Weintelegramm 90

Während der Feiertage habe ich in einer verrückten kleinen Wohnung in Prenzlauer Berg einige erstaunliche ungarische Weine von einem Berliner Rechtsanwalt namens Horst Hummel verkostet, nein, getrunken. +++ Dazu hat er ein so üppiges, herrlich altmodisches Mahl (Schnecken mit viel Knoblauch, Gänseleber und ein Stubenküken) gekocht, dass der Käsegang nicht mehr zu schaffen war. +++ Neil Young donnerte aus den Boxen, und an der Wand hing eine Tafel auf der Gedanken zum Thema Nirwana mit Kreide geschrieben waren. +++ Wenn mein Buch WEIN WEIT WEG noch nicht fertig und auf dem Markt wäre, dann hätte ich diese Szene als Beispiel für die große Veränderung auf Planet Wein noch einbauen müssen. +++ Ganz besonders war ich von einem neuen Rotwein begeistert, dem 2007 LOESS, eine Multi-Kulti-Cuvée aus Kékfrankos (Lemberger/Blaufränkisch), Portugieser und Cabernet Sauvignon. +++ Wie Hummels Spitzenrotwein, der J.M., hat der LOESS eine entschiedene herbe Kraft ohne spürbares Eichenaroma, war aber etwas leichter und deutlich lebhafter, bzw. gefährlich trinkbar. +++ Der Wein ist ein flüssiges Stück Zeitgeist des neuen Jahrzehnts und der Preis von 8,50 Euro passt auch zur neuen Wir-stellen-uns-der-Wahrheit-Stimmung. +++ Die Abende darauf folgten zahlreiche gute Weine, aber keiner hat mich ähnlich positiv überrascht. +++ Bis mein Geisenheimer Studienfreund Johannes Sinß vom Weingut Sinß in Windesheim/Nahe uns vorgestern Abend besuchte und seinen neuen 2007 SPÄTBURGUNDER einschenkte. +++ Statt, wie so viele seiner Kollegen, auf mehr Kraft, mehr Konzentration und mehr Lautstärke zu setzen, hat er auf optimale Harmonie gezielt und sie auch erreicht. +++ Mir hat der Wein deutlich besser geschmeckt als der 1995 VOSNE ROMANÉE 1ER CRU LES BEAUX MONTS von Domaine Jean Grivot (ein teurer Burgunder), den wir zuvor tranken. +++ Auf den Sinß-Wein müssen wir bis Ende des kommenden Sommers warten, aber auch Geduld ist im neuen Jahrzehnt wieder angesagt. +++ Jetzt geht es um teilen statt geizen, sich begeistern lassen statt bepunkten zu wollen, Füße auf den Boden und Wein im Glas, Blick nach vorn und immer daran glauben, dass das Beste noch kommt!

Kontakt: hh@weingut-hummel.com

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Wein des Monats – Januar 2010

Riesling trocken
Januar 2010 | 2008 Schlossböckelheimer Königsfels Riesling trocken, 15 Euro Weingut von Racknitz in Odernheim/Nahe

Siegerweine sind so beliebt, weil sie dem Konsumenten eine vereinfachte Welt auf einem Silbertablett liefern und der Journalist froh ist, mit einfachen Mitteln Interesse für seine Wertungen zu wecken. Leider neigen alle an diesem Spiel Beteiligten dazu, den Eindruck zu vermitteln, es ginge um mehr als nur Meinungen, die Quadratur des Kreises sei endlich gelungen. Das Ganze gehört zu dem großen Kartenhaus der Illusionen, in dem wir meist leben. Mir ist der ganze Weihnachten-Kitsch viel lieber, weil jeder den ersten Kinderschuhen Entwachsene weiß, dass es sich um eine bunte Fantasiewelt handelt.

Weine wie der 2008 SCHLOSSBÖCKELHEIMER KÖNIGSFELS RIESLING TROCKEN von Weingut von Racknitz in Odernheim entziehen sich diesem Spiel und sind daher außergewöhnliche Erscheinungen auf Planet Wein. Jeder gute Fachmann wird bei der Verkostung dieses Weins einige Worte stimmige Beschreibung finden, aber ich bin mir sicher, dass die meisten dann schnell verstummen. Duft und Geschmack sind extrem würzig. Sie zeigen eine Prägung, die ich mit dem Porphyrboden in dieser und manchen anderen Lagen an der mittleren Nahe assoziiere. Wo aber hören die tatsächlich mineralischen Aspekte des Weins auf und wo beginnen die von der langen Spontangärung und dem Hefekontakt verursachten Noten? Und zu welchem Teil ist die besondere Witterung von 2008 für die enorme Spannung des Weins verantwortlich und was rührt vom besonderen Kleinklima dieser spektakulären Steillage her?

Hier haben wir es mit einem Wein zu tun, bei dessen Entstehung die Winzer – Luise von Racknitz-Adams und Matthias Adams – bewusst unbeabsichtigte Charakterzüge zuließen, und diese sind auch das Wesentliche an diesem Wein. Der selbstbewusst rätselhafte Wein ist meiner Meinung nach der erstaunlichste unter den fünf Lagenrieslingen des Jahrgangs des aufstrebenden Weinguts. Als etabliert wird der Betrieb erst gelten, wenn die Kritiker sich an den besonderen Weinstil des Hauses so weit gewöhnt haben, dass sie glauben, die Weine zu verstehen. Ich bewundere (im wahrsten Sinne des Wortes) die Weine schon jetzt.

Wer besonders interessiert ist, mehr über das Wesen solcher Weine zu erfahren – und das nicht nur im Glas, sondern auch im Weinberg und Keller – kann dem Club des Weinguts beitreten; Informationen unter www.von-racknitz.com/club.

Weingut von Racknitz Disibodenberger Hof
D-55571 Odernheim/Nahe
Tel: 0 67 55/2 85
E-Mail: weingut@von-racknitz.com
www.von-racknitz.com

Weingut: Weingut von Racknitz Disibodenberger Hof

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Weintelegramm 89

Eine nicht endenwollende Grippe hat aus diesem schlechten Blogger den allerschlechtesten Blogger der Republik gemacht! +++ Mir kommt es vor, als ob ich seit der letzten Meldung gar nichts fertig gebracht habe und gar keine neuen Eindrücke gewonnen habe. +++ Die Welt hat sich aber weitergedreht, weshalb ich mich gezwungen fühle, dieses Telegramm loszuschicken. +++ Leider hat sich die politische Führung der Welt in Kopenhagen ziemlich schwach gezeigt. +++ Obwohl es um ein Problem ging, das die ganze Menschheit trifft, blieben die Mächtigen mehr von Ego und Machterhalt getrieben als vom Mitgefühl bewegt, so dass das Ergebnis so enttäuschend ausfiel. +++ Damit ist klar, dass vorläufig die Probleme nur wachsen werden. +++ Trotzdem können wir Dinge bewegen (außer unseren Treibhausgas-Ausstoß allgemein zu reduzieren). +++ Dieses Jahr habe ich theoretisch auf der Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim/Rheingau und praktisch im Weinberg in Tauberzell/Franken gelernt, wie Mensch und Rebe eine große Anpassungsfähigkeit teilen. +++ Die eigentliche Aufgabe des Winzers besteht darin, der Rebe bei der Anpassung zu helfen, immer mit dem Ziel reifer, gesunder Trauben. +++ Normalerweise werden Weinberge in Deutschland mit einer Nord-Süd-Zeilung gepflanzt, um die Sonneneinstrahlung auf das Laub zu optimieren. +++ Wenn man die Zeilung auf Nordost-Südwest dreht, zieht man die Temperatur im Weinberg um etwa 2° C nach unten. +++ Weil eine solche Steigerung der durchschnittlichen Temperatur in diesem Land für die nächsten Jahrzehnte vorausgesagt wird, werden wir immer mehr solche Weinberge sehen. +++ Mein Weinberg war eine Steillage mit Südwest-Exposition, nach der Falllinie gezeilt, bzw. Nordost-Südwest. +++ Das hat die Reifung meiner Müller-Thurgau-Trauben während der letzten schönen Wochen bis zur Lese am 30.09 zweifellos verlangsamt. +++ Hoffentlich sehen wir uns im nächsten Jahr und können uns bei einem Schluck meines Weins über dieses wichtige Thema unterhalten. +++ Die erste Chance ihn zu kosten, wird die „kulinarische Weinprobe“ beim Winzerhof Stahl in Auernhof/Franken sein, am Abend des 9. April, Anmeldung unter mail@winzerhof-stahl.de. +++ Ich freue mich jetzt schon darauf und lasse mich von den Mächtigen der Welt nicht deprimieren. +++ Stattdessen werde ich während der sogenannten Feiertage versuchen, den ganzen dummen Staub loszuwerden, der sich in meinen Kopf während des Jahres angesammelt hat. +++ Ich wünsche allen einen guten Rutsch ins Jahr 2010!

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Weintelegramm 88

Bekanntermaßen darf man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, aber genau das garantiert viele der spannendsten Weinvergleiche. +++ Wie letzten Samstagabend dank der Experimentierfreude von Weinfachmann und Weinfanatiker Patrick Schenk in Olivers Restaurant (Weinhaus Moselschild/Ürzig). +++ Er hatte eine Reihe äußerst unkonventioneller Weinkombinationen, z.B. den 2000 FINCA DOFI, ein massiver Rotwein von Alvaro Palacios in Priorat/Spanien, und die edelsüße 1993 ERDENER PRÄLAT AUSLESE *** von Weingut Jos. Christoffel jr. aus der unmittelbaren Nähe des Restaurants, zusammengestellt, die für allgemeine Verblüffung sorgten. +++ Die erste Überraschung war, dass diese alkoholarme Auslese nicht von der enorm gerbstofflastigen Alkoholbombe Finca Dofi weggefegt wurde. +++ Noch erstaunlicher schmeckte dieser Äpfel-Birnen-Vergleich, nachdem Koch Oliver Probst Gänserleber mit Feigen und Datteln servierte. +++ Plötzlich waren die Gerbstoffe des Rotweins geschmeidig statt wuchtig und der Riesling schmeckte deutliche herber, ohne seinen Reiz zu verlieren. +++ Erstaunlich ähnlich konzentriert-elegant wirkten der 1998 DOM MAXIMIANO von Errazuriz in Aconcaguatal/Chile und der 1994 PIESPORTER GOLDTRÖPFCHEN RIESLING AUSLESE von Reinhold Haart aus dem Moseltal; mit geschmorter Hasenkeule und getrüffelten Sellerieravioli eine doppelte Sensation! +++ Gestern stand dann „Wein Lab 5“ bei Hammers Weinkostbar in Berlin (www.hammers-wein.de) mit dem Thema Rotweincuvées auf dem Programm.+++ Eine unglaublich heterogene Mischung von Rotweinen kam auf den Tisch, von üppigem Châteauneuf-du-Pape bis zu leichtem deutschen Cabernet-Merlot. +++ Der 2005 CLOS DU ROUGE GORGE aus dem Roussillon war ein erstaunlich schlanker, herber und mineralischer Wein angesichts seiner Herkunft aus dem heißen Süden Frankreichs.+++ „Sehr schöne Saftigkeit!“, kommentierte Billy Wagner, Sommelier der Weinbar Rutz an der Chauseestraße/Mitte. +++ Am Anfang stank der Wein etwas nach H2S, aber das verflog schnell, so dass es aus meiner Sicht kein Problem darstellte. +++ Manche jungen Moselrieslinge können ähnliche Noten aufweisen, und ich möchte nicht eine Regel für Äpfel und eine andere für Birnen anwenden. +++ Ohne Stinker, aber sonst durchaus verwandt zeigte sich der 2006 POEIRA aus dem Dourotal/Portugal von Jorge Moreira. +++ Trotz 14,5 Volumenprozent Alkohol schmeckte der Wein filigran und frisch, ja finessenreich; für mich der beste Wein des Abends. +++ Spannend war der Vergleich mit anderen Weinen, die den gleichen Alkoholgehalt aufwiesen, wie der wuchtige und recht weiche 2006 IMPERIAL von Schloss Halbturn in Burgenland/Österreich und der üppige und enorm süßliche 2004 HERÈNCIA DEL PADRI aus Priorat/Spanien; zwei gnadenlose Klopper. +++ „Ich trinke solche Weine nie, deswegen habe ich ihn mitgebracht“, sagte Karl-Heinz Gierling zum Priorat-Monster. +++ So geht es mir auch. +++ Ich habe meinen Geschmack, strebe aber immer nach Horizonterweiterung.

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Wein des Monats – Dezember 2009

Cabernet Sauvignon
2007 Liebfrauenberg Cabernet Sauvignon, € 9,90 von Weingut Ruppert Deginther

Justus Ruppert habe ich an einem Dienstagabend vor einem Jahr bei der „Jam Session“ kennengelernt. „Jam Session“ habe ich den Verkostungskreis von Studenten der Fachhochschule in Geisenheim/Rheingau getauft, an dem ich während meiner zwei Gastsemester häufig teilnahm. Ruppert und seine Weine fielen mir schon beim ersten Mal auf, aber diese positiven Eindrücke hatten mich keinesfalls auf diesen Wahnsinnswein vorbereitet. Was ich mit der „Jam Session“ bei unserem Wiedersehen letzten Dienstag verkostete, ist mit Abstand der beste deutsche Cabernet Sauvignon, den ich je erlebte und gleichzeitig der Beweis, dass die Sorte diesem Land doch richtig gedeihen kann.

Schon Ende der 1980er-Jahre fingen die ersten mutigen deutschen Winzer an, die „edelste“ der Bordeaux-Rebsorten hier zu pflanzen, aber bereits wenige Jahre später schmissen viele das Handtuch und hauten die Reben wieder heraus. Die größten Probleme waren grünliche Aromen, vor allem grüne Paprika, und kantige Gerbstoffe. Davon ist in Rupperts Wein nicht das Geringste zu schmecken, er duftet vielmehr nach feinster Bitterschokolade und hochreifen, aber nicht gedörrten Pflaumen. Die Eichennote ist fein statt plump, und die super-geschmeidigen Gerbstoffe stützen auf beinahe perfekte Weise den satten Körper. Trotzdem hat der Wein nur 13 Volumenprozent Alkohol, statt 14 und mehr wie die kalifornischen Kult-Cabernets, an die er mich stark erinnert.

Das Geniale an diesem Wein ist, dass Rupperts Familienweingut so unbekannt ist und diese Art von Volltreffer von uns Weinjournalisten so unwahrscheinlich, dass der 2007 Liebfrauenberg Cabernet Sauvignon nicht mal zehn Euro kostet. Um auf die gleiche Qualität aus Kalifornien zu kommen, sind mindestens 50 Euro fällig! Außerdem ist der Wein ein geradezu idealer Begleiter zu vielerlei Fleischgerichte und gebratenem Wurzelgemüse (vor allem Sellerie oder Pastinaken), also genau das Richtige in dieser Jahreszeit. Frohes Feiern!

Weingut Ruppert Deginther
Kämmerstraße 8
D-67596 Dittelsheim-Heßloch/Rheinhessen
Tel.: 0 62 44/2 92
Fax: 0 62 44/5 71 34
E-Mail: kontakt@ruppert-deginther.de
www.ruppert-deginther.de

Weingut: Weingut Ruppert Deginther

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Weintelegramm 87

Die letzten Wochen war ich dauernd unterwegs, auf Präsentations-Tour für mein neues Buch WEIN WEIT WEG. +++ X-mal fuhr ich von einem Ende der Republik ans andere, und es kam mir schon vor, als wäre das Bahnabteil mein zweites Zuhause. +++ Mehrmals war ich dazu noch krank, noch öfter verkatert und die Festplatte meines Computers gab plötzlich ihren Geist auf.+++ Freud und Leid liegen in diesen Tagen dicht beieinander, aber ich habe immer Bargeld in der Tasche, werde oft überschwänglich empfangen und fühle mich ein wenig wie ein Rockstar on tour. +++ Zwischendurch war ich einen Abend mit der „Jam Session“, meinen ehemaligen Kommilitonen von der Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim, zusammen. +++ Wir verkosteten einen bunten Strauß an deutschen Rotweinen haben, und ich habe eine geile Entdeckung für den Wein des Monats für Dezember gemacht. +++ Dann eine Zwischenlandung beim Winzerhof Stahl in Auernhofen/Franken, wo mein Wein (ein trockenes Müller-Thurgau- Monsterchen aus der Lage Tauberzeller Hasennest mit etwa 14 Volumenprozent Alkohol) in einem Edelstahltank schlummert. +++ Er hat die erste Schwefelung gut verkraftet, wirkt aber deutlich verschlossener. +++ „Der Wein hat eine brutale Farbe und einen schön nussigen Duft“, kommentierte Christian Stahl, dessen eigener trockener Hasennest Müller-Trocken feines Ananasaroma zeigt und rassig strahlt. +++ Aber nach einer Weile in Glas zeigte mein Wein wieder etwas von der Fruchtigkeit der letzten Verkostungen. +++ „Jetzt lasse ich ihn zwei Monate so liegen; im Januar besprechen wir am Telefon, ob und wann was mit ihm geschehen muss“, sagte ich zu Christian. +++ Etwas wehmütig bin ich am nächsten Morgen weiter gefahren, aber Ruhe auf der Hefe ist vermutlich besser für diese Art Wein als Aktionismus. +++ Außerdem hätte mich ein längerer Aufenthalt bei den Stahls wahrscheinlich vernichtet. +++ Das Problem dort ist, dass die Weine immer so spannend sind und ich zu selten nein sage, wenn der stahlharte Jungwinzer eine weitere Flasche öffnet. +++ Dieses Mal war der große Hit der 2007 RANDERSACKERER SONNENSTUHL WEIßBURGUNDER GROßES GEWÄCHS von Weingut Störrlein & Kernig in Randersacker/Franken; ein unverschämt geschmeidiger Wahnsinn mit perfekter Balance. +++ Heute geht es ins Elsass, um Mélanie Pfister von Domaine Pfister in Dahlenheim zu besuchen, danach nach Ettlingen zur nächsten Buchpräsentation. +++ Erst am Sonntag kehre ich zurück nach Berlin, vermutlich als Halbleiche!

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Weintelegramm 86

Heute Vormittag beim Aufrühren der Hefe im »Stahlwerk«, dem neuen Keller vom Winzerhof Stahl in Auernhofen/Franken, fiel mir die Farbe meines Weins mächtig auf. +++ Der leichte Grünstich früherer Begegnungen war weg, und die Farbe des Weins neigte ins Dunkelgelb. +++ Ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass die Hefe nicht mehr allein in der Lage ist, einen Jungwein frisch zu halten. +++ Gerne hätte ich die erste Schwefelzugabe noch hinausgezögert, damit sich die Aromen weiter entfalten, aber mein embryonales Müller-Thurgau-Monsterchen darf keinesfalls oxidativ werden. +++ Mit Christian Stahls Hilfe habe ich ihm 60 Milligramm schweflige Säure pro Liter zugefügt und schon bei der Zugabe wechselte die Farbe des Weins wieder ins Grünliche. +++ Wer glaubt, das diese bescheidene Schwefelmenge etwas Schreckliches sei, soll nachschauen, welchen enormen natürlichen Schwefelgehalt z.B. Blumenkohl aufweist! +++ »Für mich schmeckt er nach Birne, zu viel Birne, dann kommt der Alkohol«, war der Kommentar zum Pigott-Wein gestern Abend von Hermann Mengler, dem kellerwirtschaftlichen Berater des Bezirks Unterfranken. +++ Es war das erste Mal, dass ich Fachleuten den Wein zum Kosten gegeben habe. +++ Horst Sauer vom gleichnamigen Weingut in Escherndorf/Franken fragte zu Recht, ob die Hefe noch alleine reiche, um die Frische zu gewähren. +++ »Ich finde er hat eine sehr feine Säure«, bemerkte Otto Geisel von Hotel Victoria in Bad Mergentheim, der offensichtlich kein Problem mit den schätzungsweise knapp 14 Volumenprozent Alkohol des Weins hat. +++ Zum ersten Mal, aber nicht zum letzten Mal, polarisierte mein Wein +++ Gleich fahre ich wieder los, auf WEIN WEIT WEG-Tour, denke aber schon an den WEIN CLUB BERLIN, den Viniculture, am Samstag, den 28. November, in einem tiefen Keller in Berlin-Kreuzberg veranstaltet (www.viniculture.de oder 0 30/8 83 81 74). +++ Dort gibt’s eine ziemlich geniale Verkostung (Peter Jakob Kühn, Peter Lauer, Uwe Scheifer und, und, und) von 20 bis 23 Uhr, dann legt DJ Gianni N. aus Ibiza auf! +++ Zu Gunsten von WEIN HILFT (HIV und AIDS-Projekte in Südafrika) veranstalte ich eine abgedrehte Wein-Peepshow. +++ Das Leben des Pigott ist bunt!

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Weintelegramm 85

Wer regelmäßiger Besucher dieses Ortes im Cyberspace ist, der weiß, dass ich ein militanter Anti-Blogger und Twitter-Ablehner bin. +++ Das geht auf einen heftigen Schock im Sommer 2007 zurück, als mir ein Bekannter in Portland/Oregon erzählte, es gebe schon 60 Millionen Blogs und bis Jahresende würden es schätzungsweise 100 Millionen werden! +++ Wie viele sind es dann jetzt? +++ Eines nicht so fernen Tages wird jeder Mensch auf diesem Planeten seinen eignen Blog haben, und keiner wird mehr als paar davon lesen; die ganze Welt ein Spiegelsaal! +++ Ich gebe zu, dass es Situationen gibt, wie im Iran unmittelbar nach den gefälschten Wahlen, in denen Blogs und Twitter toll sind, weil sie einen wichtigen Zweck (Umgehung von Zensur und Organisation von legitimer Opposition) erfüllen. +++ Aber wenn der Sender nur seinen Tagesablauf niederschreibt, ist das aus meiner Sicht nichts anderes als ein öffentliche Tagebuch, meist voll mit Banalitäten und ohne Ziel. +++ Dagegen ist Journalismus eine gezielte Suche nach Wahrheit, bzw. die gründliche Erarbeitung und Recherche einer Story mit einem Anfang, eine Mitte und einem Ende. +++ Das ist sicher altmodisch, aber ich versuche diese Vorstellung von meiner Arbeit an die Gegenwart anzupassen; eine Welt, in der Blogs, Twitter, Facebook & Co wichtige Aspekte sind. +++ Und manchmal stößt man aber auch im Alltag jenseits des Cyberspace auf Erstaunliches. +++ Wie neulich in meinem Keller auf eine Flasche 2003 Trollinger „Alte Reben“ von Weingut Kistenmacher & Hengerer in Heilbronn/Württemberg. +++ Ich habe den Wein meiner Frau blind serviert, und sie glaubte, es müsse sich um einen fünf Jahre alten hochwertigen Spätburgunder handeln! +++ Laut verbreitete Meinung unter Fachleute kann so ein Geschmack bei dieser Rebsorte nicht möglich sein, aber dieser Wein war ein überzeugender Beweis, was drastische Ertragsreduzierung (in diesem Fall durch das hohe Rebalter) bei Trollinger bringen kann. +++ Dann wird aus dem grauen Entlein ein strahlende Schwan!

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Wein des Monats – November 2009

Muskat Kabinett
2008 Morio Muskat Kabinett, 5,50 € vom Weingut Felix Waldkirch

Mein innerlicher Kompass zeigt zur Zeit auf die Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim/Rheingau, wo ich zwischen Oktober 2008 und Juli 2009 als „Gasthörer“ studierte. Aufgrund dieser Sehnsucht geht es dieses Mal um die Wissenschaft des Weins. Eine der wichtigsten Lehren aus dieser Zeit lautet, dass es per se keine falsche Rebsorten gibt, sondern nur Rebsorten am falschen Standort oder Rebsorten, die zwar an einem geeigneten Standort stehen, aber falsch bewirtschaftet werden. Der wichtige Punkt ist eigentlich der Umkehrschluss, nämlich dass es möglich sein muss, aus jeder Rebsorte einen guten Wein zu erzeugen, wenn sie an einem geeigneten Standort gepflanzt wird und die Reben dann von einem tüchtigen Winzer mit den richtigen Gedanken im Kopf bewirtschaftet werden.
Dennoch gibt es Rebsorten, die von der Mehrheit von Weinfreunden, Gastronomen, Sommeliers und Weinjournalisten als derart falsch eingestuft werden, dass der Winzer immensen Mut aufbringen muss, um diesen Umkehrschluss mit ihnen in die Tat umzusetzen. Solch ein Fall ist Morio Muskat, eine Neuzüchtung mit Muskatduft und tendenziell weicher Säure. Während der längst vergangenen Süße-Welle der 1970er-Jahre wurde in der Pfalz viel Morio gepflanzt, weil er frühreif und ertragsreich ist. Nach Zigmillionen Literflaschen kitschig-süßem, doof-schmeckendem Morio könnte die Sorte kaum einen schlechteren Ruf genießen. Auch mich ließ hier die inherente britische Sympathie für den Underdog im Stich!
Dann schickte mir ein Pfälzer Jungwinzer namens Felix Waldkirch eine Probeflasche seines 2008 Morio Muskat Kabinett samt einem Brief, in dem er den Restsüßegehalt von 34,7 Gramm bekannt gab. Guter alter süßer Morio, oder? Mit großem Vorbehalt verkostete ich den Wein und war fassungslos über die schöne Traubigkeit und die feine Muskatnote, wie konzentriert und verspielt er sich im Geschmack präsentierte, wie lebhaft seine Säure wirkte, der Nachhall klar und lang war und das Ganze keinen Deut zu süß schmeckte. Das hat Waldkirch nicht weniger Arbeit im Weinberg als Mut gekostet, aber dafür hat er einen überzeugenden Beweis für den oben genannten Umkehrschluss erhalten und einen grandiosen Herbstwein erzeugt.

Weingut Felix Waldkirch
Weinstraße 53
D 76835 Rhodt unter Rietburg
Tel: +49 (0)63 23/58 25
E-Mail: info@weingut-waldkirch.de
Internet: www.weingut-waldkirch.de

Weingut: Weingut Felix Waldkirch

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Weintelegramm 84

Es sind nur zwei Wochen vergangen, seit ich das letzte Mal, meinen Wein im Keller vom Winzerhof Stahl mit Christian Stahl verkostete, aber es hat sich immens viel getan. +++ Jede Probe fängt mit Christians Weinen an und endet mit meinem Wein, um ihm einen Kontext zu geben und um die Spannung möglichst hoch zu halten. +++ Seine drei Tanks mit trockener Scheurebe (aus Eibelstadt, Randersacker und Hüttenheim) sind sehr unterschiedlich, aber allesamt Fruchtbomben mit der typischen Stahl-Frische. +++ Zusammen werden sie sicher ein noch stärkerer Wein als der sehr gelungene 2008! +++ Die spät gelesenen Silvaner sind noch am Anfang der Gärung, aber der Silvaner aus Marktbreit, der zur gleiche Zeit wie mein Wein, am 30. September, geerntet wurde, ist schon durchgegoren. +++ Er verbindet Kraft und Fülle mit einer ausgeprägten mineralischen Note. +++ Der spät gelesene Riesling aus Randersacker ist noch richtig mostig, aber er riecht schon nach purem Gold, bzw. hochreifen gelben Früchte. +++ Wenn nichts schief läuft, wird das ein Wahnsinnswein geben!+++ Schon überzeugend ist Christians Hasennest Müller-Thurgau mit feiner exotischer Frucht, zugleich konzentriert und verspielt. +++ „In dieser Phase schmecken sie jeden Tag etwas anders“, erzählte Christian, „gestern hat er nach Brennesel und Grapefruit geduftet … jetzt das Glas leer machen!“ +++ Dann war mein Wein (aus der gleiche Rebsorte und Lage) dran, und ich war ziemlich baff, dass er im Vergleich zum mit letzten Mal deutlich klarer und überraschend probierfertig wirkte. +++ „Vorn ist er enorm würzig, im Mittelbau hat er einen brutalen Geschmack nach Ananas, und er ist sooooooo laaaaaang“, sagte Christian dazu. +++ Trotz mindestens 13,5 Volumenprozent Alkohol hinterließ er bei mir eine eher kühle mineralische Frische. +++ Sicher werden manche ihn überdreht finden, aber Christian und ich sind fassungslos, dass mir so etwas beim ersten Mal gelingen konnte. +++ Danke an alle in Geisenheim, die mir geholfen haben, den Wein besser zu verstehen und darüber systematisch nachzudenken! +++ Danke Uli Luckert, Horst Sauer und Hermann Mengler in Franken für Hilfe und Tipps! +++ Danke Christian und Simone Stahl für die Unterstützung, Gastfreundschaft und die vielen tollen Filmen auf DVD! +++ Euch bitte ich um etwas Geduld; öffentlich kann ich den Wein erst ab April zeigen!!!

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