am 20. März 2009 in Geisenheim/Rheingau
Bei der Zusage für diesen Vortrag habe ich den belanglosen Titel ‘Wein:Wort&Bild’ gewählt, weil ich vorhatte, die Diskrepanz zwischen der breiten Berichterstattung über Wein in den Print-Medien und seiner schwache Vertretung auf dem Fernsehbildschirm zu ergründen. In den wenigen Monaten seitdem ist aber enorm viel passiert. Zuerst wurde ‘WeinGourmet’ eingestellt, dann ‘Vanity Fair’. Für diese zwei sehr unterschiedlichen Magazine schrieb ich als freier Mitarbeiter. Sicher ist der Begriff „Finanzkrise“ in vielen Ihrer Köpfe gerade eingestiegen, aber die Probleme dieser Publikationen sind älter und grundlegender. Vermutlich stehen auch andere kurz vor dem Aus. Was wird übrigbleiben? Was ist tun ? Ich schreibe weiter meine Bücher und die FAS-Kolumne, halte diesen Vortrag und stelle ihn auf meine Website, www.stuartpigott.de.
Print gegenüber Bildschirm wäre sicherlich ein interessantes Thema gewesen, und ich werde heute auch etwas darüber sagen, aber ich glaube, dass es in unserer Welt noch wesentlich dringlichere Fragen gibt. Man braucht nur an die letzte Zeitung zu denken, die man in der Hand hielt, oder sich an die letzte Abendschau zu erinnern, um zu wissen, dass es größere Probleme als diese Frage gibt. Vielen von Ihnen wird das aber im Alltag längst schon aufgefallen sein.
Heute geht es um eine dieser Sachen, die zugleich die Kernfrage meiner Arbeit ist: dieWahrheit.
Dr. Martin Tesch vom Weingut Tesch in Langenlonsheim/Nahe sagte mir neulich: „Wenn ein Wein mindestens 51% Wahrheit enthält, ist das schon gut.“ Er meinte nicht nur den Grad, zu dem der Inhalt der Flasche mit den Angaben auf dem Etikett übereinstimmt, sondern darüber hinaus den Grad, zu dem der Geschmack des Weins zu den Äußerungen des Winzers und dem gesamten Auftritt von Produkt und Betrieb passt. Aus meiner Sicht ist das eine verdammt wichtige Frage in dieser Zeit, in der wir alle mit den Folgen einer KulturderLügen konfrontiert werden.
Viele Weinfachleute meinen, dass Wein gar nichts mit diesenLügen zu tun hat, weil Wein etwas Gutes ist und die deutsche Weinindustrie weitgehend gut dasteht. Aus meiner Sicht händigen sie sich damit selber eine Art von Unbedenklichkeitsschein aus. Aber es ist noch nicht viele Jahre her, als ein deutscher Weinbaufunktionär erstmals zugab, dass die Großlagenbezeichnungen oft eine „verkaufsfördernde Lüge“ sind. Bis dann hatten die meisten Fachleute diese Sache als „harmlose Selbstgefälligkeit“ betrachtet.
Jahrelang war zum Beispiel bedingt durch solch eine verkaufsfördernde Lüge der Fassweinpreis eines Piesporter Michelsbergs um ein Vielfaches höher als der Moselfassweins aus einer Lage direkt neben einer solchen Großlage. Das führte Anfang 1999 zum PiMi-Skandälchen, danach zum Kollaps des Fassweinpreises von Piesporter Michelsberg.
Warum ist die Wahrheit auch im Wein ein knappes Gut?
Eigentlich müssen wir, glaube ich, diese Frage umschreiben in die folgende: Wasmöchtenwir?
Meistens möchten wir mehr Erfolg haben, mehr Geld verdienen, mehr Lob ernten und mehr Ansehen genießen. Wer will nicht reich und erfolgreich, gelobt und geliebt, cool und sexy sein und ein leichtes Leben mit viel Spaß führen? Die Wahrheit kann und muss dabei allzu oft warten.
Natürlich ist das Streben nach der Wahrheit, sei es in wissenschaftlicher, journalistischer oder anderer Form sehr viel anstrengender als das Streben nach persönlichen Vorteilen. Wenn man diese Aufgabe ernst nimmt, bedeutet es immer eine ganze Strecke entlang eines steilen und steinigen Wegs gehen zu müssen. Heute erzähle ich von meinem Weg zur Wahrheit im Wein.
„Ja, aber es ist nurWein !“ denken sicherlich manche von Ihnen, als ob es eine HierarchiederWahrheiten gebe, mit den politischen und wirtschaftlichen ganz vorn und dem Thema Wein ziemlich weit hinten. So steht Wein in den meisten Zeitungen und allgemeinen Zeitschriften. Noch extremer ist es im Fernsehen, wo Wein nur als heile Welt oder Skandal erscheinen darf.
Diese Hierarchie ist natürlich ein menschliches Konstrukt, das von Wertvorstellungen geprägt ist. Es ist uns aber so vertraut, erscheint uns so harmlos und wird durch die Medien so häufig bestätigt, dass es uns selten bewusst ist und kaum jemand sich dagegen wehrt.
Albert Einstein hat die Frage nach der Wahrheit ganz anders beantwortet als unsere Medien, und ich bin mit ihm einig: „WennessichumWahrheitundGerechtigkeithandelt, gibtesnichtdieUnterscheidungzwischenkleinenundgroßenProblemen.“ Wenn man eine solche Unterscheidung erlaubt, ist die Würde des Menschen nicht mehr ganz so unantastbar, sondern es ist nur eine Frage der Zeit, bis einige Menschen oder eine Minderheit nicht mehr so zählen wie die Entscheidungsträger bzw. Machthaber. Aus meiner Sicht hängen Wahrheit und Gerechtigkeit immer direkt oder indirekt zusammen.
In ihrem Essay ‘A Room of One’s Own’, Ein eigenes Zimmer, von 1929 hat die britische Roman-Schriftstellerin Virginia Woolf diese Frage aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Da ging es ihr unter anderem darum, die HierarchiederGeschlechter – Männer über Frauen – die HierarchiederTextarten – Belletristik über Sachbücher, Sachbücher über journalistische Beiträge in Zeitungen, u.s.w. – und die HierarchiederliterarischenThemen – Liebe und Tod ganz oben, Wein und Schmetterlinge ganz unten – zu demontieren.
Ich stimme ihr voll und ganz zu, dass Schriftsteller keinesfalls automatisch besser oder wichtiger sein müssen als Schriftstellerinnen, kein Thema á priori unbedeutender ist als ein anderes und kein Textform per se minderwertiger als ein andere. Auch bin ich mit ihr einig, was das Wesen der Wahrheit betrifft. Wolf schrieb „…onecannothopetotellthetruth.Onecan only show how one came to hold whatever opinion one does hold”– „man kann nicht hoffen, die Wahrheit zu erzählen, sondern nur zu zeigen, wie man dazu kam, einer bestimmten Meinung zu sein.“
Dieser Gedanke hat mich zu meiner heutigen Vorstellung von der dreidimensionalen Wahrheit gebracht. Die erste Dimension der Wahrheit besteht aus den Fakten. Laut Herrn Marquart ist der FOCUS nur damit beschäftigt: „Fakten, Fakten, Fakten!“ Aber das kann nicht ganz stimmen, denn auch in FOCUS stehen die Fakten immer in einem Kontext. Dann gibt es die Art und Weise, wie man dazu kam, diese Fakten und diesen Kontext zu wählen.
Für mich besteht sämtliche Wahrheit in dieser Welt aus 1) Fakten, 2) Kontext, 3) wie man zu diesen Fakten und Kontext gekommen ist.
Letzteres ist aber oft unsichtbar, manchmal wird auch getan, als ob es das gar nicht gegeben hat. Vor allem in meinen Büchern ‘SchöneneueWeinwelt’ (2003), ‘WilderWein’(2006) und ‘Weinweitweg’, das Ende September dieses Jahres auch im Scherz Verlag erscheint, strebe ich eine sichtbare Dreidimensionalität der Wahrheit an. Das ist der entscheidende Aspekt meiner Bücher, unabhängig davon, ob man sie gut oder schlecht findet.
„Subjektiv“ wird das oft und gerne genannt, als ob diese Arbeitsweise zwar zu unterhaltsamen Ergebnissen führt, aber nicht ausreicht, um als erwachsener, „objektiver“ Journalismus zu gelten. Aus meiner Sicht ist das Schwachsinn, weil die einzige Möglichkeit „objektiven“ Journalismus zu betreiben, darin bestünde sämtliche stimmigen Fakten und relevanten Kontexte simultan zu vermitteln. Aber das geht natürlich gar nicht, bzw. eswirdimmergewählt.
Das trifft auf die Wissenschaft genauso zu. Warum wird so eifrig an bestimmten wissenschaftlichen Fragen gearbeitet, während andere kaum beachtet werden?
Oft lautet die Antwort, weil es für manche Fragen einfacher ist Forschungsgelder zu bekommen und/oder die Aussicht auf eine schöne Veröffentlichung besser ist. Das kommt mir verdammt bekannt vor: Geld und Veröffentlichungen! Darum geht es auch bei uns Journalisten.
Oft werden die Fakten, vor allem wissenschaftliche Fakten, für absolut gehalten, obwohl bei einer dreidimensionalen Wahrheit die Fakten vom Kontextund von der Art und Weise der Rechercheimmer mitgeformt werden. Es kann auch zu Wechselwirkungen unter den drei Dimensionen kommen, bzw. die Faktenkönnen den Kontextund/oder die Art und Weise, wie recherchiert wird beeinflussen.
Um zu zeigen, dass die Fakten nie so absolut sind, wie es viele von uns gerne hätten, möchte ich ein Beispiel anschauen, und ich nehme ganz bewusst ein extremes Beispiel. Keiner von uns hat den geringsten Zweifel, dass die Nationalsozialisten während des Holocaust/Shoah sechs Millionen Juden umgebracht haben. Aber wenn wir genauer über den Holocaust berichten möchten, müssen wir die Berichte von Zeugen, bzw. Überlebenden, studieren?
Leider kann man nicht jeden Bericht eines Überlebenden als gänzlich wahr einstufen, wie der tragische Fall von Herman Rosenblatt zeigt. Rosenblatt war ein Gefangener in Schlieben, einem Teil des KZ Buchenwald, und hat vor wenigen Jahren einen Vertrag mit Berkeley Books (einem Tochterverlag von Penguin) über eine Autobiographie namens ‘Angel at the Fence’, Engel am Zaun, abgeschlossen. In diesem Buch erzählt er, wie er seine jüdische Frau Roma Radziki, die sich als christliches Landmädchen tarnte und in der Nähe des KZ Buchenwald arbeitete, durch den Stacheldraht kennenlernte, wie sie gegen Kriegsende getrennt wurden und sich bei einem Blind Date 1957 wieder gefunden haben.
Die amerikanische Fernsehmoderatorin Oprah Winfrey hielt es für „die großartigste Liebesgeschichte“, die ihr in 22 Jahren Arbeit im Fernsehen begegnet ist. Aber Ende Dezember letzten Jahres hat Rosenblatt seiner Agentin gegenüber zugegeben, er habe die Story frei erfunden, worauf Berkeley Books vom Vertrag zurücktrat.
Warum hat Rosenblatt sein Buch nicht als Roman präsentiert und verkauft? In diesem Kontext wäre die Story rührend, aber als Sachbuch ist es einfach gelogen. Die Änderung des Kontexts hat eine immense Auswirkung auf den Inhalt.
Leider ist dies aber kein Einzelfall. Letztes Jahr hat auch Misha Defonseca gebeichtet ihre Autobiographie ‘Misha: A Memoir of the Holocaust’ sei ebenfalls nicht wahrheitsgetreu. All dies habe ich übrigens in einem Bericht auf Seite 2 der ‘International Herald Tribune’ von 30.12.08 gelesen. Es traf mich wie ein Blitz.
Dieses Phänomen ist aber selbstverständlich nicht Holocaust- oder jüdisch spezifisch. Margaret Selzers Autobiographie ‘Love and Consequences’, Liebe und die Folgen, über ihre Jugend als weißes Mädchen in einer schwarzen Adoptiv-Familie in Los Angeles ist auch erlogen.
Genauso könnte man lang und breit von Wissenschaftler erzählen, die ihre Forschungsergebnisse frisieren, und Journalisten, die Interviews frei erfinden. In den letzten Monaten haben wir gezwungenermaßen viel über die Lügen von Bankern und anderen in der Finanzindustrie erfahren. Letztere gefährden unsere Wirtschaft, Rosenblatt und Defonseca haben Glaubwürdigkeit und Ansehen anderer Holocaust-Überlebender gefährdet. Etwa parallel dazu gefährden große Weinlügen die Weinwirtschaft, während kleinere Weinlügen nur das Ansehen vom Produkt Wein und dem Berufsstand Winzer aufs Spiel setzen.
Ich schreibe meine Bücher in der ersten Person, im Präsenz und bewusst „subjektiv“ – nicht nur weil ich glaube, dass die Storys sich auf diese Weise packender erzählen lassen, sondern weil ich den Lesern die Art und Weise meiner Recherche offen legen möchte.
Sicherlich ist das, was ich betreibe, auch eine Art von Gonzo–Journalismus. Dieser Begriff wurde um 1970 für die Arbeiten des 2005 durch Freitod gestorbenen amerikanischen Journalist Hunter S. Thompson erfunden. Viele Deutsche kennen Thompson nur durch Terry Gilliams Verfilmung von ‘Fear and Loathing in Las Vegas’, Furcht und Schrecken in Las Vegas, und haben dadurch ein etwas verzerrtes Bild von Thompson und seiner Arbeit. Aber jetzt gibt es eine stimmige deutsche Übersetzung.
Thompsons Themen waren der amerikanische Traum von freier Persönlichkeitsentfaltung – auch bei uns ist sie in der Verfassung fest verankert – und die Drogenkultur der 1960er. Dummerweise wurde es aber dann doch 1971, und Thompson musste nach Las Vegas um über das Mint 400 Motorrad-Rennen zu berichten. Das war kaum möglich, weil die Motorräder eine gigantische Staubwolke in der Wüste aufwirbelten und gar nichts zu sehen war.
Dann bekamen er und sein Anwalt ein paar Probleme und flüchteten aus der Stadt. Gerade in diesem Moment bekam Thompson einen überraschenden zweiten Auftrag, für das ‘Rolling Stone Magazin’ über den 3. Drogenkongress über Narkotika der amerikanischen Polizei und Staatsanwaltschaft zu berichten. Das Thema war ihm wie auf den Leib geschneidert, er wechselte Mietwagen und Hotel.
Bei dieser Form von Journalismus dreht sich alles darum, so nah wie möglich an den Gegenstand des Interesses heranzukommen, und dazu gehört auch manselbstalsJournalist, der versucht, in diesen Gegenstand förmlichganzhineinzukriechen. Wenn man dabei erfolgreich ist, dannkriechtesineinenselbsthinein.
Sicher ist das Ziel meines zwei Semester andauerenden Studiums hier in Geisenheim und meines Weinbauprojekts im Taubertal, möglichst viel über Weinbau und Oenologie zu lernen, aber genauso ist es ein weiterer Versuch, in die Materie Wein hineinzukriechen.
Wenn man diesen Weg wählt, um über Wein zu schreiben, dann führt das unweigerlich zu Exzessen. Aber wie bereits mein Landsmann der englische Dichter William Blake vor beinahe zwei Jahrhunderten bemerkt hat, lässt sich nur herausfinden, wie viel genug ist, wenn man entdeckt, wie viel zuviel ist. Ich halte die Grenze zwischen genug und zuviel (quantitativ sowie qualitativ) für einen entscheidenden Aspekt des Weinkonsums, der Wahrnehmung des Weins.
Überhaupt ist die Frage, was man zu sich nimmt, bzw. was man in den eigenen Körper durch Einatmen, Essen und Trinken integriert, eine ganz entscheidende; es handelt sich vielleicht um den entscheidendenVorgang.
Dabei bestimmt der Geschmack, bzw. das was durch Zusammenfügung von Geschmack-, Geruch- und Tast-Erlebnissen in unserem Hirn entsteht, sowie der Geschmack im übertragenden Sinne des Wortes – persönliche und kulturkreisbedingteVorlieben und Abneigungen – was aufgenommen und was ausgespuckt wird.
Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass das Geruchsgedächtnis ganz anders funktioniert als unser intellektuelles Gedächtnis, nämlich emotional-assoziativ. Unsere fachlichen Geschmacksübungen zielen meist darauf ab, zuverlässiger zu verkosten. Manchmal wäre es aber gut, wenn unser intellektuelles Gedächtnis auch so funktionieren würde wie unser Geruchsgedächtnis. Dann hätten wir den Gestank der Banken und Finanzindustrie, des CDU-Skandals und vieles andere Unheil wesentlich früher gespürt. Mit „uns“ meine ich auch uns Journalisten.
Leider scheint kritischer Journalismus in diesem Land gefährdet zu sein. Im Feuilleton der ‘Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung’ vom 28.12.08 habe ich mit Bestürzung einen Bericht zum Thema von Nils Minkmar „Nichts sehen. Nichts hören. Ja nicht drüber reden“ gelesen. Besonders hat folgender Satz mich schockiert: „Aufklärung ist kein Wert an sich mehr und investigative Kritik ein aussterbendes Handwerk, dem nur noch das Freiluftmuseum fehlt.“ Mein Problem dabei ist der ironische Ton, mit dem der Autor, distanziert und fast gelangweilt – davor rettet ihn nur seine Cleverness – über den Untergang eines essenziellen Bestandsteils der Demokratie berichtet.
Er kommt zum Schluss, dass dieser Zustand aber „zeitlich befristet“ ist, „unklar ob das eine gute Nachricht ist.“ Das einzige, was dabei klar wird, ist dass die kommende Änderung ihm die Gelegenheit geben wird, eine weitere ironische Analyse zu schreiben! Abscheulich finde ich, wie er damit indirekt Günther Wallraff und andere deutsche investigative Journalisten als lebendige Fossilien darstellt und sich damit über sie stellt.
Wenn das kritischeDistanz ist, dann möchte ich nicht das geringste damit zu tun haben; genauso wenig wie mit der journalistischenScheinobjektivität, die auch in den Weinmedien mächtig gut vertreten ist.
Zum Beispiel behauptet der Weinführer von www.wein-plus.de, „objektiv und aktuell“ zu berichten. Dafür ist der Weinkritiker Marcus Hofschuster seit neun Jahren verantwortlich. Die Website stellt ihn mit folgenden Worten vor: „Sein Name steht für die kompromisslose und objektive Art und Weise, in der die Verkostungen für den Weinführer bei Wein-Plus erfolgen.“
Entschuldigung?
Marcus Hofschuster ist ein sympathischer Mann und – unabhängig davon was man von seiner Bewertungen hält – arbeitet er zweifelsohne hart an dieser Aufgabe, aber wie sollen seine Bewertungen objektiv sein? Seine Verkostungen erfolgen an zahlreichen unterschiedlichen Orten, unter ungleichen Bedingungen, mit unterschiedlichen Gläsern usw.
Wie ist es aber im Sensorikraum hier auf der Fachhochschule in Geisenheim?
Da werden Ergebnisse erst als signifikant betrachtet, wenn Unterschiede in der Durchschnittsbewertung von mindestens einem Punkt im Fünfpunktesystem vorkommen. Abgesehen davon funktioniert das für die Bewertungen notwendige Geruchsgedächtnis emotional-assoziativ. Ich sehe wohl die Möglichkeit als Weinjournalist systematisch zu arbeiten, aber keine Chance auf Objektivität.
Manche anderen Weinjournalisten nehmen bewusst das O–Wort nicht in den Mund, suggerieren aber sehr wohl ihren Lesern auf indirekte Weise, es handele sich um objektive Bewertungen. Aus meiner Sicht ist das noch verlogener und gefährlicher, weil die Sache nicht beim Namen genannt wird, sondern sich die journalistische Scheinobjektivität durch einen Spalt unter der angeblich „geschlossenen Tür“ in den Leserkopf schleicht.
Etwa so aber natürlich noch viel gruseliger hat Bernard Madoff seinen Kunden vorgegaukelt, er verfüge über ganz besondere, ja übermenschliche, Fähigkeiten, und sie um $65 Milliarden erleichtert. Objektivität beim Weinjournalismus setzt auch übermenschliche Fähigkeiten voraus. Aus meiner Sicht sind der Madoff-Abzock und die journalistische Scheinobjektivität auf einer Ebene gleich: sie sind beide Wahrheitsblasen.
Zu weit hergeholt? Ich glaube nicht.
Lassen Sie uns zurück zum Piesporter Michelsberg kehren. PiMi war auch eine Wahrheitsblase, die auf Grund von Winzer-Gier immer weiter aufgepumpt, immer mehr ausgedehnt wurde. Schließlich wurden immense Mengen an Wein von außerhalb der Grenzen der Großlage unter ihrem Name vermarktet, bis die Situation eine ganze Nummer zu heiß für die Weinkontrolle wurde. Dann platzte sie auf einmal… PLOP !
Wofür steht dann Stuart Pigott, außer für diese schwer festzuhaltende Wahrheit und diesen verrückten Gonzo–Journalismus? Nichts ist mir wichtiger als Recherche. Eigentlich besteht dieses Wort aus zwei Teilen: Re-cherche und bedeutet nochmals suchen.
Warum nochmals ? Haben wir nicht alle schon viel Wissen im Kopf?
Aus der Sicht des kanadischen Medienwissenschaftlers Marshall McLuhan ist das, was wir üblicherweise für die Gegenwart halten, eigentlich eine Sammlung von nostalgischen Bildern in unseren Köpfen. Gerne halten wir uns da auf, weil diese Bilder uns vertraut sind und es wesentlich bequemer ist, bei ihnen zu bleiben, als sich in die Gegenwart zu wagen. Da kratzt und sticht es dauernd, da bekommen wir oft nicht das, was wir wollen, sondern es werden uns lauter Sachen aufgetischt, die wir gar nicht wollen … zum Beispiel dieser Vortrag.
Diese Situation betrifft mich auch. Bevor ich Anfang letzten April nach China flog, glaubte ich einiges von China zu verstehen, obwohl ich noch nie da gewesen war. Als ich losgefahren bin, hatte ich „Wissen im Kopf“, bzw. ich schleppte einen ganzen Haufen Vorurteile im Gepäck mit.
Aus meiner Sicht muss der Journalist versuchen, solchen Ballast komplett über Bord zu werfen, um sich möglichst intensiv mit dem Gegenstand seiner Recherche zu beschäftigen, bzw. sich so nahe wie nur möglich an diesen Gegenstand heranzudrängen, letztendlich mit dem Ziel hineinzukriechen, sei es nur ein wenig und nur für eine kurze Zeit.
Wichtige Teile meiner Methode sind so simple Sachen wie mich in den weltbesten Zuhörer zu verwandeln, grenzlose Geduld zu üben und alles was mein Gegenüber macht mitzumachen – zum Beispiel habe ich Ende Dezember 2007 zusammen mit Tony Ciccone, dem Vater von Madonna, der auch Winzer im Norden Michigans ist, „Happy Birthday“ für Lisa, eine Kundin, gesungen – und dabei allesaufzuschreiben. Für mich ist es ganz normal, um 2 Uhr morgens bei einer Jungwinzer-Party Notizen zu machen.
Mein Bericht über die China-Reise für ‘Vanity Fair’ wurde von der Chefredaktion mit Begeisterung aufgenommen, sofort gesetzt, dann verschoben, wieder verschoben, und plötzlich gab es keine ‘Vanity Fair’ mehr. Aber in ‘Wein Weit Weg’ erscheint die lange Version Ende September im Scherz Verlag.
Warum kommt aber Stuart Pigott in China nicht ins Fernsehen? Das schwebte schon eine Weile in der Luft. Geplant war, dass ein Ein-Mann-Team mit mir reisen sollte, um etwa im Stil des Weinfilms ‘Mondovino’ von Jonathan Nossiter zu drehen. Ein wackeliger, abgedrehter aber bohrender Film mit dem Themen Wein in China sowie Wein und China war vorgesehen. Aber so sehr sich das manche wichtigen Fernsehmenschen vorstellen konnten, scheiterte es an der Führung des ZDF, die scheinbar weder Heile Welt- noch Skandal-Potential in diesem Projekt erkennen konnten. Deswegen habe ich Ihnen heute keine Bilder zu bieten, nur diese Gonzo-Wein-Wahrheiten, die ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe.
„Was soll dieses wirreZeugs?“, fragen sich manche von ihnen bestimmt jetzt. Nun, ich würde sagen, dass Sie jetzt zumindest auf einer höheren Ebene verwirrt sind als vorher, und das ist schon ein Fortschritt. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Kommentar von Marcus Hofschuster, www.wein-plus.de
Lieber Stuart,
das ist natürlich ein uraltes Thema und man kann lange darüber streiten. Aber einen Fehler lasse mich bitte korrigieren: wir probieren ausdrücklich nicht an unterschiedlichen Orten, aus unterschiedlichen Gläsern etc.
Alle Verkostungen, die zu einer Bewertung auf Wein-Plus führen, finden bei uns im Verkostungsraum statt. Alle Weine, die wir veröffentlichen, müssen von den Betrieben eingeschickt werden, es finden niemals Bewertungen auf Messen oder beim Erzeuger statt. Die einzige Ausnahme machen hier Raritätenverkostungen von alten Weinen. Hierauf wird auch im Weinführer ausdrücklich hingewisen.
Wenn wir von Objektivitär sprechen, geht es uns gerade darum, möglichst einheitliche Bedingungen zu schaffen und unbeeinflusst von Namen, Etiketten oder sonstigen äußeren Einflüssen zu bewerten. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass es vollkommene Objektivität auch bei noch so großer Sorgfalt nicht geben kann, halte es aber für zwingend erforderlich, Bedingungen herzustellen, die eine unvoreingenommene Bewertung gestatten. Das ist der Anspruch, den ich an mich selbst stelle und ich versuche ihm gerecht zu werden, so gut ich eben kann – ohne mir etwas über meine Schwächen und meine Fehlbarkeit vorzumachen.
Das es andere Herangehensweisen gibt, die ebenso ihre Berechtigung haben, ist mir völlig klar. ich wüsste aber nicht, warum die verschiedenen Philosophien nicht nebeneinander existieren sollten – solange dem Leser jeweils klar ist, womit er es zu tun hat. Denn in Einem gebe ich Die Recht: wer mit seiner Subjektivität kokettiert, um dann doch apodiktische Urteile zu fällen, spielt ein doppeltes Spiel.
Mit herzlichen Grüßen
Marcus Hofschuster
Lieber Stuart,
das ist natürlich ein uraltes Thema und man kann lange darüber streiten. Aber einen Fehler lasse mich bitte korrigieren: wir probieren ausdrücklich nicht an unterschiedlichen Orten, aus unterschiedlichen Gläsern etc.
Alle Verkostungen, die zu einer Bewertung auf Wein-Plus führen, finden bei uns im Verkostungsraum statt. Alle Weine, die wir veröffentlichen, müssen von den Betrieben eingeschickt werden, es finden niemals Bewertungen auf Messen oder beim Erzeuger statt. Die einzige Ausnahme machen hier Raritätenverkostungen von alten Weinen. Hierauf wird auch im Weinführer ausdrücklich hingewisen.
Wenn wir von Objektivitär sprechen, geht es uns gerade darum, möglichst einheitliche Bedingungen zu schaffen und unbeeinflusst von Namen, Etiketten oder sonstigen äußeren Einflüssen zu bewerten. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass es vollkommene Objektivität auch bei noch so großer Sorgfalt nicht geben kann, halte es aber für zwingend erforderlich, Bedingungen herzustellen, die eine unvoreingenommene Bewertung gestatten. Das ist der Anspruch, den ich an mich selbst stelle und ich versuche ihm gerecht zu werden, so gut ich eben kann – ohne mir etwas über meine Schwächen und meine Fehlbarkeit vorzumachen.
Das es andere Herangehensweisen gibt, die ebenso ihre Berechtigung haben, ist mir völlig klar. ich wüsste aber nicht, warum die verschiedenen Philosophien nicht nebeneinander existieren sollten – solange dem Leser jeweils klar ist, womit er es zu tun hat. Denn in Einem gebe ich Die Recht: wer mit seiner Subjektivität kokettiert, um dann doch apodiktische Urteile zu fällen, spielt ein doppeltes Spiel.
Mit herzlichen Grüßen
Marcus Hofschuster