten und den wahren Eigenschaften seines Produkts, desto heftiger fällt der kritische Rückstoß aus. Manchmal muss man lange auf diese Reaktion warten, bei den 2013er GGs ging es jedoch sehr schnell. Seit der ersten offiziellen Präsentation der Weine Ende August in Wiesbaden wurde die Quittung für die Selbstgefälligkeit des VDP geliefert. Jetzt herrscht gar ein Shitstorm um die kritisierten Weine.
Aber jede Story hat eine Backstory, und die Backstory zu den 2013er GGs liefern die GGs aus den Jahrgängen 2012 und 2011. Das waren allgemein zwei sehr gute Jahrgänge für den deutschen Weißwein (aber auch für den deutschen Rotwein), und viele GGs beider Jahrgänge wurden zu Recht bejubelt. Zwar gerieten die sehr kräftigen und konzentrierten 2011er durch die sehr charmanten und eleganten 2012er ein wenig in den Hintergrund, aber wenn die besten 2011er ein paar Jahre mehr auf dem Buckel haben, wird ihre wahre Größe nicht mehr abzustreiten sein. Zwei tolle Jahrgänge in Folge führten aber bei Kritikern wie Konsumenten zu einem gesteigerten Bedürfnis nach kritischen Worten. Sie waren also ein Nebenprodukt der Lobeshymnen über diese Weine. Oder ist es wirklich realistisch, dass jeder Jahrgang den Vorgänger übertrifft? Für manche Weinfachleute und Weinfreaks kamen die 2013er Weine wie gerufen zum pauschalen Schlachten: weg damit!
Mit den Jahrgängen 2011 und 2012 tischten die Mitglieder des VDP eine nie zuvor erreichte Zahl von sehr beeindruckende trockenen Weißweinen auf. Damit legten sie die Messlatte für die 2013er Weine sehr hoch, wobei viele der VDP-Winzer selber hätten merken müssen, dass die 2013er nicht immer die nötige Qualität und Eigenart für GG haben. Aber nun hatte man die GG als neue, teure Produkte erfolgreich am Markt eingeführt und viele Kunden heiß darauf gemacht. Jetzt wollte man unbedingt schnell einen Nachfolger liefern können, damit die Erfolgsgeschichte nicht abreisst. Dabei wurde oftmals zu sehr auf die Ausdrucksstärke (Terroir muss sein!) des Weins geachtet ohne Rücksicht auf seine Harmonie. Damit haben diese Winzer den Kritikern die Munition zugespielt und den Shitstorm förmlich herbeigerufen.
Wer Geduld hat und die Entwicklung der besseren, aber noch unfertig schmeckenden 2013er GGs lange genug verfolgt, wird feststellen, dass in ihnen eine Menge Substanz steckt. Wie die Weine des ähnlich strukturierten, aber nicht ganz so ausdrucksstarken Jahrgangs 2008, werden sich die besten Weine aus 2013 sehr gut auf der Flasche entwickeln. Hier denke ich vor allem an die Weine von Gut Hermannsberg in Niederhausen und Schäfer-Fröhlich in Bockenau (beide Nahe) oder an Wittmann in Westhofen/Rheinhessen. Das sind Langläufer-Weine, die momentan noch etwas ruppig daher kommen. Bis sie sich beruhigt und harmonisiert haben wird sich der Markt schon mit den 2014er Weinen beschäftigen. Diese 2013er Weine waren für manche Kritiker einfach Stinker, auch wenn vor ein oder zwei Jahre das gleiche Aroma als „Sponti“ (ein Zeichen der Spontangärung ohne zugesetzte Hefe) gefeiert wurde. Genauso geht es mit dem mineralisch-säurebetonten Geschmacksfinale vieler Weine, eine Eigenschaft, die als Zeichen von Authentizität häufig angepriesen wurde, aber jetzt manchmal geradezu verdammt wird, weil sie doch ein wenig aggressiv wirkt.
Der Jahrgang 2013 legt sehr deutlich eine Spaltung innerhalb des VDPs bloß. Ein Flügel vermarktet unter dem Namen „Großes Gewächs“ (im positiven Sinne) fruchtbetonte Weine, die eine gewisse Fülle mit einer ansprechenden Frische vereinen. Ein andere Flügel bietet möglichst langlebige Weine mit starkem Terroir-Charakter unter der gleiche Bezeichnung, wobei diese Winzer einige unattraktive Noten (Stichwort Reduktion, das Gegenteil von Oxidation) in der Jungend des Weins (jünger als zwei bis drei Jahre) in Kauf nehmen, weil sie ihre Weine auf eine optimale Entfaltung nach fünf bis 15 Jahren Lagerzeit und darüber hinaus konzipieren. Über einige unharmonische, säuredominanten 2013er GGs hatte ich bereits ausführlich geschrieben – sie sind hier nicht gemeint.
Zum Glück gibt es eine Reihe VDP-Weingüter, deren 2013er GGs schon jetzt genug Charme aufweisen, um heute mit Genuss getrunken zu werden, die aber auch über genug Rückgrat verfügen, um sich viele Jahre sich fortentwickeln zu können. Hier eine Liste von den Gütern, wo alles stimmt.
Fritz Haag in Brauneberg/Mosel
Reinhold Haart in Piesport/Mosel
Dr. Loosen in Bernkastel/Mosel
Heymann-Löwenstein in Winngen/Terrassenmosel
Dönnhoff in Oberhausen/Nahe
Emrich-Schönleber in Monzingen/Nahe
Franz Künstler in Hochheim/Rheingau
Achim von Oetinger in Erbach/Rheingau
Fred Prinz in Hallgarten/Rheingau
Robert Weil in Kiedrich/Rheingau
Kühling-Gillot in Bodenheim/Rheinhessen
Winter in Dittelsheim-Hessloch
Acham-Magin in Forst/Pfalz
Pfeffingen in Bad Dürkheim/Pfalz
Dr. Wehrheim in Birkweiler/Pfalz
Hans Wirsching in Iphofen/Franken
Riesling Kabinett von der Mosel mit natürliche Süße ist weltweit erfolgreich!
VON DER LEICHTIGKEIT DES SÄUREFRAßES: 2013 Riesling Kabinett von Frank Ebbinghaus (14. September, 2014)
Der Jahrgang 2013 und Riesling Kabinett? Das könnte gut funktionieren. Jedenfalls scheint es ziemlich ausgeschlossen, dass diese Weine übermäßig reif oder gar fett daher kommen — wie es in warmen Jahrgängen leider häufig geschieht. Mit dem Prädikat Kabinett verbindet man leichte, feingliedrige, aber komplexe Weine mit geringem Alkohol und viel Trinkspaß. Zugleich sind es meist echte Terroirweine, oft aus großen, berühmten Lagen und in dieser besonderen Kombination aus Leichtigkeit, Verspieltheit (durch das Zusammenspiel feiner, natürlicher Restsüße mit Säure und Mineralität), kühler Finesse und großer Individualität eine echte deutsche Spezialität. Der für Robert Parker schreibende Weinkritiker Stephan Reinhardt hat in der Süddeutschen Zeitung vorgeschlagen, Riesling Kabinett zum Weltkulturerbe zu erklären. Das erschient allenfalls jenen Weintrinkerinnen und -trinkern abwegig, die an einem weichen, warmen Sommerabend noch keinen erstklassigen Riesling Kabinett vorzugsweise von Mosel, Saar oder Ruwer im Glas hatten.
Riesling Kabinett ist etwas aus der Mode gekommen. Die Weine sind nicht richtig trocken, aber auch nicht so fruchtsüß wie Auslesen etc. Doch gerade die Klimaerwärmung, die in den vergangenen Jahren den Weinen von Natur aus eine hohe Reife mitgab, hat bei viele Weinfreundinnen und -freunden den Wunsch nach erfrischenden, knackigen Weinen dieser Stilistik neu erwachen lassen. Es gibt also gute Gründe, einer großen Riesling Kabinett-Vergleichsprobe beizuwohnen und die Weine dieses Typs aus dem Jahrgang 2013 kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Wein-Aficionado Martin Zwick führte Samstagabend die Leistungsschau „BerlinKabinettCup“ durch. 32 Riesling Kabinettweine, die blind verkostet wurden, stritten um die Krone des besten dieser Art. Bis auf drei Weine kamen alle Probanden von Mosel, Saar oder Ruwer, was als Hinweis darauf verstanden werden kann, dass dieser Weintyp in den eher kühlen, steilen Schieferlagen besonders gut gedeiht. Allerdings gibt es auch im Rheingau, an der Nahe und in Rheinhessen einige echte Spezialisten, die gestern leider nicht am Start waren, vereinzelt wohl auch, wie im Fall eines sehr berühmten rheinhessischen Winzers gemunkelt wurde, weil man sich allzu geringe Siegeschancen ausrechnete.
Aber wichtiger als die Kür eines Siegers (es gewann der 2013 Karthäuserhofberg Riesling Kabinett vom Weingut Karthäuserhof/Ruwer) war der zwiespältige Eindruck, den die Probe hinterließ: Wie bei den trockenen Großen Gewächsen kämpften zahlreiche Weine mit einer scharfen Säure um Reife und Balance.
Was zur Folge hatte, dass ich etwa zur „Halbzeit“ der Probe das Gefühl hatte, ein Loch hätte sich in Zunge und Gaumen gebrannt. Schon aus Selbsterhaltungsgünden habe ich jene Weine höher bewertet, die Reife und Balance nicht vermissen ließen.
Es wurde verdeckt verkostet. Und groß war mein Erschrecken, als ich beim Aufdecken feststellen musste, dass ich die Weine zweier absoluter Großmeister restsüßer Rieslinge komplett verrissen hatte. Nach der Probe habe ich aus den Resten, die in den Flaschen verblieben waren, nachverkostet. Doch der Befund bleib gleich. Der 2013 Schwarzhofberg Kabinett von Egon Müller (Saar) roch zwar reif, fruchtig und nach diesen eleganten Schiefernoten, die Egon Müllers weltberühmte Weine aus dem Schwarzhofberg so verführerisch und groß machen. Aber am Gaumen stellte sich recht bald eine schneidende Säure ein, die in einen überaus adstringierenden Abgang führte. Dieser Wein ist der mit Abstand teuerste der Probe. Er kostet im Handel knapp unter 50,- Euro!
Der andere sehr prominente Problemkandidat (sonst ebenfalls ein unübertroffener Meister des restsüßen Riesling Kabinett und persönlicher Favorit) war das Weingut Reinhold Haart (Piesport/Mosel) und sein 2013 Piesporter Goldtröpfchen Riesling Kabinett. Die Nase umfing der Wein noch mit einem schönen Pfirsich-Aprikosenduft. Aber die extreme Säure ließ am Gaumen lediglich mineralische und medizinale Aromen zum Zug kommen, der Abgang war unangenehm adstringierend. Sehr seltsam. Nun muss man zur Ehrenrettung dieser beiden großen Winzer festhalten, dass eine solche Probe nur eine Momentaufnahme ist und dass komplexe Kabinettweine das Recht haben, sich über ein paar Jahre zu entwickeln, um ihr Bestes zu zeigen. Als Beispiel mag der 2009 Graacher Himmelreich Riesling Kabinett des Weingut J. J. Prüm (Wehlen/Mosel) gelten, der als „Pirat“ in diese Probe hinein gemogelt wurde. Der Wein strotzte neben seiner jahrgangsbedingten hohen Reife noch mit Aromen, die von der Spontanvergärung herrühren. Sehr unfertig, aber doch in ein paar Jahren gewiss sehr lecker.
Alles braucht also seine Zeit, auch beim Riesling Kabinett. Doch bezweifle ich, dass jetzt unreif und unharmonisch schmeckende Weine es je mit den besten Weinen der Probe werden aufnehmen können.
Es folgen meine Favoriten. Weil wir zur Punktevergabe genötigt waren, habe ich in meine Favoriten-Liste alle Weine aufgenommen, die zwei Punkte, also nur minimal auseinander lagen. Hinzugezogen haben ich einen Wein, der blind bei mir lediglich im vorderen Mittelfeld gelandet ist, den ich aber auf dem Weingut probiert und privat über drei Wochen getrunken haben und von dem ich finde: Es ist mindestens einer der besten Riesling Kabinett-Weine des Jahrgangs. Die Rede ist von der Saarburger Rausch Riesling Kabinett des Weinguts Forstmeister- Geltz-Zilliken (Saarburg/Saar).
Abschließend betone ich, was bereits in den vorangegangen Zeilen anklang: Die Weine, die mir nicht gefielen, müssen keinesfalls „schlecht“ der gar „fehlerhaft“ sein. Ich finde sie lediglich im Moment und vermutlich auch in den kommenden Jahren unharmonisch und im Wortsinn ungenießbar
Mag ich:
Goldloch Kabinett, Schlossgut Diel (Burg Layen/Nahe).
Erdener Treppchen Kabinett, Jos. Christoffel jr. (Ürzig/Mosel).
Wehlener Sonnenuhr Kabinett, Markus Molitor (Wehlen/Mosel).
Piesporter Schubertslay Kabinett, Julian Haart (Piesport/Mosel).
Dhroner Hofberg Kabinett, A. J. Adam (Neumagen-Dhron/Mosel).
Eitelsbacher Karthäuserhofberg Kabinett, Karthäuserhof (Trier-Eitelsbach/Ruwer).
Maximin Grünhäuser Abtsberg Kabinett, Maximin Grünhaus Schlosskellerei C. von Schubert (Mertesdorf/Ruwer).
Saarburger Rausch Kabinett, Forstmeister-Geltz-Zilliken (Saarburg/Saar)
Wehlener Sonnenuhr Kabinett, Dr. Loosen (Bernkasten/Mosel).
Graacher Domprobst Kabinett, Willi Schaefer (Graach/Mosel).
Mag ich nicht:
Schwarzhofberger Kabinett , Egon Müller Schwarzhof (Wiltingen/Saar).
Piesporter Goldtröpfchen Kabinett, Reinhold Haart (Piesport/Mosel).
Graacher Himmelreich Kabinett, Markus Molitor (Wehlen/Mosel).
Schloss Johannisberg Rotlack, Schloss Johannisberg (Geisenheim-Johannisberg).
Das Zalto Burgund Glas ist in jeder Hinsicht groß!
SEX AUF DER BERGSPITZE: Die Präsentation der 2012 Spätburgunder GG des VDP in Berlin vonFrank Ebbinghaus (12. September, 2014)
Mehr als 60 Spätburgunder – überwiegend GG – habe ich am Montagnachmittag im Rahmen der Präsentation der Großen Gewächse in Berlin verkostet. Sollte es eine Hölle geben, und würde sie den Erwartungen gerecht, die man berechtigterweise an sie stellen kann: Solche Proben gehörten dort zum Tagesprogramm. Junge, komplexe Spätburgunder können ja so gemein sein und einem die letzten Kräfte rauben. Aber ich liebe Spätburgunder/Pinot Noir. Weine dieser Rebsorte sind für mich der Inbegriff an Verführungskraft, Sinnlichkeit, Sexyness und was man sich sonst noch in dieser Richtung bei Wein vorstellen kann. Die großen Pinots, die ich trinken durfte, werde ich nie vergessen. Sie sind meist unverschämt teuer, aber man erwischt sich dabei, dass man irgendwie wenigstens eine Flasche ergattern will, egal, was sie kostet, nur um diese große Empfindung noch einmal zu erleben. Ja, ich bin ein Pinot-Junkie. Und als solcher leidensfähig.
Das Gute wie das Schlechte dieser Tortur liegt darin, dass unmittelbar danach alle Eindrücke in einem Nebel zu versinken scheinen. Was insofern bedauerlich ist, als dass viele ausgezeichnete Gewächse einer großen Relativierung anheimfallen (aus der sie meine Notizen befreien müssen). Andererseits gab es ein paar wirklich große Weine, die wie imposante Bergspitzen aus dem Nebelschleier herauswachsen.
Vorweg dies: Die deutschen Spätburgunder GG haben ein sehr gutes Niveau erreicht. Es gab nur wenige wirklich schwache Weine. Und mancher Tropfen, der jetzt mit Holz überladen scheint, hat doch so viel Potential, um sich eines fernen Tages von dieser Last vielleicht befreien zu können. Aber – und dies ist ebenfalls ein positiver Befund – die Holzmonster scheinen auf dem Rückzug. Frucht, Finesse und Mineralität rücken in den Vordergrund.
Ich habe also tapfer probiert, aber leider nicht alles geschafft, was interessant schien. Gegen Ende – in Württemberg und Baden – musste ich größere Lücken in Kauf nehmen. Sei’s drum. Eine weitere Einschränkung: Spätburgunder oder Pinot Noir ist ein ziemlich launisches Gesöff. Es kann einem in der Jugend eine ganz schöne Nase drehen. Ich habe schon grottenschlechte junge Pinots probiert, die ein paar Jahre später richtig gut waren (an einen umgekehrten Befund kann ich mich freilich nicht erinnern).
Welche Weine haben Suchtfaktor? Für mich der größte Wein ist die 2012 Wildenstein Spätburgunder Reserve von Bernhard Huber (Malterdingen/Baden). Sie besitzt süße Würze und Parfüm, ist samtig und seidig, erotisch und feminin, zeigt immer neue Facetten und ist unglaublich lang – ein Wein, der einen selbst in der homöopathischen Dosierung dieser Probe minutenlang fesselt. Der Wildenstein ist einer der größten deutschen Spätburgunder, die ich je getrunken habe und ein großartiges Vermächtnis des in diesem Jahr tragisch verstorbenen Winzers Bernhard Huber. Der Wein kostet weit mehr als 100 Euro, aber dieser Preis verliert während des Probierens jeden Schrecken.
Überhaupt Huber: Seine vier vorgestellten Spätburgunder GG sind eine Klasse für sich, obwohl sie sich doch stark voneinander unterscheiden: Das 2012 Bienenberg GG wirkt ungemein lebendig mit roten und schwarzen Johannisbeernoten, mit Erde und vielem mehr. Das 2012 Sommerhalde GG duftet nach Samt, Orangen und Marzipan und schmeckt nach roten Früchten, etwas grünem Pfeffer und Cassis. Das 2012 Schlossberg GG riecht nach nassem Rauch und nasser Erde, hat viele Frucht im Hintergrund und schwarzen Pfeffer ohne Schärfe. Der Wein strömt nur so dahin. Allen Huber-Weinen ist eine sehr verführerische Seidigkeit und Eleganz eigen, die über die Jahre zum Markenzeichen dieses großartigen Erzeugers wurde.
Und doch gibt es einen Winzer, dessen vorgestellte Kollektion den Weinen Hubers mindestens gleichkommt, ja sie vielleicht sogar ein wenig übertrifft (außer den Wildenstein): Es ist das Weingut Rudolf Fürst (Bürgstadt/Franken), dessen Spitzen-Pinots nicht nur die verführerische Eleganz Hubers erreichen. Sondern noch einen Tick ausdrucksstärker wirken.
Das beginnt mit dem 2012 Centgrafenberg Spätburgunder GG, das eine verführerische, an Orangen, Mirabellen und manches mehr erinnernde Frucht mit einer wunderbaren Struktur und Finesse verbindet. Hier fügt sich alles so graziös wie in den Szenen Watteaus (die übrigens auch in der gastgebenden Gemäldegalerie zu bewundern sind). Ein wahrer Knüller an Finesse und Ausdrucksstärke ist das 2012 Schlossberg GG, das kaum beschreibbare Fruchtnoten in Samt und Seide kleidet und jeden Augenblick neue Aromen entschleiert. Sehr verhalten dagegen das 2012 Hundsrück GG. Aber seine geschliffene Eleganz und Stoffigkeit lassen keinen Zweifel, dass hier ein wahrer Monarch auf seinen großen Auftritt wartet.
Nie zuvor habe ich bessere deutsche Spätburgunder probiert als die von Huber und Fürst. Es gab reifere Jahrgänge als 2012, auch sie brachten große Weine hervor. Aber 2012 zeichnet sich neben einer schönen Reife auch durch eine herrliche Lebendigkeit aus, für die neben feinem, reifen Tannin auch eine unterstützende Säure sorgt.
Besonders deutlich wird dies etwa bei den Weinen von Benedikt Baltes (Weingut StadKlingenberg/Franken). Sie besitzen nicht die verführerische Noblesse a´la Fürst und Huber, verbinden aber explosive reife Frucht mit einer rassigen, fast rieslingartigen Säure und zeigen Ecken und Kanten (was junger Spätburgunder durchaus darf). Bei seinem Spitzenwein, dem Schlossberg GG notierte ich mir prompt „Roter Riesling“, so lebendig, frisch und vielschichtig präsentierte sich dieser Spätburgunder. Alle Weine, die Benedikt Baltes vorstellte, vertragen wenigstens ein paar Jahre Lagerzeit.
Zu den Spitzen dieser Verkostung zählen unbedingt auch die beiden Spätburgunder von August Kesseler (Rüdesheim-Aßmannshausen/Rheingau), wobei das 2012 Berg Schlossberg GG mit seiner unglaublich fein parfümierten, dabei auch dichten, kühlen Stilistik das ebenfalls ausgezeichnete, hoch elegante 2012 Höllenberg GG leicht überflügelt.
Auch die Pfalz ist eine Spätburgunder-Hochburg. Ein Wein, der schon jahrgangsmäßig aus dem Rahmen fällt, ist das 2009 Im Sonnenschein GG vom Weingut Ökonomierat Rebholz (Siebeldingen/Pfalz), das zeigt, wie ein sehr reifer Jahrgang schmecken kann. Viel süßer Schmelz wird von Schwaden reifen Tannins gebändigt, der Wein zeigt viele Facetten, ist im Moment reif und üppig, aber nicht fett.
Meine weiteren Favoriten in der Pfalz. Die kühl eleganten Spätburgunder GG Sankt Paul und Kammerberg von Friedrich Becker (Schweigen/Pfalz), das mineralische Kalmit GG vom Weingut Kranz (Ilbesheim/Pfalz), das seidige 2011 Kirschgarten GG von Philipp Kuhn (Laumersheim/Pfalz), sowie das mit Verführungskunst und Bodenhaftung gleichermaßen begabte 2011 Kastanienbusch Köppel GG von Dr. Wehrheim (Birkweiler/Pfalz). Seine große Klasse unter jugendlichem Ungestüm verbergend (und gerade deshalb begeisternd): der 2012 Musikantenbuckel Spätburgunder trocken vom Weingut Krebs (Freinsheim/Pfalz).
Ein Bekenntnis zur Ahr: Ich bin kein großer Fan. In wärmeren Jahrgängen werden mir diese Weine einfach zu reif und alkoholstark (so z.B. im Jahrgang 2007). Auch die Spitzen-Spätburgunder des Jahrgangs 2012 von Meyer-Näkel (Dernau/Ahr) und J. J. Adeneuer sind reife Weine mit viel Alkohol, aber doch auch einer guten Balance, mit verführerischer Frucht und seidiger Struktur. Wer es kühler mag, wird deutlich schlankeren Weine von Jean Stodden (Rech/Ahr) bevorzugen, die ebenfalls gelungen sind.
Im Süden gibt es noch mehr Spätburgunder-Meister. Allen voran Rainer Schnaitmann (Weingut Schnaitmann, Fellbach/Württemberg). Sein Spitzen-Spätburgunder gehört für mich seit Jahren zu den Allerbesten: Das 2012 Bergmandel Spätburgunder GG ist sehr seidig und super-sexy, aber auch sehr vielschichtig und mit ordentlich Grip (etwas herber, aber nicht weniger sexy schmeckt übrigens Rainer Schnaitmanns 2012 Bergmandel Lemberger GG – sehr empfehlenswert).
Zwei renommierte badische Erzeuger haben wahre Klassiker hingelegt: Das Weingut Dr. Heger (Ihringen/Baden) mit seinem eleganten, im Abfüllungstief steckenden 2012 Winklerberg Spätburgunder GG und dem feinfruchtig-zugänglicheren 2012 Schlossberg Spätburgunder GG. Große Zukunft werden auch die beiden Spätburgunder GG vom Weingut Seeger (Leimen/Baden) haben, wobei das kraftvolle, aber verschlossene Große Gewächs RR aus dem Herrenberger Oberklamm in ein paar Jahren die Nase vor dem 2012 Herrenberg GG Spermen R haben wird.
All das sind große, aber auch sehr teure Weine. Es geht auch anders, deutlich preiswerter, aber ebenfalls sehr ansprechend und GG-würdig: So zeigt das 2010 Wingerte Spätburgunder GG des Privatweinguts H. Schlumberger (Laufen/Baden) Eleganz und Finesse; etwas Rauch, Hagebutten und Walderdbeeren entfalten einige Verführungskunst – kein Top-Model, aber eine Markgräfler Schönheit mit einigem Witz. Und das ganze gibt es für 17 EuroSehr viel teurer waren zahlreiche Spätburgunder GG, die ich probierte. Sie liefern Beispiele soliden Winzerhandwerks, wirklich sehr ordentlich. Aber auch ein wenig langweilig.
Stuart Pigott trägt Vivienne Westwood und wurde von Bettina Keller fotografier
PLANET RIESLING von STUART PIGOTT kommt in November
20% Rabatt im Subskriptionsangebot! (8. September, 2014)
Immer wieder wurde ich gefragt ob es eine deutschsprachige Ausgabe von BEST WHITE WINE ON EARTH – The Riesling Story (in Stewart, Tabori & Chang Verlag, New York)geben wird und wann sie erscheinen wird. PLANET RIESLING heißt sie und sie kommt in November in Tre Torri Verlag (Wiesbaden). Wie der abgebildete Umschlagentwurf unten zeigt hat das Buch ein ganz andere Optik wie die englischsprachige Ausgabe. Dazu werden die Deutschland-Kapiteln etwa 200%. Bis zum 31.10 steht das Buch im Subskriptions-Verkauf für Euro 23,90, also mit 20% Rabatt. Um sich Kopien zu sichern einfach auf dem folgenden Link klicken. Dann kriegen Sie auch sehr früh das neuen Kultbuch zum Thema der weltwichtigste Weißwein!
TESCH: Nicht mehr VDP, aber trotzdem nicht zu übersehen!
(Martin Tesch “Master of Acidity” von Frank Ebbinghaus (6. September, 2014
In diesem süßes-oder Saueres-Jahrgang 2013 hat einer wie Martin Tesch von Weingut Tesch in Langenlonsheim/Nahe gerade noch gefehlt. Seine Weine sind in der Regel knochentrocken und selbst in warmen, reifen Jahrgängen stets von einer sehr eindrucksvollen Säure geprägt. Was also ist von ihm in einem Jahr zu erwarten, wo allerorts die Säurewerte in die Höhe schossen? Man könnte meinen, dass eine Verkostung seiner aktuellen Produktion einer Jack-Ass-Mutprobe gleichkäme. Doch weit gefehlt. Die gegenteilige Vermutung ist zutreffend: Wenn einer erfahren darin ist, in heißen Jahren schlanke, mineralische Weine zu erzeugen, dann findet er in kühlen, weniger reifen ebenfalls die richtige Balance. Genauso ist es bei Martin Teschs aktuellerKollektion.
Bei dieser Gelegenheit ein kleiner Exkurs zum Thema „kompromisslos“: Mit diesem Attribut werden häufig die wahren Charakterköpfe unter Winzern wie Weinen gelobt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nie einen Millimeter vom selbstgewählten Weg abweichen, mit größter Konsequenz den einmal beschrittenen Pfad weitergehen und Widerstände als Beleg für die Richtigkeit ihres Tuns werten. Kurzum: Es sind wahre Dickschädel, echte Fundamentalisten. Sie interessieren sich im Grunde nicht für die Weintrinker, ihnen ist egal, ob ihre Weine schmecken. Hauptsache, sie können ihr Ding durchziehen. Solche Winzer sind in diesem Jahr besonders leicht zu erkennen, weil ihre 2013er Weine vermutlich nicht besonders harmonisch sind. Das Wort „kompromisslos“ sollte deshalb in diesem Zusammenhang ein für alle mal ans Wein-Phrasen-Schwein verfüttert werden.
Martin Tesch ist das beste Beispiel dafür, dass ein Winzer Kompromisse eingehen muss, um in einem schwierigen Jahr ausgezeichnete Weine zu erzeugen. Teschs Weinstil ist – ich deutete es bereits an – schlank, säurebetont und mineralisch, die trockenen Weine haben auch in sehr reifen Jahrgängen nicht mehr als rund 12,5% Alkohol. So entstehen Weine, die sehr komplex und individuell schmecken (die einzelnen Lagen unterscheiden sich stark voneinander), die aber auch stets großes Trinkvergnügen bereiten, wobei Ihnen etwas Flaschenreife sehr gut tut. Und dann sind da die günstigen Preise, die signalisieren: Dieser Winzer möchte, dass seine Weine von einem möglichst großen Publikum getrunken werden.
Eine solche Haltung, die maximales Qualitätsstreben mit größtmöglicher Popularität verbindet, ist natürlich nur um den Preis von Kompromissen zu haben. Für den Jahrgang 2013 bedeutet das beispielsweise: Teschs sonst analytisch meist knochentrockenen Rieslinge (in der Regel unter zwei Gramm Restzucker) haben 2013 ein wenig mehr Süße (so um die fünf Gramm). Und bei der Säure, die in diesem Jahr auch für Martin Tesch etwas zu hoch war, hat er ein wenig nachgeholfen. Bei letzterem kann er auf den Erfahrungsschatz eines Winzers zurückgreifen, bei dem das Thema „Säure“ eigentlich jedes Jahr auf der Tagesordnung steht.
So gelang es Tesch auch 2013, Weine in seinem unverwechselbaren Stil zu erzeugen, die sich in ihrer ausgezeichneten Balance stark von Produkten mancher Konkurrenten abheben, jedoch alle Attribute des Jahrgangs aufweisen. Ja, man könnte sogar meinen, dieser schwierige Jahrgang sei wie gemacht für Tesch. Und in der Tat haben mir vor einiger Zeit bei einer Vertikalprobe die trockenen Tesch-Weine aus säurebetonten Jahrgängen am besten gefallen.
So ist es dann doch kein Wunder, dass Martin Tesch in dem schwierigen Jahr 2013 eine ganz hervorragende Kollektion auf die Flasche gebracht hat. Man möchte Martin Tesch spontan den Titel Master of Acidity verleihen. Denn alle seine Weine werden durch eine reife Säure zum Erstrahlen gebracht, sie ist die Chef-Dramaturgin eines aromatischen Dramas, das oft noch hinter der Bühne stattfindet, aber mit Geduld in einigen Jahren im Rampenlicht steht. Hier gelingt das Kunststück, dass man sich spontan in die Mineralien-geäderte Säure verliebt, die so gar nichts hartes und scharfes hat – im Jahrgang 2013 sicher eher die Ausnahme.
Das beginnt schon mit dem Einstiegswein, dem 2013 Riesling unplugged, der als einziger der Kollektion unter zwei Gramm Restzucker aufweist und mit 11,3% Alkohol sehr bekömmlich ausfällt. Das Aromenspektrum beginnt mit leicht oxidiertem Apfel, steigert sich dann frischemäßig ins Muskat-Traubige und lässt in weiter Ferne eine Fruchtaromen-Karawane verheißungsvoll vorüber ziehen. Und doch ist dieser Wein mit seiner geschliffen kühlen Mineralik schon jetzt ein Hochgenuss – er zählt für mich zu den leckersten Gutsweinen des Jahrgangs.
Es folgen fünf Lagenrieslinge die sehr, unterschiedlich schmecken. An ähnlichsten sind sie vielleicht noch der 2013 Löhrer Berg und der 2013 Krone. Denn bei beiden Weine geht nach einer recht verhaltene Nase am Gaumen dank der Säure so richtig die Post ab, die Fruchtsüße winkt im Löhrer Berg eher aus größerer Distanz, der Wein wirkt kühler und steiniger. Während die Krone ihre herrliche Reife kaum kaschieren mag, aber nichts wirkt süß oder opulent, es ist die Säure, die reife Fruchtaromen transportiert.
Ganz anders der 2013 Königsschild, der von allen bisher genannten Weinen am meisten Frucht besitzt, die aber von der Säure mächtig angeschoben wird. So entsteht Brillanz, der sich Charme und Verspieltheit hinzugesellen.
Der reifste im Bunde ist der 2013 Karthäuser, dazu muss man gar nicht wissen, dass dieser Wein als einziger 13% Alkohol erreicht. Hier dominiert weniger die Säure, den Auftakt macht vielmehr eine feine mineralische Würze. Der Wein wirkt deshalb weniger straff, etwas süßer und deutlich fruchtiger als seine Brüder (oder Schwestern?), aber ebenfalls sehr animierend.
An der Spitze aber steht der 2013 St. Remigiusberg, dessen Aromenfülle schon der Geruch enthüllt. Auch dieser Wein wirkt reif, ohne allerdings den Karthäuser in dieser Hinsicht zu erreichen. Aber hier ist es wieder die Säure, an deren Sehne die aromatischen Schätze aufgespannt sind. Das alles wirkt überhaupt nicht üppig, sondern hoch elegant und rassig. Ein Wein, der in ein paar Jahren seine aufregende Geschichte erzählen wird
Martin Teschs sehr überzeugende Kollektion zeigt zweierlei: In einem säurebetonten Jahrgang wie 2013 sind die Säure-Experten unter den Winzern im Vorteil. Und: Es ist falsch, Kompromisse auszuschlagen. Entscheidend ist vielmehr, dass man die richtigen eingeht.
Der Geist von der Berliner Weinbar WEINSTEIN, Roy Metzdorf
HOMOPHONIE von Roy Metzdorf
Matthias Matussek hat nichts gegen Schwule – ihm geht nur das Theater auf die Nerven von Roy Metzdorf (5. September, 2014)
Der Autor, Publizist und ehemalige Kulturchef des „Spiegel“, Matthias Matussek, zeiht sich in der „Welt“ vom 12. Februar 2014 und in weiteren Beiträgen im Netz der Homophobie und findet das auch gut so. Angesichts des Schöpfungsauftrages, den uns Gott gegeben habe – „Gehet hin und mehret euch“ – sei Homosexualität eine defizitäre Form der Liebe. Schließlich sei es eine ganz simple Einsicht, dass sich Lebewesen fortpflanzen müssten, um die Art zu erhalten. Im Gegensatz zu Heterosexuellen könnten sich Homosexuelle jedoch prinzipiell nicht für Nachwuchs entscheiden. In Übereinstimmung mit dem Philosophen Robert Spaemann hält er sie daher für unvollständig ausgestattete Wesen, denn sie verfügten nicht über die Dinge, die zu einem normalen Überleben gehörten. In diesem Sinne sei Gleichgeschlechtlichkeit ein offenkundiger Fehler der Natur, und er habe keine Lust, sich für diese Ansichten von Gleichstellungsfunktionären platt machen zu lassen, egal wie oft sie ihm vorhalten mögen, dass es auch in der Natur bei irgendwelchen Pantoffeltierchen Homosexualität gebe. Eigenartiger Weise verzichtet er zur Untermauerung seiner Thesen auf die Frage, was denn wohl geschehen würde, wenn man alle weltweit schätzungsweise 170 Millionen schwulen Männer auf eine Insel verbannen würde.
Die Einsicht, dass sich Lebewesen fortpflanzen und überdies Fressfeinden, Krankheiten und Naturkatastrophen widerstehen müssen, um zu überleben, ist für Matussek offenbar nicht mehr ganz so simpel. Arten bewerkstelligen das, indem sie weit mehr Individuen hervorbringen, als sie zur Reproduktion benötigen. Deshalb muss sich nicht jedes einzelne Lebewesen vermehren, um die Art zu erhalten. Das Merkmal Homosexualität ist somit auch ohne evolutionären Nutzen überlebensfähig. Schließlich lässt die Evolution gleichfalls solche Merkmale existieren, die für die Anpassung an den jeweiligen Lebensraum bedeutungslos sind.
Zudem gelingt die Erhaltung der menschlichen Gattung nur, wenn sich zur Fortpflanzung auch Brutpflege gesellt. Matussek wird aufgefallen sein, dass schwule Mathelehrer sich um das Zahlenverständnis der Kinder kümmern, dass schwule Bäcker das Pausenbrot backen und schwule Kinderärzte bei Krankheiten helfen. Darüber hinaus tragen sie zum Funktionieren des Gemeinwesens bei, indem sie für den Verdienst aus diesen Beschäftigungen Steuern abführen. Ihm leuchtet gewiss ein, dass Kinderlose auf diese Weise ihren Beitrag zur Arterhaltung leisten.
Und dass der Sexualtrieb über die Absicherung der Fortpflanzung hinausgehende Funktionen aufweist, sollte er im Selbstversuch herausgefunden haben. Mit der Lust am Sex verhält es sich, wie mit der Lust am Essen. Wir sind in der Lage, die geschmackliche Komplexität eines guten Essens wahrzunehmen und uns so in einen sinnlichen Rausch zu versetzen, obwohl das Hungergefühl ausreichen würde, uns zur Nahrungsaufnahme zu bewegen. Ihm ist durchaus nicht entgangen, dass Lustbefriedigung ein wichtiger Baustein zur Erhaltung des psychischen Gleichgewichts ist. Oder will er behaupten, in seinem Leben immer nur dann Sex gehabt zu haben, wenn es ihm um Fortpflanzung ging?
Sollte er das Sexualverhalten von Homosexuellen dennoch für defizitär halten, muss der gläubige Katholik Matussek ebenso das Sexualverhalten zölibatär lebender Nonnen, Mönche und Priester als einen Fehler der Natur interpretieren. Auch sie „können sich prinzipiell nicht für Nachwuchs entscheiden“.
Dessen ungeachtet ist die Menschheit zu einer der erfolgreichsten Arten auf Erden geworden. In den letzten 50 Jahren hat sich die Anzahl ihrer Individuen verdoppelt.
Mit ihrem munteren, frechen Verhalten treten Schwule von heute aufmüpfig für ihre Rechte ein und haben so das Reinheitsgebot für Sex in Deutschland zu Fall gebracht. Ist das die Ursache für seine Klage: „eine Minderheit terrorisiert die Mehrheit“? Ist es glaubhaft, dass ein Intellektueller im Deutschland des 21. Jahrhunderts die Bibel wörtlich auslegt, in solch schlichten, monokausalen Zusammenhängen denkt und derart dürftig argumentiert? Kann man so jemanden ernst nehmen?
Man kann nicht nur, sondern man muss! Denn in unserer unüberschaubar vielfältigen und komplexen Welt ist niemand in der Lage, sich ein ausschließlich rationales Bild zu machen. Bleiben Erklärungslücken, stopfen wir sie mittels Emotion, Intuition und Religion. Deswegen sucht uns das Vorurteil heim. Matussek tarnt es mit der aus anderen Zusammenhängen bekannten Formel „Ich habe nichts gegen Schwule, aber…“. Wenn jedoch jemand den Anschein erweckt, von der Mehrheit abweichende Individuen wären defizitär und damit fehlerhaft, ist Gefahr im Verzug. Zur Behauptung, diese Individuen seien minderwertig, ist es dann nicht mehr weit.
Die Klassifizierung von Menschen in voll- und minderwertig wird schnell zum Ausgangspunkt für Ausgrenzung und Verfolgung: Vordenker, die irrational argumentieren, große Wählergruppen, bei denen Emotionen geschürt werden, Politiker, die daraus Programme machen, Parlamentarier, die entsprechende Gesetze verabschieden und am Ende der Kette Vollstrecker, die sich hinterher auf Befehlsnotstand berufen.
Wir sollten die Aufklärung unbedingt fortführen, damit diese Prozesse nicht zum Perpetuum mobile werden.
Und was die Antwort auf die Frage nach der Schwuleninsel anbelangt: nach 100 Jahren wäre sie immer noch bewohnt, da heterosexuelle Paare ständig für neuen schwulen Nachwuchs sorgen.
An viele Orte wird Riesling geliebt und gelobt!
UNTER DER SÄUREPEITSCH: 2013 Gutsriesling trocken von Frank Ebbinghaus (4. September, 2014)
Schwierig war der Jahrgang 2013, sagen viele Winzer. Fragt sich nur, für wen? Natürlich für die Winzer selbst. Sie mussten den Wein der Natur geradezu abringen, Qualität konnte nur um den Preis großer Mengeneinbußen erzeugt werden. Und dann die hohen Säurewerte … Da war voller Einsatz auch im Keller gefordert.
Schwierig wird dieser Jahrgang auch für viele Konsumenten. Sie müssen Säure mögen, auch dort, wo man sie gar nicht so erwartet, in eher säurearmen Weinen wie dem Silvaner. Und im Riesling sowieso und mehr denn je. Allerdings macht es einem der Jahrgang auch wieder ganz leicht. Gelungen ist all das, was die Säure bändigt, wo die Balance stimmt und die Aromen reifer Trauben klar im Vordergrund stehen. Es mag Jünger der Säure-Peitsche geben, für die der Spaß erst bei knochentrocken und gefühlten zwölf Promille Säure anfängt – sie kommen wahrlich nicht zu kurz bei diesem Jahrgang. Und dann gibt es die Gralshüter der Authentizität, die alle technischen Eingriffe verachten, welche das jahrgangstypische Terroir verfälschen könnten. Man erkennt sie daran, dass sie vor dem ersten Probeschluck besorgt fragen, ob der Wein entsäuert wurde. Aber selbst für sie hält der Jahrgang manche Herausforderung bereit.
Optimisten hoffen darauf, dass manche Große Gewächse (GG) die dominante Säure durch eine lange Lagerzeit besser integrieren und die Weine harmonischer werden (ob von der Säure dominierte GGs je wahrhaft große Weine werden können, wage ich stark zu bezweifeln).
Realisten greifen zum trockenen Gutsriesling, Einstiegswein und Aushängeschild vieler Weingüter. Diesen Weinen, die ihren Gattungsnamen durch das häufig auf dem Etikett abgebildete Weingutsgebäude erhalten haben, während eine Lagen-Angabe fehlt, haben in den letzten Jahren vom Winzer-Ehrgeiz stark profitiert. Man bekommt immer häufiger sehr gute Qualität zum günstigen Preis. Hier sind Weine entstanden, die Charakter und Komplexität mit großer Zugänglichkeit verbinden. Ein wirklich guter trockener Gutsriesling zeigt, was er hat, er muss wenigstens zwei Jahre nach der Abfüllung gut schmecken und zum Trinken animieren. Auch diese Weine können langlebig sein, in dem ausgezeichneten Jahrgang 2012 erzeugten Spitzenbetriebe trockene Gutsrieslinge, die auch in zehn Jahren noch gut schmecken werden und manchem GG das Wasser reichen können.
Und 2013? Das Niveau ist nicht ganz so hoch, aber viele Winzer haben sehr leckere Weine erzeugt, die mit reifer Frucht und frischer Säure besonders in der warmen Jahreszeit gut schmecken.
Aber es gibt sie auch hier, die Säurepeitsche. Weine, die zum Zeitpunkt des Probierens völlig unharmonisch schmeckten. Das heftigste Beispiel war für mich der trockene Gutsriesling des Weinguts Dreissigacker (Bechtheim, Rheinhessen). Der Wein roch nach Hefe und Sauerkraut und schmeckte nur nach Säure. Das ist sehr irritierend, denn gerade von diesem Weingut mag ich den trockenen Gutsriesling in anderen Jahren immer besonders gerne. Er ist schlanker und animierender als manche, der oft recht üppigen trockenen Spitzenweine von Dreissigacker. Ich probierte diesen Wein wie viele andere trockene 2013er Gutsrieslinge am 13. Juni im Rahmen des von Martin Zwick in Berlin ausgerichteten „BerlinGutsrieslingCup“. Es fehlte bei dieser Probe wahrlich nicht an weiteren, entsetzlichen Weine bekannter Erzeuger.
Umso eindrucksvoller sind die vielen positiven Gegenbeispiele. Der 2013 Riesling trocken des jungen Johannes Sinß (Weingut Sinß, Windesheim/Nahe) verbindet eine kräuterige Rasse mit gerade soviel fruchtigem Schmelz, dass der Wein kühl, komplex und süffig schmeckt. Ebenfalls sehr eindrucksvoll ist der 2013 Zilliken Riesling trocken des Weinguts Forstmeister Geltz-Zilliken (Saarburg, Saar), der reif, rassig und stofflig wirkt, mit seinem Blütenduft, dem Pfirsich- und Ananas-Aroma viel Charme, zugleich aber auch einen rassig-mineralischen Zug entwickelt – ein Musterbeispiel für die Sinnlichkeit und Komplexität, die bei einem Wein dieser Qualitätsstufe auch in einem schwierigen Jahrgang möglich ist. Verrücktes Zeug kommt vom Weingut Bietighöfer, Billigheim-Mühlhofen/Pfalz. Der Wein roch im Juni noch nach der Spontanvergärung. Ich mag das normalerweise nicht. Aber hier ist das anders, zumal der Wein neben viel Frische ein wildes Aromenpotpourri aus Rauch, gelbem Steinobst und Grapefruit bot.
Keiner der wirklich überzeugenden Weine wirkte irgendwie „gepimpt“ oder manipuliert, sie alle leben von einer lebendigen Säurefrische, aber mehr noch von ihrer reifen Frucht. Sie zeigen das wahre Gesicht dieses schwierigen Jahrgangs.
Jene, die ich nicht mag, sind keinesfalls schlechte oder fehlerhafte Weine. Sie bereiteten jedoch zum Zeitpunkt der Verkostung keinerlei Genuss.
Mag ich: Mag ich nicht:
Sinß Dreissigacker
Forstmeister Geltz-Zilliken Christmann
Emrich Schönleber Siener
Bietighöfer Engel
von Winning Wittmann
Können Rieslinge zu mineralisch schmecken?
von Stuart Pigott (1. September, 2014)
Mein erstes Posting auf WEINHIER hatte die extrem unharmonische Art mancher 2013er GGs des VDP als Thema. Statt auf eine möglichst stimmige Harmonie der extrem säurebetonten Weinen dieses Jahrgangs abzuzielen, scheinen manche Winzer gnadenlos einer bestimmten Vorstellung von „Authentizität“ gefolgt zu sein. Ein Teil der Weinszene versteht jetzt „wilde” Aromatik (Stichwort: Sponti, bzw. Böckser, bzw. ein Stoff namens Merkaptan) und Härte (Säure und Gerbstoffe) im Wein als Zeichen von Authentizität. So lange diese Elemente im Wein gut integriert, bzw. die positiven Eigenschaften des Weins ausgeprägt genug sind, kann das sehr spannend sein. Falls der Wein eindeutig zu wenig ansprechende Inhaltsstoffe besitzt, führt dieses Streben nach vermeintlich unverfälschtem Terroir-Geschmack zu bizarren Gewächsen, die extrem anstrengend sind und keine Freude bereiten. Ich bin gegen Weine die nur existieren, um von Weinfreaks verkostet zu werden. Sie sind pevers!
Vermutlich haben sich manche von Ihnen gefragt, welche 2013 Riesling GGs Stuart Pigott gut findet (weil sie jetzt schon sehr gut schmecken) und welche schlecht (weil sie jetzt so schlecht schmecken). Diese sind persönliche Empfindungen und Meinungen, aber als Journalist fühle ich mich verpflichtet, diese Information bekannt zu geben. Zuerst die guten Nachrichten:
2013 Riesling GG: Ganz oben
Berg Schlossberg – August Kesseler, Assmannshausen/Rheingau
Dellchen – Dönnhoff, Oberhausen/Nahe
Halenberg – Emrich-Schönleber, Monzingen/Nahe
Hohenrain – Weingut zum jungen Oetinger, Erbach/Rheingau
Kastanienbusch „Köppel“ – Dr. Wehrheim, Birkweiler/Pfalz
Kirchenstück – Acham-Magin, Forst/Pfalz
Marienburg „Rothenpfad“ – Clemens Busch, Pünderich/Mosel
Ohligsberg – Reinhold Haart, Piesport/Mosel
Röttgen – Heymann-Löwenstein, Winningen/Mosel
Weiss Erd – Franz Künstler, Hochheim/Rheingau
Bitte denken Sie nicht, ich würde andere 2013 Riesling GGs verachten. Manche tollen Weine wie das Schloss Johannisberg GG sind noch zu verschlossen, um jetzt auf dieser Liste zu stehen. Hier geht es nur darum, welche Gewächse mir heute am besten schmecken. Mehrere der aufgeführten Weingüter hätten mit zwei oder drei Weinen auf der Liste stehen können.
Hier nun die fünf bittersten Enttäuschungen:
2013 Riesling GG: Ganz unten
Felseneck – Prinz Salm, Wallhausen/Nahe
Morstein – Gutzler, Gundheim/Rheinhessen
Pechstein – Reichsrat von Buhl, Deidesheim/Pfalz
Pechstein – von Winning, Deidesheim/Pfalz
Pettenthal – St. Antony, Nierstein/Rheinhessen
Glauben Sie bitte nicht, dass jedes Riesling GG der oben genannten fünf Weingüter „schlecht“ ist. Zum Beispiel finde ich das Orbel GG von St. Antony wesentlich gelungener als das Pettenthal GG. Es gibt auch andere Weingüter, wie Gut Hermannsberg in Niederhausen/Nahe, wo ich nicht weiß, was ich von deren neuen Riesling GGs halten soll, weil momentan ihre „wilden“ Aromen vieles überdecken. Diese Aromen könnten sich mit der Zeit durchaus abmildern. Aus dem hässlichen Entlein ist bekanntlich ein prächtiger Schwan geworden, aber solche Verwandlungen brauchen eben ihre Zeit.
DER STEINIGE WEG DER GGs
von Stuart Pigott (30. August, 2014)
Man kann sich heute schwer vorstellen, wie gewagt es war, als der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) die Bezeichnung „Großes Gewächs“ (GG) für hochwertige trockene Weine aus klassifizierten Spitzenlagen eingeführt hatte. Das ist nicht viel mehr als 10 Jahre her, aber inzwischen ist diese Kategorie von Weinen so fest im Markt etabliert, dass ein „GG“ auf dem Etikett ein großes Versprechen ist. Es ist sogar noch weit mehr als das, weil „GG“ heute nicht nur für höchste Qualität steht, sondern auch für die Essenz des „Terroir“; den Geschmack einer großen Lage, den vollendeten Ausdruck ihres Bodens und ihres Mikroklimas, das unverwechselbare Abbild des Vegetationszyklus eines Jahres in einer Spitzenlage.
Dank der GGs wurde nicht nur dieser französische Begriff ins Deutsche übernommen, sondern ist auch zu einem deutschen Wert geworden, ja, zu dem deutschen Wein-Wert der Gegenwart schlechthin. Auch wenn das fast nach Religion klingt, ist es genau das, was die GGs real verkörpern. Die Weinszene ist begeistert, die Weinfreaks jubeln auf Facebook, Twitter und Instagram. Zweifellos hat für den deutschen Wein ein neues Zeitalter angefangen. Aber wohin führt das Ganze? Ist der deutsche Wein vielleicht auf einem zu steinigen Weg?
Rückblende auf Dienstag, den 26. 8, früher Nachmittag: Ich bin in Wiesbaden, wo die „Premiere“-Verkostung der weißen GGs des Jahrgangs 2013 und der roten GGs des Jahrgangs 2012 stattfindet. Teilnehmen dürfen nur Journalisten, Sommeliers, wichtige Blogger und Händler. Es herrscht andächtige Stille, unterbrochen nur vom Klicken der Computer-Tastaturen und dem Klingen edler Weingläser. Vor mir steht Flight 34: Fünf Riesling GGs aus der Lage Pechstein (Forst, Pfalz) sowie eins aus der Lage Freundstück. Alle fünf Pechstein-Weine weisen eine gewisse rauchige – mineralische? – Note und einen schlanken Körper auf – Terroir! Aber ihnen ist auch eine heftige Säure eigen. Geschmacklich am besten integriert ist sie im GG des Weinguts Acham-Magin, am wenigsten erträglich im GG des Weinguts Reichsrat von Buhl. Dieser Wein schmeckt schlichtweg sauer. Oder nein, es ist noch schlimmer. Die Mineralien und Tannine haben sich mit der Säure zu einem schroffen, kantigen Kern vereint. Ich schüttele mich! Das war keinesfalls das einzige Beispiel für dieses Phänomen. Die „Premiere“ hatte zwar zahlreiche Höhepunkte, aber immer wieder bin ich in dieser sauer-harten Ecke gelandet.
Auch wenn manche Winzer und Kollegen jetzt laut aufschreien mögen, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass in „Terroir“ der alte deutsche Begriff „Herkunft“ in zeitgemäßem philosophischem Gewand wieder auferstanden ist. In beiden Fällen geht es vor allem um etwas, das vor hundert Jahren „Reinheit“ genannt wurde und heute „Authentizität“ heißt. Damals hat man den „Wohlgeschmack“ gesucht wie heute die „Konzentration“. Aber vor hundert Jahren stand nichts über der Reinheit des Weins, so wie heute nichts über dessen Authentizität steht und jemals stehen könnte. Das trifft in hohem Maß auf die GGs zu. Egal wie gut oder schlecht sie schmecken, muss ihre Authentizität garantiert sein, sonst ist alles scheiße; jedes andere Wort wäre hier fehl am Platz. Die Rolle von uns Journalisten, von Sommeliers, Bloggern und Händlern in Wiesbaden war, genau das zu prüfen und den Stempel auf die GGs. zu drücken, dass sie diese harte Prüfung bestanden haben. Das ist so deutsch wie Wagners „Ring“, eben erbarmungslos und humorlos deutsch und kann deshalb so zwanghaft und lächerlich wirken wie Fotos der ersten „Ring“-Aufführungen.
Ich will es ganz klar sagen:
Wein muss Spaß machen und Freude bereiten. Wein kann die Tür öffnen zu den besten Sachen des Lebens wie lebhafte Gespräche und Inspiration, wie zu zusammen lachen, lieben, weinen und noch sehr viel mehr.
Die deutsche Literatur, Kunst und Film haben das häufig als Haupt- oder Nebenthema und sind damit nicht alleine auf der Welt. Leider hat ein Teil der deutschen Weinszene diese grundlegenden Motive über Bord geworfen und einem noch größeren Teil rutschten sie wie schlecht gesicherte Ladung über die Reling. Für all diese Weinerzeuger reicht ein guter Geschmack, der viele kritische Konsumenten erfreut, nicht mehr aus. Sie wollen heilige Authentizität um jeden Preis. Notfalls – siehe Jahrgang 2013 – muss auch schlechter Geschmack dafür im Kauf genommen werden. Für manche GGs des Jahrgangs 2013 muss man richtig leiden, weil der Neue Deutsche Wein eben echter hardcore ist und sein soll. Herzlich willkommen auf dem steinigen Weg der GGs!
Hallo lieber Stuart Pigott,
wie entlastend und erholsam das doch ist, was sie geschrieben haben. Da ist der Wein aus Deutschland auf einem so guten Weg und überall kann man Weine für kleines Geld bekommen, die einem die Augen Strahlen lassen, weil hier mit Frucht, Säure, Mineralität und Frische gespielt wird, dass der Mund gar nicht weiß, wo er zuerst hinschmecken soll. Und kaum ist das so, bilden sich schon wieder Werte heraus, die steif und mit deutschester Konsequenz verfolgt werden und schon wieder vertraut man NICHT seiner Zunge, sondern dem Diktat der großen Namen, selbst, wenn die manchmal einfach nur sauer sind.
Solche Erlebnisse hatte ich vor Kurzem mit dem 2013er Liter-Riesling aus dem Hause Reichsrat von Buhl und leider, leider auch mit dem 2013er Riesling von Katharina Wechsler. Die Weine aus 2012 waren allesamt herrlich und von einem so unprätentiösem Stil, bei reinem Sortentypus und schönstem Trinkfluss, dass ich die 2013er Scheurebe und den Riesling gleich nach Abfüllung geordert habe. Die cheurebe hat sich inzwischen etwas gesetzt. Sie ist jetzt filigran, frisch und spritzig mit schönen eindeutigen Fruchtaromen nach Grapefruit. Aber der vielgelobte (von der Winzerin selbst am meisten) Riesling ist schlicht nicht zu trinken… Schade. Ich warte noch eine Weile und melde mich wieder. Vielleicht beruhigt er sich ja noch…?!
Pingback: Rezension: »Planet Riesling« von Stuart Pigott – Nicole Rensmann
Stuart,
I am writing a story about Smith-Madrone (for Wine and Craft Beverage News). Could I submit to you, via a phone conversation or email, some questions about your opinion of the winery for the story?
I wrote a story about Stony Hill, next door down the mountain, for the same publication, in 2014.
I appreciate it.
Sincerely,
Karl H. Kazaks
Karl, you could also submit a story to me (I don’t pay, because I actually loose money on this site). If you are interested please send it to my email: Stuart.Pigott@t-online.de Many thanks, Stuart