Ich tue es keineswegs aus hehren ethischen oder gar religiösen Motiven. Nicht mal der gesundheitliche Aspekt, der ja wohl nicht von der Hand zu weisen ist, juckt mich. Meine Haltung zum Fasten ist ausschließlich dem Genussprinzip unterworfen. Kurz: Ich faste, um meine Genussfähigkeit zu steigern. Mit Fasten meine ich den Verzicht auf Alkohol. Da ich nur Wein trinke, verzichte ich darauf wie auch auf die Zuführung alternativer alkoholischer Getränke. Null, nichts, nada, dreieinhalb Wochen lang, zwei Mal im Jahr. Sogar unterhalb der Woche – auch da bin ich humorlos prinzipiell – trinke ich zwischen Sonntag und Mittwoch nicht. Nicht immer, aber meistens.
Es ist zum einen ein lustvolles Spiel mit der Abhängigkeit. Denn natürlich – machen wir uns nichts vor – ist die Lust am Weingenuss auch eine Lust am Alkohol. Die überaus sinnliche Erfahrung der komplexen Aromatik des Weins ist von seiner Wirkung nicht zu trennen. Zum Luxus der Weingenießerin oder des Weingenießers gehört, mehrere unterschiedliche Flaschen gleichzeitig zu öffnen und nach gusto und Kondition auszutrinken. Erfahrene Trinkerinnen und Trinker wissen den Zustand einer gepflegten Trunkenheit zu schätzen und zu kultivieren. Die wunderbare Jancis Robinson erzählte mir mal, dass sie privat nur wenig trinke, ein Glas am Abend oder so – genau weiß ich es nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch, enttäuscht gewesen zu sein. Von ihr hätte ich mehr Genusssucht erwartet. Aber vielleicht geht das nicht anders, wenn man täglich mehrere Dutzend Weine probieren (und spucken) muss, beginnend vor dem ersten Zähneputzen, wenn der Geschmackssinn noch gänzlich unbelastet ist. Wird der Genuss zum Beruf, ist die Hölle meist nicht weit.
Ich selbst probiere auch gerne, aber nicht zu oft. Ausufernde Proben verleiden mir alles. Ich trinke lieber. Und manchmal saufe ich auch gerne. Beides tue ich ohne jede Reue, weil ich mir Grenzen auferlege. Ein richtiges Gelage oder vielleicht auch an zwei oder drei Abenden hintereinander genieße ich in vollen Zügen, weil ich mich auf die Abstinenz danach freue. Vier Tage ohne am Stück, die ich mir jede Woche nehme, sind dazu da, meine Akkus wieder aufzuladen und Lust auf das nächste Glas zu wecken.
Trinke ich eine Woche durch (ja, ja, ist auch schon vorgekommen), verliere ich zunehmend die Lust. Am vierten Abend schmeckt es mir nicht mehr so wie am ersten oder zweiten. Und der Rausch wird lästig.
Wenn ich zweimal im Jahr jeweils knapp drei Wochen keinen Wein oder sonstigen Alkohol anrühre, dann ist das eine Zeit der Besinnung. Ich werte die Weingenüsse und –erfahrungen der letzten Zeit aus und überlege, was mir wirklich wichtig ist. Denn es ist doch so: Trinke ich regelmäßig, brauche ich ständig einen neuen Kitzel. Über den Wachauer Winzer F. X. Pichler habe ich mal die Anekdote gehört, er trinke in seinem Urlaub jeden Abend eine Flasche seines Spitzenweins „Unendlich“. Auch so stelle ich mir die Hölle vor. Ich dagegen lasse es nach dem komplexen, introvertierten Moselriesling gerne mal richtig krachen und greife zum Killer-Juice aus dem Barossa Valley. Oder suche in meinem Keller nach einem Wein, den ich ewig nicht getrunken habe. Vielfalt und Gegensätze ziehen mich an. Ich bin verwöhnt und mein Keller oder der meiner Freunde lässt mich selten im Stich. Aber manchmal doch. Dann sitze ich über irgendwelchen Listen, überlege, worauf ich Lust haben könnte und finde nichts. Meine Genussfähigkeit befindet sich dann im Zustand der Abnutzung – höchste Zeit für eine Pause.
Vielleicht ist das der Moment, der manchen Connaisseur dazu treibt, sich an einem oxidativen Naturwein zu erfreuen. Neue Welten tun sich auf, Gedankengebäude werden schmeckbar. Ich faste da lieber.
Kurz vor Ende einer Fastenzeit überlege ich, was ich am ersten Abend trinken will. Eine sehr lustvolle Beschäftigung. Meistens ist es der introvertierte, komplexe Moselriesling. Oft gehe ich dann in Berlin ins Weinstein und beginne mit einem Glas Riesling „Molaris L“ vom Weingut Karlsmühle (Mertesdorf/Ruwer). Ein Riesling, der mir eine Geschichte erzählt. Einfach, aber saugut.