Der Weinkeller: Unendliche Weiten, aber keine gähnende Leere. Und irgendwo im verdichteten Raum des flaschenreichen Kosmos treiben schwarze Löcher ihr Unwesen. Dort, wo manche Bouteille mitunter einfach verschwindet, um dann nach Jahren in Raum und Zeit wieder aufzutauchen. Kein ordnendes Schöpfungsprinzip kann temporäre Verluste hindern, ab einer gewissen Kellergröße stellen sich Unauffindbarkeiten ein, die bisweilen auch absichtsvollem Vergessen geschuldet sein können. Denn was sich dem sicheren Zugriff entzieht, ist das oft wenig Geliebte, bewusst Unbeachtete, dem man nicht nachgeht, wenn einem der Verlust dämmert. Aber alles findet sich auf Dauer wieder ein. Und dann können Wunder geschehen.
Es war eigentlich nur preiswerter Beipack für die teuren Burgunderweine des Weinguts Rudolf Fürst (Bürgstadt/Franken). So landeten vor rund zehn Jahren jeweils drei Flaschen „Bundsandsandstein-Terrassen Alter Satz von Riesling & Silvaner“ der Jahrgänge 2003 und 2004 in meinem Keller. Sie wurden nach Ankunft kurz genossen, ohne das Bedürfnis nach mehr zu wecken. Sehr mineralisch waren sie, fruchtarm, mit ordentlich Säure sogar im Jahrgang 2003 – echte Charakterköpfe, herausfordernd. Vor zwei oder drei Jahren öffnete ich eine vergessene Flasche 2003er und war begeistert: Der Wein war ungeheuer hedonistisch, fantastisch balanciert – ein Saufwein für Wein-Gebildete. Ich fand eine Flasche 2004er, von der ich glaubte, sie sei die letzte, war aber enttäuscht. Der Wein wirkte flach.
Aber nun geriet mir die allerletzte 2004er in die Hände. Und, oh Wunder: Der Wein entpuppte sich als perfekter Gentleman: Grüngold funkelte er im Glas, mit feiner Reife, Apfel, Seetang, zarter Süße, reifer, unterstützender Säure im Hintergrund (wohl mehr Silvaner als Riesling) und einer fast etwas schaumigen Viskosität – ein Hochgenuss.
Es gibt eben keine schwachen Weine von großen Winzern. Nur falsche Trinkfenster.
Jetzt ist sie unwiederbringlich dahin, die letzte Flasche eines Weines, der schon lange nicht mehr produziert wird.
Fränkischer Charakterkopf, gerne hätte ich mich noch länger mit Dir unterhalten. Doch habe ich Dich zu lange verkannt. Und jetzt bist Du für immer verstummt. Farewell! Hier setzte ich Dir Dein wohl verdientes Denkmal.