Wer Erich Machherndl reden hört, schaut ihm beim Denken zu. Man spürt, wie Energieströme in Lichtgeschwindigkeit durch die Neuronen und Synapsen seines Gehirns rasen, um als Schallwellen mehr ausgestoßen als sorgsam artikuliert zu werden. Die salvenartige Suada wird in dem Tempo gesprochen in dem sie gedacht wird: impulsiv, aber doch keineswegs ungeordnet. Machherndl, der ein kleines Familienweingut in Wösendorf/Wachau (Österreich) betreibt, hat sich so ziemlich über jedes Detail der Weinbereitung seine Gedanken gemacht. Und lässt seine Zuhörer, die sich in der Berliner Weinschenke „Weinstein“ zur Probe zusammenfanden, keineswegs darüber im Unklaren, dass sich seine Weine detaillierter Überlegungen versanken, die selbst vermeintlichen Kleinigkeiten größte Bedeutung beimessen, wobei der Winzer sehr aufmerksam die Produktionsweisen seiner zum Teil hoch berühmten Kollegen beobachtet.
Knochentrocken und Null Botrytis: So lautet Machherndls Kredo. Er gehört zu einer neuen Generation Wachauer Winzer, die auf einen klaren, mineralischen Weinstil schwört. Und tatsächlich gibt es an diesem Abend einige beeindruckende Weine in diesem Stil zu probieren. Aber die besten Weine sind doch ganz anders.
Was wie ein Widerspruch wirkt, ist doch nur Ausdruck einer urwüchsig kreativen Energie, die diesen Winzer auch dazu antreibt, seine Überzeugungen nicht in Dogmatismus erstarren zu lassen. Aber der Reihe nach. Es gab an diesem Abend die Gelegenheit, neben dem aktuellen Jahrgang auch gereifte Weine zu probieren. Erich Macherndl selbst führt seit 1998 das Weingut, betont aber die große Kontinuität zu seinem Vater, mit einem Unterschied: „Im Gegensatz zu meinem Vater bin ich richtig charmant.“
Das durfte er ruhig aussprechen, denn die gereiften Machherndl-Weinen bestachen mehr durch ihren kompromisslos mineralischen Charakter als durch Charme. So wie der 1992 Kollmütz Grüner Veltliner Smaragd, der, nachdem er eine unangenehme Kellernote abgelegt hatte, nach nassem Stein und feuchtem Laub duftete, unter Lufteinfluss zulegte und vor allem als Essensbegleiter gute Dienste leistete.
Noch lebendiger war der 2001 Jochinger Steinwand Grüner Veltliner Smaragd mit seinem Duft nach grünen Walnüssen, die sich auch im Geschmack wiederfanden, als eine leicht medizinale Aromatik in den Hintergrund trat. Wie gesagt: Fordernd, uncharmant, aber charakterstark und mit Trinkfluss ausgestattet – was für Fans.
Welche Überraschung aber bereitete uns der 1990 Kollmütz Riesling Smaragd? Feine Bienenwachsnoten mischten sich mit Melonenduft, die frische, feine Frucht klang am Gaumen in einer leichten Nougatnote aus. Der Wein verfügt über eine spürbare Süße, die ihm einen gesetzten Alterscharme verleiht, der freilich einer pointierten Lebendigkeit und Eleganz den Vortritt lässt. Gerne würde ich wissen, welcher trockene deutsche Riesling aus diesem vormaligen „Jahrhundertjahrgang“ es mit diesem Wein noch aufnehmen könnte.
Deutlich süßer schmeckte der 2007 Kollmütz Riesling Alte Reben halbtrocken, der schon recht gereift wirkte und einem Eindrücke von mürbem Apfel, Orange und Orangenzeste über den Gaumen schickte bis einen das steinige Finale wieder erdete. Besonders bemerkenswert: Dieser Wein hatte versehentlich einen biologischen Säureabbau vollzogen. Rieslinge können dann oft schlapp und fett schmecken, sie verlieren mit der Äpfelsäure oft ihre Spritzigkeit und Brillanz, was bei diesem Wein aber überhaupt nicht ins Gewicht fiel.
Noch einen spektakulären „Ausreißer“ aus der Produktphilosophie erbrachte die Verkostung des aktuellen, noch nicht abgefüllten Jahrgangs 2014. Denn der erst am Vortag filtrierte 2014 Kollmütz Riesling Smaragd, der mit seiner knochentrockenen, von einer laserstrahlartigen Säure getragenen Art geradezu bestach, weil der Wein eine tolle Harmonie und beeindruckende Länge aufwies, hatte einen noch eindrucksvolleren Zwillingsbruder. Dieser Riesling gleichen Namens wurde am 26. Oktober 2014 gelesen, als sich auf den sehr reifen Trauben gerade ein wenig Botrytis bildete. Eben so viel, dass sie die vielschichtige Frucht des Weins zum Tanzen brachte, während die kräftige Säure ein salziges Finale beschert – ein Meisterwerk im Werden.
Dass auch Erich Machherndls Neuronen und Synapsen gelegentlich ein heißes Tänzchen hinlegen, bewies zum Abschluss ein Experiment. Die Trauben für das 2014 Grüner Veltliner Federspiel waren erst am 26. November 2014 gelesen worden! Der Most lag ganz zehn Tage auf der Maische. „Mein leichtester Wein,“ grinste Machherndl als wir probierten und von einer Wahnsinnsaromatik, die grüne Nüsse, weißen Pfirsich und vieles andere enthielt, hingerissen wurden. Leicht waren hier nur der Alkoholgehalt von 11,6 Prozent und die Gedanken, welche die Entstehung dieses Wunderwerks ermöglichten.