Foto Bettina Keller
Bitte nicht falsch verstehen: Ich behaupte nicht, nur aus Wein zu bestehen, aber was wäre ich ohne den Wein? Vielleicht ein langweiliger Schuhverkäufer in einem langweiligen Vorort von London.
Ich bin am 26. Mai 1960 im Krankenhaus von Orpington in Südostlondon geboren und war ein sehr introvertiertes Kind. Mein Vater, Peter Malcolm Pigott (1935-1987) stieg 1960 in die Computer-Branche ein und meine Mutter Sheila Pigott (1935 -, geborene Pratt) hängte nach meiner Geburt den Beruf an den Nagel, um mich zu erziehen und zu verwöhnen. Meine Eltern waren oft von mir enttäuscht, weil ich ein mäßiger Schüler war. Dennoch deutete alles auf ein wissenschaftliches Studium hin, einen Job und tägliches Pendeln mit der S-Bahn, so wie es mein Vater tat.
1976 war ich zu feige, um Punk zu werden, obwohl eine Reihe meiner Schulfreunde Kernfiguren der Punk-Szene waren. Ähnlich ging es mir mit meinem Ehrgeiz, Schauspieler zu werden. Vielleicht ist es kein Wunder, dass ich mit 17 eine große Krise erlebte und fast in einer geschlossenen Anstalt landete. 1979 begann ich ein Kunststudium am Goldsmiths College of Art in London, bekam aber im darauffolgenden Jahr keinen Platz für den nächsten Studien-Abschnitt, weil ich ein arroganter Mistkerl war. So jobbte ich ein Jahr lang, zuletzt als Wein-Kellner mit Null-Wissen im Restaurant der Tate Gallery, wo der Wein mich entdeckte! Dabei war (selbstverständlich) der Riesling!
1981 trat ich ein dreijähriges Malerei-Studium in der St. Martins School of Art in London an, wechselte zum Royal College of Art (RCA), um meinen Magister in Kulturwissenschaft zu machen. Nebenbei begann ich über dem Wein – seine Gegenwart und seine Geschichte – zu schreiben. Mein erster Bericht erschien im April 1984 in der Fachzeitschrift ‚Decanter’. Die deutschen Weine wurden schnell zu meinem Hauptthema, auch, weil es wenig Konkurrenz gab. Im Rückblick war mein Studium für mein heutiges Schaffen sehr wichtig. Von meinem Professor Christopher Frayling lernte ich kritisches Denken. Am 6. Juli 1986 schloß ich mein Studium erfolgreich ab und versuchte mich als freiberufliche Kulturhistoriker und Schriftsteller über Wasser zu halten. Ein zäher Kampf, der meine Kreativität leider nicht herausforderte. Nach dem Tod meines Vaters und einigen kleineren Katastrophen wagte ich einen Neuanfang. Im Januar 1989 mietete ich eine Wohnung in Bernkastel an der Mosel, um meine Auseinandersetzung mit dem deutschen Wein und mit Deutschland – Gegenwart und Geschichte – zu intensivieren. Langsam driftete ich seelisch von England ab.
Meine Karriere entwickelte sich langsam, bis ich Ende 1993 nach Berlin gezogen bin. Im Herbst 1994 erschient mein erstes deutschsprachiges Buch. „Wie eine Wildsau“ tituliert der SPIEGEL seinen Bericht darüber. Weitere deutschsprachige Weinbücher folgen und in ihrem Schlepptau eine Vielzahl von Berichten in deutschen und ausländischen Medien zu mir, dem in Berlin ansässigen britischen Schriftsteller. Mit meiner Vorliebe für Kleidung von Vivienne Westwood und einer unkonventionellen, aber deutlichen Sprache gelte ich als „bunter Vogel“.
Photo Soria Dragoi
Inspiriert von den amerikanischen Journalisten Hunter S. Thompson und Tom Wolfe entwickle ich eine revolutionäre Art von Kulturgeschichte des Weins – ich nenne sie „Gonzo“ und meine damit die bedingungslose Recherche, die Einem tief in sein Thema verstrickt. 10 Jahre habe ich mit dieser Methode gearbeitet und eine Trilogie über Wein und Globalisierung (Schöne neue Weinwelt, Argon 2003 / Wilder Wein, Scherz 2006 / Wein weit weg, Scherz 2009) geschaffen. Die Recherche-Kosten trieben mich mehrmals während dieser Zeit an den Rand des Bankrotts, aber mutlos war das Ganze nie.
Neben diesen Werken entstand in Zusammenarbeit mit dem Fotograf Andreas Durst und meinen Ko-Autoren Ursula Heinzelmann, Chandra Kurt, Manfred Lüer und Stephan Reinhardt Wein spricht Deutsch (Scherz, 2007), ein Standardwerk zum Thema deutschsprachigen Weins. Eine lebendige Geschichte der äußerst spannenden und dynamischen Welt des Weins.
Doch wurde mir klar, dass mein Weinwissen lückenhaft bis mangelhaft war. Deswegen studierte ich ab Oktober 2008 zwei Semester auf der berühmten Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim/Rheingau. Wegen des Studiums musste ich zwischen Berlin und Rheingau pendeln. Dieses Mal war ich konsequent und mutig: ich habe eine praktische Übung in Weinbau dran gehängt. Christian und Simone Stahl von Winzerhof Stahl haben mir für ein Jahr 10 Zeilen Müller-Thurgau-Reben in supersteiler Lage Hasennest geliehen. Am 15. September 2010 habe ich mein erste Wein in Berlin präsentiert. Heute schriebe ich lieber an der spannende Geschichte des Weins.