“Pinot-Noir-Musik die meinen Herz trifft aber bezahlbar ist!” Stuart Pigott
Nina ist so eigenwillig und kompromisslos wie man es von einem Winzer oder einer Winzerin erwarten kann. Für sie gibt es nur ein Ziel, das sie mit Geduld und äußerster Beharrlichkeit verfolgt. Alles andere ist untergeordnet. Egal, ob Wetterkapriolen, Hunger, Schmerz oder völlige Erschöpfung: Kein Hindernis und keine Qual sind groß genug, um Nina auch nur ein Jota von ihrem Weg abzubringen. Wie wohl die Pinot Noirs von J. Christopher (Oregon/USA) schmecken würden, wenn Nina für ihre Erzeugung zuständig wäre? Die Antwort bleibt hypothetisch. Denn Nina ist die deutsche Schäferhündin des Weinmachers Jay Somers (im Bild oben). Und ihre einzige Leidenschaft, die in dieser totalen Hingabe selbst unter Caniden nicht eben häufig zu beobachten ist, liegt im Apportieren von Bällen.
Aber über die Wesensähnlichkeiten von Herrn und Hund kursieren ja die unterschiedlichsten Mutmaßungen. So darf man fragen, inwieweit der Herr nach seinem Hund geraten ist. Und was das für die Pinots des jungen Weinguts J. Christopher bedeutet. Zielstrebigkeit mag man Jay Somers durchaus unterstellen, bedenkt man, dass er seine Winzerkarriere 1996 mit zwei Eimern Trauben im elterlichen Haus begann. Und heute über über 10 Hektar eigene sowie 16 Hektar zugekaufte Reben gebietet sowie über eine stattliche Winery, deren Fasskeller in die Felsen der Chehalem Mountains getrieben wurden.
Und doch würde man prima vista nicht behaupten wollen, Jay Somers sei einer dieser super-ehrgeizigen Masterplan-Winzer. Er wirkt wie ein Künstler, der die Empfindsamkeit seiner sensiblen Seele mit einer Prise Selbstironie bestäubt. Und Künstler ist er in der Tat, einer von hohen Graden sogar, sehr begabt, wie man hier sehen und hören kann:
https://www.youtube.com/watch?v=ytoP4jAlaR0
Der Ziegenabart am Bass ist übrigens Tim Malone. Der hat am feinen Berklee College of Music in Boston studiert und ist im Weingut so was wie Jays rechte Hand. Zwei Musiker, die Pinot Noir erzeugen: Das klingt recht romantisch. Und vielleicht würden die beiden auch heute noch in irgend einer Garage handgemachte Preziosen kreieren, die die Welt nie erreichen, wenn nicht ein deutscher Riesling-Winzer und Burgunder-Aficionado auf Jays Weine aufmerksam geworden wäre und in ihnen die burgundischsten in Oregon gesehen hätte. Eine steile These, gewiss. Aber wenn man weiß, dass sie aus dem Mund von Mosel-Winzer Ernst Loosen stammt, der neben Riesling auch Pinot Noir liebt wie sonst nichts auf diesem Planeten: Dann wird man doch neugierig.
Ernst Loosen wollte immer schon Pinot Noir erzeugen: Das Burgund war ihm zu teuer, die Pfalz, wo er mit seinem Weingut Villa Wolf auch sehr guten Spätburgunder herstellt, für seinen Ehrgeiz zu wenig. Aber die Weine von Jay Somers faszinierten ihn von Anfang an. Und weil Loosen nicht nur das Duracell-Häschen unter den deutschen Weinmachern ist, sondern in puncto kompromissloser Fokussierung auch der wahre Wesensverwandte von Jays Schäferhündin Nina, wurde die Idee eines gemeinsamen Weinguts schnell in die Tat umgesetzt. Dabei war Loosen völlig egal, dass das Mini-Weingut J. Christopher bis dato in den USA keinen Ruf hatte. Loosen dagegen verfügt über einen nicht eben geringen, seit er im Rahmen eines Joint Ventures mit Chateau Ste. Michelle (Woodinville/Washington State) Riesling erzeugt und auch mit seinem Mosel-Marken-Riesling „Dr. L.“ in Amerika gut im Geschäft ist. Dass es riskant ist, wenn ein Riesling-Star in einer anderen Region plötzlich Pinot Noir (ko-)produziert, weil die Marken-Identität Schaden nehmen könnte: Das ist Loosen völlig wurscht. Und der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. Die Weine sind von der Kritik positiv aufgenommen worden.
Kürzlich haben Loosen und Somers einige Pinot Noirs von J. Christopher in Berlin präsentiert. Schnell wurde deutlich, dass Jay Somers, der für Weinstil und -erzeugung verantwortlich ist, sehr klare Ansichten hat. Er holte erdgeschichtlich weit aus, rief die urzeitliche Überschwemmung des Columbia Valley durch die Missoula Flood in Erinnerung, folgte der Entwicklung von Gesteinsmassiven und Böden, räumte mit ein paar Vorurteilen über Neue-Welt-Pinots auf (von wegen breit und fett. Oregon ist kühler als das nördlich gelegene Washington, das Klima ist ziemlich unberechenbar, die Jahrgangsunterschiede groß). Dann erklärte er ausführlich die unterschiedlichen Terroirs und ließ zur Anschauung Bodenproben durch die Zuhörerschaft wandern. Dass die Trauben mit Füßen gestampft und mit Schalen vergoren werden (bringt Struktur und Eleganz), ist kein PR-Gag, ebenso wenig das Bekenntnis zu biodynamischen Produktionsmethoden, die die Böden lebendig und gesund halten. Und klar, spontanvergoren wird auch. All das sollte heißen: Hier weht der Geist von old Europe.
Aber wie schmecken die Weine? Mitgebracht hatte Jay Somers je drei Pinots der Jahrgänge 2011 und 2012, kühl der eine, der andere sehr warm. Man merkte die Unterschiede freilich kaum. Stil des Hauses ist ein kühler, straffer, sehniger und eleganter Pinot-Stil mit viel Struktur und Mineralität. Alle Weine wirkten embryonal und reduktiv. Sie sind komplex, verbergen ihre Frucht aber im Hintergrund. Wer sich jetzt mit ihnen beschäftigen will, braucht Zeit, Geduld und einen großen Decanter.
Und doch schmeckten die Weine sehr unterschiedlich: Während sich der vulkanische, sehr eisenhaltige Boden (ähnlich der Mosellage Ürziger Würzgarten) im 2012 Pinot Noir Dundee Hills in einer fast „blutigen“ Aromatik widerspiegelt, während von Ferne Johannisbeeren und Kirschen grüßen, gibt sich der auf felsigem Meeressediment gewachsene 2012 Pinot Noir ‚Nuages’ (Jazzfans wissen, woher der Name kommt) noch vornehm zugeknöpft, ein eleganter Gentleman, dessen Unnahbarkeit nicht über seine Sinnlichkeit hinwegtäuschen kann. Noch kühler, aber weniger tanninhaltig wirkt der 2012 Pinot Noir ‚Lumiere’, kein Wunder, ist ja auch die kühlste Lage, der Wein wirkt klar und präzise, die süße Kirschfrucht kündigt sich mit viel Finesse an.
Ein sehr warmer Jahrgang? Kaum zu glauben. Die Alkoholwerte liegen bei jedem Wein unter 14 % und damit auch unter den Werten (14,5% – 16%), die im Burgund in einem sehr reifen Jahr erreicht werden.
Die Pinots des Jahrgangs 2011 wirken nur wenig entwickelter. Ein kühlerer Jahrgang, aber auch einer, in dem die Trauben langsam reiften. Gelesen wurde erst im November. Der 2011 Pinot Noir ‚Bella Vida’ trägt dem Jahrgang durch seine kühle Aromatik Rechnung, die aufgrund des eisenhaltigen Vulkangesteins wieder diese eigenartige Blut-Aromatik aufweist, aber auch den Geschmack von Veilchen und kleinen Waldersbeeren. Etwas aus dem Rahmen fiel der 2011 Pinot Noir Lia’s Vineyard, dem Aromen von schwarzer Schokolade und Nougat entströmen, aber auch Kirsche und vieles andere, das noch recht ungeordnet wirkt. Eleganz auch hier, aber auch große Expression. Bevor wir den 2011 Pinot Noir Olenik verkosteten, hatte Jay Somers vernehmlich geseufzt: In richtig warmen Jahrgängen würden die Weine aus dieser Lage locker mehr als 16 % Alkohol aufweisen – eine echte Herausforderung. Aber 2011 war kühl und der auf Basalt und Sandstein gewachsene Olenik zeigt sich wie seine Geschwister sehr fein und elegant, Säure und Tannin sind gut integriert, die Veilchen-, Kirsch- und feinen Orangenaromen deuten auf eine reiche Frucht.
All diese Weine zeigen sehr gute Entwicklungsperspektiven. Das galt erst recht nach der Verkostung des 2007 Pinot Noir Dundee Hills, den ich vor ein paar Jahren schon mal sehr fein und verführerisch im Glas hatte, an diesem Tag aber sehr verschlossen fand. In den USA sei der schwer zu verkaufen, meinte Jay Somers. Das kann man auch als Kompliment für den Wein betrachten.
Und hier noch Musik mit Jay Somers:
https://www.youtube.com/watch?v=qDu1wHsc8dg