Folge 5
Lange Zeit sah ich keine Alternative zu meinem Kunstgriff, das politische Führungspersonal in Rheinland-Pfalz (RLP) in Form von Fantasy-Figuren aus einer weit entfernten Galaxis längst vergangener Zeiten zu porträtieren, weil sie keinerlei Bezug zur gegenwärtigen Wirklichkeit haben. In Anbetracht der Bedrohung einer Reihe berühmter Spitzenlagen an der Mittelmosel durch den Hochmoselübergang / B50neu schien dieser schwarze Humor absolut notwendig. Jetzt durch voranschreitende Baumaßnahmen ist die Zeit für einen neuen Blick auf die Situation gekommen.
Bevor ich damit anfange, muss erwähnt werden, dass ich keine Beschwerden von Kurt Beck (SPD, Minister-Präsident von RLP) oder Eveline Lemke (die Grünen, Wirtschaftsministerin von RLP) oder irgendjemand anderem über unsere Kampagne gegen die geplante Moselbrücke erhielt. Und schon gar nicht hat uns ein(e) Politiker(in) wegen übler Nachrede angezeigt. Was zweifellos bedeutet, dass ich wohl verdammt nah an der Wahrheit dran sein muss, wenn ich Kurt Beck als Darth Vader darstelle, über Eveline Beck schreibe, sie sei zur dunklen Seite der Macht übergelaufen oder frage, ob hinter dem Geschäftsführer eines führenden Betonunternehmens oder einem leitenden Beamten in RLP der böse Imperator steckt – IN RLP HERRSCHT STAR-WARS-POLITIK !
Neulich haben Beck & Co. Mittels Hard-Core-Spin versucht, ihren milliarden-euro-schweren Betonwahnsinn als kühnste und eleganteste Erfindung seit dem Rad zu präsentieren. Es muss Hard-Core sein, weil der Hochmoselübergang so gigantisch unnötig und noch dazu ein sensationell überteuertes Stück Infrastruktur ist, und sich obendrauf enorm destruktiv für diese Bereiche der Mosel und ihre Wirtschaft erweisen wird. Positives läßt sich tatsächlich nur für die Baufirmen und ihre Lieferanten erkennen. Selbstverständlich steckt diese Lobby hinter dem Monstrum, und sie scheinen Beck so gut im Griff zu haben, dass er wie ein Roboter funktioniert und die richtigen Schalter im richtigen Moment betätigt. Leider kann ich nicht sagen, wie sie das hinbekommen haben, aber wer die Baubranche kennt, weiß daß es dort nicht gerade korruptionsfrei zugeht. Der Ministerpräsident eines anderen Bundeslandes sagte mir letztes Jahr unter vier Augen: „Politik ist ein schmutziges Geschäft.“ Trotzdem betrachte ich Beck & Co. als unschuldig, bis Schuld bewiesen ist, auch weil das hier nicht der kritische Punkt ist. Heute geht es mir um die fundamentale politische Situation, nämlich darum wie eine Riege von RLP-Politikern aus allen großen Parteien in erster Linie die kommerzielen Interessen einer Lobby vertritt und damit die berechtigten Interessen der Wähler zur Nebensächlichkeit reduziert.
Bereits seit Jahren nenne ich die Mosel ein „demokratie-schwaches Gebiet“, aber wenn man sieht, wie zahm die RLP-Medien trotz mehrerer politischer Desaster mit Beck umgehen, muß man sich wohl fragen, ob dieser Begriff auf das gesamte Bundesland ausgeweitet werden muss. Eine geschriebene Verfassung wie die deutsche (vor der ich gebührenden Respekt habe!) kann nicht allein einen gleichmäßig hohen „Demokratie-Standard“ im ganzen Land garantieren. Das ist für Deutsche in demokratie-starken Gebieten oft schwer zu begreifen; wir alle neigen zu der Annahme, anderswo herrschten grundsätzlich ähnliche Verhältnisse wie zu Hause. Vielleicht ist hier auch ein gewisses Wunschdenken am Werke: in Deutschland muss alles in Ordnung sein, weil Deutschland das Land der Ordnung ist. Baden-Württemberg, wo sich eine enorme Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 aufgestellt hat, ist ein sehr positives Beispiel von Wähler-Wut, die sich an Lobbys mit übermäßigem politischen Einfluß entzündet. Trotz der hartnäckigen internationalen Opposition gegen den Hochmoselübergang bleibt dies hingegen ein katastrophales Beispiel dafür, wie eine Lobby und die ihr offensichtlich hörigen Politiker Vernichtung vorantreiben können. Aus diesem Grund mache ich mir Sorgen um die Zukunft dieses Landes.
Die grundlegenden Prinzipien der Grünen zusammen mit ihrem RLP-Wahlerfolg Ende März hätten den Hochmoselübergang eigentlich kippen müssen, und der Jubel in unserem Lager war schon groß – um uns dann ungläubig die Augen zu reiben, als wir den sofortigen grünen Kniefall vor Beck sahen. Dummerweise ist Umweltschutz der theoretische Kern ihrer politischen Identität, und wenn selbst der so leichtsinnig aufgegeben wird, was bleibt dann an Prinzipien? Die Geschichte, auch die moderne Geschichte Deutschlands, bietet zahlreiche Beispiele vom Mißbrauch prinzipienloser Gruppierungen durch Diktaturen, die sich so aufbauen und erhalten. Momentan reden wir „nur“ von der Diktatur einer bestimmten Industrie-Lobby einerseits und der Vernichtung berühmter Weinbergslagen und Kulturdenkmäler andererseits, aber wie wir in England sagen, „it’s the thin end of the wedge“, es handelt sich nur den leisen Anfang, dem dicke Ende folgt.
Einen Kommentar höre ich jetzt immer wieder aus unterschiedlichsten Richtungen. Es sei zu spät, die Moselbrücke zu stoppen, und unsere Kampagne daher vollkommen sinnlos. Wenn man aber sieht, wie abrupt die Bundesregierung ihre Position bei der Kernenergie änderte, nachdem sie die Laufzeiten aller Kernkraftwerke gerade erst verlängert hatte, und dann binnen eines Jahres den kompletten Ausstieg aus der Kernenergie beschloß, deutet das auf eine sehr gute Chance, den Hochmoselübergang zu kippen.
Die derzeitige Lage läßt sich auch so beschreiben: Beck & Co. haben sich einen großkalibrigen Revolver mit einer Menge Munition gekauft und spielen Russisch Roulette mit der Mosel, indem sie die Mündung direkt an die Schläfe der Region legen. Jetzt sagen sie: „Wir müssen abdrücken, sonst wären alle Vorbereitungen für diese Sternstunde umsonst gewesen.“ Aber es wäre nur eine Sternstunde für Beck & Co, für den Bereich des Moseltals zwischen Ürzig und Bernkastel hingegen ein Desaster. Dagegen würde ein sofortiger Baustopp und jede mögliche Anstrengung, für das Moseltal den längst fälligen Welterbe-Status durch die Unesco zu erreichen, zur Bewahrung dieses Kulturschatz führen. Die Frage lautet: VERNICHTUNG ODER BEWAHRUNG?